ERNEUT VIER SEHR UNTERSCHIEDLICHE SOLI AM ZWEITEN WOCHENENDE DES 6.INTERNATIONALEN BONNER TANZSOLOFESTIVALS – NUR EINES VERMAG SPUREN ÜBER DEN TAG HINAUS ZU HINTERLASSEN

Eine Nachtkritik von Klaus Dilger

HIER GEHT ES ZU VIDEOIMPRESSIONEN „PATTERN_BODY“

HIER GEHT ES ZU DEN VIDEOIMPRESSIONEN VON „AGAINST THE CURRENT, GLOW“

 

PATTERN_BODY

Nahezu die Hälfte seines etwa fünfundzwanzig Minuten dauernden Solos „Pattern_Body“ widmet der aus Südkorea stammende Tänzer und Choreograf Dong UK Kim dem Ablegen seiner schwarzen Kleidung. Zwischen Ritual und Akrobatik legt er diesen in Stille stattfindenden Vorgang an, bis er schliesslich symbolisch nackt vor seinem sorgsam geschichteten Kleiderbündel zwischen zwei, Bühnen mittig auf Stativen angebrachten, noch schwarzen Scheinwerfern kniet. Ansatzlos fällt er seitlich in das Dunkel.

Die nun einsetzende Musik und das, abwechselnd von links oder rechts kommende, wärmende Licht erfasst seinen Körper und durchdringen ihn mit den Wellen, die sie nun einmal sind, bis sein Körper selbst zu zittern beginnt. Aus dem liegenden Zittern entsteht nach und nach ein wundervoller Akt  der Menschwerdung, ein von Lichtraum und Gesang ergriffener, stehender und mit Armen und Torso vibrierender, beseelter, tanzender Körper.

Er wendet sich ab und schreitet ins Dunkel.

Viel Applaus für Dong UK Kim in der Bühne der Brotfabrik Bonn, der für dieses Solo bereits in Seoul beim internationalen Choreographen Festival mit dem Sonderpreis der Jury ausgezeichnet wurde.

DREAM F.H.

Mit der Faszination von Licht befasste sich auch Yaron Shamir aus Israel in seinem Solo „DREAM F.H.“, wenngleich auf gegensätzliche Weise. In dichten Nebel getaucht sind Zuschauerraum und die Bühne, auf der ein merkwürdiges, monströses Ding beim Einlass des Publikums zu lauern scheint. Zeit ist hier ein Gefühl und gleichzusetzen mit Endzeitstimmung, eine Art „Mad Max“-Szenario. Die Soundcollage aus der Musik von Yasmin Levy, Hossein Alizadeh und Djivan Gasparyan tut ihr Übriges. Als sich der Nebel etwas gelichtet hat, entpuppt sich das „monströse Ding“ als ein fahrbares, mit zahlreichen Gelenklampen bestücktes Stuhlgefährt, das je nach Lampenstellung zwischen Folterinstrument, Zahnarzt-, Elektrischem Stuhl oder Baufahrzeug changiert und den Handelnden entsprechend in Szene setzt.

Yaron Shamir inszeniert einen Albtraum, der durchaus auch witzige Momente in seiner Skurrilität bereithält und dabei doch keine tiefere Wirkung und Nachhall zu erzeugen vermag. Ein Spiel mit Effekten – nicht mehr und auch nicht weniger.

AGAINST THE CURRENT, GLOW

Beide Präsentationen kontrastierten mit den Versuchsanordnungen, die der Brasilianer Cristian Duarte den Tänzern des schwedischen Cullberg Balletts, Agnieszka Dlugoszewska und Samuel Draper, zuvor im Theater im Ballsaal verordnet hatte: „Mit AGAINST THE CURRENT, GLOW schuf der brasilianische Choreograf Cristian Duarte zur Auftragskomposition für Theremin und Synthesizer seines Landsmanns Tom Monteiro seine erste Arbeit für das legendäre Cullberg Ballett. Der Ausgangspunkt für die Soli war die Idee einer Forschungsreise in die Tiefen der Archive des Wahrnehmungsvermögens von Tänzern. Zuvor hatte Duarte eingehend die Trainingsgeschichte und die Bewegungen, die die Tänzer in vorangegangenen Choreografien geschaffen hatten, studiert. Seine Idee war, ältere und neuere Stücke zu vermischen und zu sehen, wie dieses Nebeneinander von Vergangenem und Kommendem die Bewegungs-entscheidungen der Tänzer beeinflusst.“ (Programmheft)

Was in Duartes Solo „The Top 100“, das in Bonn und Köln in 2013 und 2014 zu sehen war, noch einen gewissen Reiz aus der Wiedererkennung und dem interpretatorischem Kontrast zu den bekannten Repertoirestücken bezog, blieb hier weitgehend hermetisch auf die guten Tänzer begrenzt. Konzepttanz, der zumindest das Wort Tanz noch verdiente. Auch Licht und Raum blieben merkwürdig beliebig, ebenso wie die Auftragskomposition.

„Gegen den Strom“, so wie es der Titel verheisst, evoziert die Vorstellung von Kraft, Ausdauer, Richtung und Zeit. – Hiervon war wenig spürbar in diesem wundervollen Raum, den das Bonner Theater im Ballsaal darstellt. Vielleicht liess der Choreograf seine Tänzer bewusst in diesem Raum treiben, vielleicht waren es andere, die gegen den Strom anschwammen, an denen sie vorbeigespült wurden?

Zu Beginn der jeweils dreissig minütigen Soli, die beide sehr ähnlichen Mustern folgten und deshalb vermuten lassen, dass beide Tänzer die gleichen Referenzerfahrungen früherer Stücke nutzten, tauchten die Protagonisten ihre Unterarme in einen geflickten orangenen Plastikeimer, die daraufhin mit buntem Glitzer behaftet waren. – Stardust! – mit oder gegen den Strom? – „only dead fish swim with the current“ sagt ein altes chinesisches Sprichwort…

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