Zu „BRONZE BY GOLD“ – ein Kommentar an Stelle der geplanten Gesamtbesprechung mit Publikum-Stimmen

Ein Kommentar von Klaus Dilger

Das Recht zur öffentlichen Berichterstattung in Wort und Bild ist ein hohes Gut in einer freien, demokratischen Gesellschaft. Das Recht auf öffentliche Berichterstattung über Aufführungen des zeitgenössischen Tanzes, insbesondere der nichtinstitutionellen Choreopgraphen und Tanzensembles, ist dagegen eine reine Selbstverpflichtung der Medien und diese wird beklagenswerter Weise in den letzten Jahren immer seltener wahrgenommen.

Auch wenn dies teilweise ein „hausgemachtes“ Problem der Tanzschaffenden selbst ist, die immer weniger Aufführungen ihrer Produktionen zeigen, also immer weniger das öffentliche Publikum adressieren und sich immer stärker auf den Dauertropf steuerlicher Infusionen konzentrieren (weil Aufführungen Geld kosten, anstatt zu generieren*), beschleunigt diese reduzierte Sichtbarmachung des Tanzes durch die Medien einen Teufelskreis, in dessen Verlauf der zunehmende Schwund an Publikum steht. Diesen Kreis zu durchbrechen, daran arbeitet die intermediale Plattform für qualitativ hochwertigen Tanzjournalismus, das TANZwebNRW, seit 2011 mit immer grösser werdendem Erfolg.

Am 9.Oktober haben wir die Premieren Aufführung der neuen Reihe in der Kooperation zwischen den Tanzgastspielen der Oper Köln und dem Kulturamt der Stadt besucht, und sowohl Impressionen der Aufführung “Relics“  des Ensembles Emanuele Soavi INcompany mit den Duisburger Philharmonikern gedreht und veröffentlicht, als auch das Publikum im Anschluss des Abends zu Wort kommen lassen, da wir die Premiere im Theater Duisburg bereits besprochen hatten. So konnte der Tanzinteressierte sich ein umfassendes Bild über diese Arbeit machen, indem wir zu diesem Bericht noch einmal die Nachtkritik der Premiere und die von uns erstellten Videoimpressionen der Premiere online gestellt haben.

Dieser Beitrag hatte grossen Erfolg und ebensolches Publikumsinteresse: annähernd 60.000 Menschen haben zumindest das Ereignis wahrgenommen, fast 6.000 Menschen haben den Artikel gelesen und die Impressionen angeschaut. Das sind weit mehr „virtuelle Besucher“, als die gesamt nichtinstitutionelle Kölner Tanzszene im ganzen Jahr an Besuchern hat.

Gleiches war geplant mit der zweiten Aufführung dieser neuen Reihe, Stephanie Thiersch „Bronze by Gold“, das gestern Abend erstmals in Köln aufgeführt wurde. Hier hatten wir die Premiere in Berlin, im Rahmen von „Tanz im August“ besprochen und wollten nun unsere Videoimpressionen der Aufführung, ergänzend mit den Publikumsstimmen auf TANZwebKOELN.de drehen und veröffentlichen. Umso erstaunlicher und fragwürdiger der Wunsch der Choreographin (oder deren Management), hiervon abzusehen.

Aus diesem Grund können wir hier lediglich die Rezension unseres Kritikers Klaus Keil von der Uraufführung noch einmal aktuell veröffentlichen, dessen sehr kritische Meinung auch durch die Sicht einer der renommiertesten deutschen Tanzkritikerinnen, Dorion Weickmann in der SÜDDEUTSCHEN, gestützt wurde. Beide widersprechen mit ihren Rezensionen anderen, durchaus freundlicheren Besprechungen. Auch dies eine Vielfalt der Meinungen, denen ein beigestelltes Bild- und Videomaterial gut tun würde.

