SOEBEN ZU ENDE GEGANGEN:

„Du bist nicht allein“ von HARTMANNMÜLLER

beim Festival „move!“ in der Fabrik Heeder

Nachtkritik von Bettina Trouwborst

Eine Szene von der Dramatik eines Mordes im Fernseh-Krimi: Die Musik hämmert unheilvoll, als Daniel Ernesto Mueller unförmige Dellen unter dem Boden entdeckt. Sorgfältig zieht er die Klebebänder des Tanzteppichs ab und greift darunter. Doch statt einer Kinderleiche holt er nichts als bunte Luftballons hervor. Ein typischer Moment für die neue Produktion von Hartmannmüller.

Das Duo entführt in der Uraufführung von „Du bist nicht allein“ in der Krefelder Fabrik Heeder an einen unwirklichen Ort, wo alles möglich scheint und garantiert anders kommt als erwartet. Simon Hartmann und Daniel Ernesto Mueller treiben ein verrücktes Spiel mit dem Publikum. In ihrem absurden Universum zwischen Horrortrip, Illusionstheater und Lasershow herrscht Irritation als Dauerzustand. Brillant verstehen sich die beiden auf Suggestion und fesseln das Publikum so über weite Strecken.

Ungemütliche Locations sind dankbare Spielstätten. Sie bieten eine düstere Kulisse, vor der szenisches Spiel leuchten kann. Im Sommer lockten die beiden Jungs mit der Performance „Under the Bridge“ im Rahmen von „Move! in town“ unter die Autobahnbrücke am Schönwasserpark der A 57. Ein beeindruckendes Spektakel unter Fahrzeuglärm und -abgasen. Damals zeigten sie ein Schild hoch mit der Aufschrift „ Du bist nicht allein“. Diesen aufmunternden Spruch wählten sie nun zum Titel für die Weiterentwicklung der Performance zum Bühnenformat. Blanke Ironie: Hier könnte er gemeint sein im Sinne von „Du bist nicht allein mit deinen Neurosen“.

Viel Zeit nimmt sich Daniel Ernesto Mueller in der Eingangsszene, um den düsteren, fast leeren Raum zu erkunden. Er geht herum, schaut sich um und betastet die Pfeiler des Saals. Aus einem quer liegenden Pfeiler quillt, vermutlich in Anspielung an die A 57, Nebel. Gegenüber ist eine harmlos scheinende Apparatur mit Griffen an einem Pfeiler befestigt. Wenn der Tänzer sie berührt, löst sie zu Techno-Beats ein Zappeln, Zerren und Zittern bei ihm aus, als stünde er unter Strom. Mueller agiert mit großem Ernst, so dass man das rote Etwas, das plötzlich aus seinem Mund hängt, für Blut oder seine Zunge hält. Doch das Unheimliche entpuppt sich, wie so oft an diesem Abend, als Luftballon.
Bedrohung und Gewalt, die sich unerwartet in Harmonie auflösen, sind bei Hartmannmüller ein beliebtes Stilmittel. Es ist auch eine ironische Selbstbetrachtung, die die Illusionsmaschine Bühne spiegelt. Kontraste rhythmisieren das Stück. Das fällt besonders auf, wenn mit Simon Hartmann der zweite Protagonist des Abends  wie ein Maulwurf unter dem Tanzteppich hervorgekrochen kommt. Er erkundet neugierig den Raum, während sein Kollege am Elektroschocker zappelt.   Hartmann betrachtet fasziniert einen rot illuminierten Ball, der sich wie der Planet Mars zu psychadelischen Offenbarungsklängen dreht. Am Ende ist er nur der rote Luftballon. Wenn die beiden Männer zueinander finden, tanzen sie beinahe wie zwei Roboter seriell anmutende, ästhetische Bewegungsfolgen. Minutenlang schauen sie sich in die Augen, bevor die Situation kippt. Die beiden geraten aneinander. Während Hartmann danach versonnen durch den Raum tanzt, dreht sein Partner völlig ab. Zu harten Rhythmen bläst er Ballons auf und befestigt zwei wie Hasenohren auf seinem Kopf. Dann zieht er ein Seil zu sich heran, an dem überraschenderweise ein Mikrofon hängt, nimmt es zwischen die Zähne und posiert als bizarr-bekloppte Ikone. Befremdlich und faszinierend zugleich sind diese Einfälle, ihre verstörende Wirkung verfehlen sie nicht.

„Du bist nicht allein“ ist ein ständiger Balanceakt von Grusel, Albernheit, Poesie und Humor. Und des Timings. Denn der vibrierende Spannungsbogen hat kleine Hänger innerhalb der knappen Aufführungsstunde.

So gerät das Finale aus einer solchen, grenzwertigen Szene zum Hokuspokus-Höhepunkt. Mueller erscheint als galaktischer Jedi-Ritter mit neonleuchtendem Schwert und futuristischer Brille. Gekleidet in ein Weltraum-Outfit, singt er einen Song über Galaxien. Ziemlich albern. Doch da schießen grüne Laserstrahlen in Fächerform ins Publikum, verzaubern den Raum. Und Hartmann zeigt eine schmunzelnde Choreografie für seine LED- Schuhe.

Reizdurchflutet – oder -überflutet? – macht man sich auf in die Nacht. Noch immer Grenzbereich . . .

Aufführungstermine im Tanzhaus vom 15. Dezember bis 17. Dezember