SOEBEN ZU ENDE GEGANGEN:

„UNLIKELY CREATURES“  VON BILLINGER&SCHULZ IN DER FABRIK HEEDER IN KREFELD

STARKE BILDER – REICHT DAS?

eine Nachtkritik von Klaus Dilger

„ UNLIKELY CREATURES (1) who we are“ – das klingt ein wenig wie „STAR WARS (Episode 1) – die Folge „…“ oder vielleicht auch so, als hätte da jemand soviel zu erzählen, dass eine Episode gar nicht ausreicht.

Auch Oswald Kolle hatte in den Siebzigern soviel aufzuklären, dass es immer neue Folgen über die Frau, den Mann und sonstige „unbekannte Wesen“ gab. Doch damals wollten die Menschen das tatsächlich wissen, weil es offenbar ihr Leben betraf oder zumindest den Teil, mit dem sie nicht fertig wurden, weil es ihnen an Information, Wissen und Mut fehlte, um einen scheinbar wichtigen Teil ihres Lebens so zu meistern, dass sie auf persönliches Glück hoffen durften.

Billinger&Schulz begeben sich mit „UNLIKELY CREATURES“ auf ein Terrain, von dem sie laut Programmheft behaupten, sie widmeten sich „der Beobachtung, dass Choreographie seit ihrer Entstehung (die sie) in der Renaissance und Barock (verorten) den Menschen immer auch andere Geschöpfe tanzen lässt: Sonnen, Feen, Monster, Nymphen, Planeten. Und (sie) stellen sich die Frage, wie die Verkörperung von phantastischen Kreaturen damit zusammenhängt, dass der Mensch in seinem eigenen Bild nie aufgeht und so selbst zu einem unwahrscheinlichen Wesen wird.“

Derlei Thesen mögen Professoren in den Kunststiftungen entzücken, doch hierbei handelt es sich nicht um die Antragslyrik eines Abgängers einer Hochschule für Musik und Tanz, sondern um ein Duo, dass seit 2015 und noch bis 2017 mit der Spitzenförderung des Landes NRW im Bereich TANZ bedacht wurde.

Ob Billingen&Schulz tatsächlich irgend etwas mit Tanz und Choreographie „am Hut haben“ und welche Kenntnisse sie auf diesem Gebiet wirklich haben, lässt sich nach dem Besuch von „UNLIKELY CREATURES“, pardon (1), nicht wirklich sagen. Ihre Zitate und Anleihen aus verschiedenen Formen und Stilen des Tanzes sind plump und zeugen davon, dass hinter denselben kein körperliches, tänzerisches Wissen steht, sondern das Nachäffen von scheinbaren Merkmalen, mit denen sie , leider, stets in der Bedeutungslosigkeit liegen. Doch geht es darum überhaupt und interessiert dies überhaupt ein (Noch)Tanz-Publikum? – Wohl kaum.

Ganz anders als in ihrer Demonstration in den „Open Studios“ während der diesjährigen Tanzmesse in Düsseldorf, als sie die Fachwelt erbosten, indem sie dieses Schaufenster „nutzten“, um in der zur Verfügung stehenden halben Stunde gerade einmal eine halbe Köperumdrehung liegend zu absolvieren, was sie dann als Einblick in ihre neue Forschungsarbeit deklarierten, oder während des FAVORITEN‘16 Festivals mit ihrer Installation „Absent Horse“, die nicht anders als „dilettantisch“ in jeder Beziehung (handwerklich und als Idee) bezeichnet werden kann, gelingen ihnen hier, trotz aller genannten Einwände, Bilder im Zusammenspiel mit den Musikeinspielungen oder Kompositionen oder DJ-Arrangements von Anton Kaun, die eine gewisse Sogkraft entwickeln.

Dies ist erstaunlich! – Ist dies erstaunlich?

Gibt es in Krefeld noch Zuschauer, die Sätze sagen könnten wie: „das hat mein Schamgefühl verletzt“, wenn plötzlich und ohne ersichtlichen Grund nackte Darsteller auf Augenhöhe zum Betrachter mit ihrem „Gemächt“ die „Glocken läuten lassen“? – Nein, das gibt es höchstens noch auf der Schwäbischen Alb und wenn eine Zuschauerin sich in der ersten Reihe die Augen bedeckte, dann wohl eher als „Oh jeh, schon wieder….“

Doch auf der Bühne agieren Menschen und in der Fabrik Heeder erleben diese jede Reaktion (oder Nichtreaktion) hautnah mit. Jungyun Bae, Ludvig Daae, Frank Koenen, Nicolas Niot, Judith Wilhelm sind die Namen. Keine begnadeten Tänzer*innen, wie das vielleicht bei einem sogenannten „spitzengeförderten“ Ensemble zu erwarten oder zu erhoffen wäre, aber Performer die sich durchkämpfen – und wie!

Ihr Wille und ihre letztendliche Authentizität war berührend, eben weil es so offensichtlich ist, dass die choreographische Vorlage dies eigentlich überhaupt nicht hergibt, so dünn ist sie!

Nach und nach gelingen den Tänzern und somit Billinger&Schulz wirklich starke Bilder, insbesondere befördert durch die „Kriegs“bemalung der Tänzerinnen und Tänzer (auch dies ein Wissen, das kaum als neu zu bezeichnen ist). Plötzlich entsteht etwas wie eine soziale Plastik: nicht Jeder ist zwar ein Tänzer  – aber jeder wird zum Krieger – hiervon – und allein hiervon – geht in diesem Stück eine Kraft aus, die letzlich die Inszenierung dennoch rettet.

Die Performer bedecken ihre primären Geschlechtsmerkmale mit Farbe, löschen sie aus oder akzentuieren sie, ergeben sich der Musik, Bilder entstehen so, auch von magischer Sogkraft – manchmal auch von Schönheit! – Doch reicht das? – Wir wissen es nicht.

Weite Teile der Freien Tanz-Szene in NRW ergeben sich der „blossen Behauptung“, wo ansonsten kaum Substanz zu finden ist, da sind Billinger&Schulz nicht allein, auch nicht in der Spitzenförderung des Landes*, und sie scheinen damit Erfolg zu haben. Das schwächt den Tanz, die Choreographen, die etwas zu sagen haben, die Tänzer*innen, die etwas zu geben haben und das Tanz-Publikum, das die „Behauptungen“ nicht mehr goutieren will.

Jede zweite Vorstellung sollte eigentlich den Titel tragen „DES KAISERS NEUE KLEIDER“ und dies solange, bis endlich wieder jemand den Mut hat zu sagen:

„DIE SIND DOCH ALLE NACKT!“

* Anders als in der Spitzenförderung des Theaters, bleiben die Juroren, die für die Förderungen im Tanz zuständig gemacht werden anonym – das sollte dringend geändert werden!