Mit dieser neuen und sehr begrüssenswerten Reihe an der Kölner Oper treten die Kölner Ensembles, die von einer Jury ausgewählt werden, zunehmend in die Situation eines internationalen Vergleiches, unmittelbar und insbesondere mit den erfolgreichen Gastspielreihen, die von Hanna Koller kuratiert werden, und den Arbeiten des Residenzchoreographen des Schauspiel Köln, Richard Siegal.

Neben den Wortrezensionen der Arbeiten, kommt unseren unabhängigen Bild- und Videoimpressionen eine grosse Bedeutung zu bei der umfassenden  „Besprechung“ der einzelnen choreographischen Werke. Diese verhelfen den Lesern und Besuchern unserer Plattform zu einem kritischen Gesamtbild. Ein solches kann aus der Sicht eines kritischen Journalismus heraus nicht durch die Werbeclips der Ensembles erfolgen. Bereits die Verwendung von Stückfotografien, die die Ensembles für Vorankündigungen bereit stellen, widerspricht eigentlich dem Gedanken der Unabhängigkeit, weshalb solche noch vor zwanzig Jahren von den Redaktionen durch deren Fotografen bei den Generalproben gefertigt wurden.

*(Der Umstand, dass die öffentliche Aufführung von öffentlich geförderten Produktionen in relevanter Zahl für die Künstler existentiell kaum mehr zu leisten ist und dass es allenthalben an Häusern fehlt, insbesondere in Köln, die Tanz vor grossem Publikum zeigen können und wollen, bedarf dringend einer Grundsatzdiskussion)

 

DIE NACHTKRITIK VON KLAUS KEIL ANLÄSSLICH „TANZ IM AUGUST“

 

Scheitern auf niedrigem Niveau

von

Klaus Keil

Mit „Bronze by Gold“ setzt die Choreografin Stephanie Thiersch ihre musikalisch-choreografische Kooperation mit dem Asasselo-Quartett fort. Dem im Frühjahr produzierten und vom Rezensenten als “missglückt” beschriebenen  „For four“, folgte nun diese neue Produktion mit Tänzern des Darmstädter Balletts.

Am Tag zuvor, im Haus der Berliner Festspiele, bei den immer noch erstaunlich ideenreichen (und hervorragend getanzten)  Stücken der kanadischen Choreografin Marie Chouinard, wurden vorsichtshalber Ohrenstöpsel verteilt. Kaum einer nutzte sie. Am Tag danach, im Radialsystem V, bei der Premiere von „Bronze by Gold“ der Kölner Choreografin Stephanie Thiersch hätte man gern welche gehabt. Bis auf einige stille Phasen herrschte nämlich ein infernalischer Lärm, den als „Musik“ zu bezeichnen ein Euphemismus wäre. Dabei sollte doch das Asasello-Quartett mit Beethoven und Illés wenigstens musikalische Schönheit zum Abend beitragen.Daraus wurde nichts. DJ Elephant Power hatte die Regie übernommen, das Asasello-Quartett ging darin unter wie die Fiedler auf der Titanic. Also scrachte der DJ auf Deubel komm raus mal allein, mal mit dem Quartett und mal ergänzt vom Geschrei der Performer quer durch die elektronische Musik: eine Kakophonie des Unsinnlichen, ja, des Absurden.

Das hätte man sicher noch verschmerzen können, war man doch hauptsächlich wegen des Tanzes und der Choreografie eines Stückes mit dem vielversprechenden Titel „Bronze by Gold“ gekommen. Doch schon nach wenigen der ermüdend langen achtzig Minuten des Stückes war klar, dass auch die Choreografie kein strukturierendes Element werden konnte. Denn auch die Choreografin scrachte in einem Bewegungspool, in dem sich nicht nur überflüssige, sondern auch banale, unsinnige, alberne, nichtssagende Bewegungen befanden – nur leider kein Tanz. Das empfanden wohl auch eine Handvoll Zuschauer so, die erkenntlich vor dieser unsinnlichen Bewegungsorgie flohen.

