Interview mit Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen zum Thema Tanz und „Tanzland Nordrhein-Westfalen“

Frau Ministerin, was sagen Sie zur Auswahl der Tanzproduktionen, die in Essen und Gelsenkirchen im Rahmen der Tanzplattform Deutschland gezeigt wurden, auch im Hinblick auf deren nationale Bedeutung für das Tanzschaffen in Deutschland und deren internationale Strahlkraft?

 Die Jury hat ein spannungsvolles und sehr vielseitiges Programm zusammengestellt. Positionen wie Sasha Waltz, Xavier Le Roy oder Richard Siegal ziehen ein breites Publikum Tanzbegeisterter an und haben die großen Bühnen der diesjährigen Tanzplattform gefüllt, wie etwa das Aalto Theater in Essen oder das Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen. Diese Kooperationen haben mich besonders gefreut. Dazu kommen zahlreiche kleinere experimentelle Formate: Die Tanzplattform bespielte diese Jahr nicht nur PACT, sondern auch verschiedene Hallen auf Zollverein. Ich bin mir sicher, dass im UNESCO Weltkulturerbe nationale Bedeutung und internationale Strahlkraft der Tanzplattform gut zur Geltung gekommen sind.

Seit Beginn der Tanzplattformen, die in 1994 in Berlin erstmals stattgefunden hat und die aus dem Zusammenschluss der sogenannten „Tanzproduzenten“ mit BRDance 1990 hervorgegangen ist, haben es nur verhältnismäßig wenige Tanzkünstler aus Nordrhein-Westfalen in die Deutsche Tanzplattform geschafft. Macht das Tanzland NRW vielleicht etwas falsch, oder ist die Proklamation des Tanzlandes NRW eher eine Zukunftsvision?

 Nordrhein-Westfalen war zum zweiten Mal Austragungsort der Tanzplattform Deutschland. Das Programm hat jeweils den Blick der Jury auf die bemerkenswertesten Produktionen abgebildet, ich respektiere diese Juryentscheidungen. In diesem Jahr waren Cocoon Dance aus Bonn dabei, Richard Siegal ist mit seinem neuen Ballet of Difference in Köln und München basiert, andere Stücke werden von PACT Zollverein oder Tanzhaus NRW mit produziert. NRW ist bundesweit ein starker Produktionsort. Und vor allem ist das TanzLand NRW ein guter Gastgeber für die Welt, das hat die Deutsche Tanzplattform 2018 mit ihrem internationalen Publikum gezeigt.

Großereignisse wie die Tanzplattform, hier nun in Essen, aber auch die alle zwei Jahre stattfindende Tanzmesse in Düsseldorf, die vorwiegend Produktionen aus der sogenannten Freien Szene zeigen, füllen die Theatersäle allein schon mit der Karavane des mitziehenden „Fachpublikums“, während sich die freie Szene bei ihren wenigen Aufführungen, die sie sich für ihre jeweiligen Produktionen leisten können, häufig nur sehr bescheidenen Zuschauerzahlen gegenüber sieht. Woran liegt das Ihrer Meinung nach und was kann gegen diesen Publikumsschwund getan werden?

 Die Tanzplattform Deutschland wie auch die Internationale Tanzmesse NRW sind Branchentreffen. 500 Fachbesucher aus der ganzen Welt haben das Programm erlebt. Zugleich sind sie auch für das tanzbegeisterte Publikum da. Die vielen diesjährigen Spielstätten haben das Festival für alle geöffnet. Doch Sie sprechen eine wichtige Frage an, der sich insbesondere die Experten, die Produzenten, Ensembles und Veranstalter widmen sollten. Wir unterstützen z.B. mit einer Abspielförderung, dass Produktionen weiterhin aufgeführt werden können, insbesondere im ländlichen Raum. Aber auch große Produktionshäuser wollen wir stärken, ebenso wie Mittelzentren für den Tanz fördern.

Ist es nicht grotesk, dass einerseits Tanzproduktionen gefördert werden, dass sich die Compagnien aber, die ihre beteiligten Künstler und sich selbst korrekt bezahlen wollen, deren Aufführungen in nennenswertem Umfang gar nicht leisten können? Was auch dazu führt, dass diese von den Medien und der Öffentlichkeit weitgehend gar nicht wahrgenommen werden. Der Diskurs also, der von der Kunst für die Gesellschaft ausgehen sollte, kaum mehr stattfinden kann. Wird dieses Problem in Ihrem Ministerium wahrgenommen und wann wird sich dessen angenommen werden?

Die Künstlerinnen und Künstler sind mit großem Engagement unterwegs, schaffen  Außergewöhnliches. Und haben ein starkes, tanzbegeistertes Publikum – das erlebe ich, seit ich hier bin, an den unterschiedlichsten Orten. Es steht außer Frage, dass der Tanz insgesamt besser gefördert werden muss.

Müssten die öffentlichen Förderer, vielleicht gemeinsam mit den Künstlern, nicht vollkommen neue Strukturen, Instrumente und Fördermodelle entwickeln, die dezidiert die einzelnen Elemente wie Recherche, die Entwicklung und Produktion und letztlich insbesondere auch die Distribution und Sichtbarmachung von Tanzproduktionen ermöglicht, von denen die Künstler einkömmlich leben können müssten? Hierin eingeschlossen auch vollkommen neue Wege der Distribution, die dann vielleicht auch jüngere Generationen anspricht und sie von der digitalen in die reale Begegnung mit Tanzkunst führen könnte.

Das Kultur- und Wissenschaftsministerium diskutiert diese Themen derzeit intensiv mit der freien Szene wie auch mit den Kommunaltheatern. Wir werden die Rahmenbedingungen stabilisieren und den Fokus auf die Stärkung der künstlerischen Arbeit und Recherche richten. Insgesamt werden wir die unterschiedlichen Handlungsfelder neu konzipieren und miteinander in Verbindung bringen. Ich bin zuversichtlich, dass wir im Rahmen der Neukonzeption der Förderung gemeinsam mit den Künstlerinnen und Künstlern Antworten finden werden.

(Das Interview war nur in schriftlicher Form möglich, daher gibt es hier auch keine Nachfragen, die wir im Gespräch ganz sicher gestellt hätten)