So torkelten, stolperten, stürzten, zuckten, rasten oder zappelten die Performer oft orientierungslos wirkend über die Bühne, fanden offensichtlich nur Halt, wenn sie sich zum wiederholten Male zu einer amorphen Masse fanden, einem Leiberklumpen, in dem sie sich gegenseitig stützen konnten, um gleich wieder auseinander zu streben. Dann wieder erstarren sie zu Standbildern, deren Sinn sich nicht erschließt.

Folgt man den Erläuterungen des Programms, soll dieses Bewegungschaos wohl eine sich im Umbruch befindliche Gesellschaft darstellen, wobei es eine Sache ist, dies inhaltlich auf die Bühne zu bringen. Doch das nach der Chaosforschung immanente ordnende Element in eine tänzerische Performance, sprich: Choreografie umzumünzen, ist eine ganz andere Sache. Da helfen auch die Phrasen des Programmheftes nicht weiter, in dem von „postapokalyptischen Umklammerungen“ gefaselt wird, oder von „prä-apokalyptischen“, bei denen „ein Ende … nicht in Sicht ist“ (Programm-Zitate). Von Stil und Rhythmus, die sich verflechten, ist dort die Rede – doch was findet sich denn davon auf der Bühne wieder? Welcher Stilrichtung sind denn diese prä- und postapokalyptischen Bewegungen zuzuordnen?

Auch inhaltlich erweist sich dieses Stück als reine Behauptung, wenn nicht gar als Mogelpackung: „Bronze by Gold“ ist ein Zitat aus James Joyce´s Ulysses. Es bezieht sich auf das bronzene und blonde Haar zweier Bardamen, die, ergänzt um eine Prostituierte, als Sirenen unverkennbar an Homers Irrfahrten des Odysseus erinnern und Joyce zu einem großartigen assoziativen Gedankenstrom führen. Gespannt hatte man erwartet, dass dieses vielfältige literarische Beziehungsgeflecht Stephanie Thiersch zu einem choreografisches Ideen-Feuerwerk inspirieren würde – doch das blieb aus. Mangels Erkenntnis oder mangels Fähigkeit? Mehr als ein mageres Sirenengeheul im Stück erinnert nicht an Joyce. Zurück bleibt die Enttäuschung über vertane Chancen und nicht eingelöste Versprechungen, die der Titel suggeriert.

Höchst bedauerlich, dass ausgerechnet der Kölner Beitrag von Stephanie Thiersch sowohl technisch wie inhaltlich den Tiefpunkt dieses Festivals darstellt, der im Umfeld hochkarätiger, auch experimenteller Tanzstücke eines Tao Ye, einer Marie Chouinard und gar einer Lucinda Childs schmerzlich und unübersehbar zu Tage tritt.

26.August 2015 TANZwebKoeln

AUS DORION WEICKMANN’S ARTIKEL – SÜDDEUTSCHE ZEITUNG:

„…

Gute und schlechte Qualität lässt sich in der Tanzkunst relativ rasch unterscheiden. Das Gelungene besticht durch präzise modellierte Form. Mindere Ware verrät sich durch bloßes Design. Beim Berliner Festival „Tanz im August“ sorgte die Choreografin Stephanie Thiersch für entsprechendes Anschauungsmaterial. Statt wie verheißen „Bronze by Gold“-Ideenblitze zu zünden, soffen Thierschs tanzende Party-Aktivisten in Technogewittern ab. Weder ihre Krabbel-und-Grabbel-Orgien noch das wacker mitfiedelnde Streichquartett kamen im Radialsystem gegen den Mischpult-Overkill an. Es war der Ausreißer eines Programms, das im Subtext nichts anderes verhandelte als Fragen der bei Thiersch so grotesk verunglückten Form.“

 

30.August 2015