Factory Artist Ligia Lewis zeigt „minor matter“, eingeladen zur Tanzplattform Deutschland, am Tanzhaus NRW

Eine Nachtkritik von Bettina Trouwborst

Eine Einladung zur Tanzplattform Deutschland ist nicht zwingend ein Gütesiegel. Wer neugierig nach Düsseldorf ins Tanzhaus NRW fuhr, um Factory Artist Ligia Lewis und ihre soeben gekürte Produktion „minor matter“ noch vor der Biennale des zeitgenössischen Tanzes in Essen im Frühjahr zu sehen, erlebte eine effektvolle Show dreier großartiger Mover. Und sonst? Ach ja, die drei Tänzer sind schwarz. Ligia Lewis stammt aus der Dominikanischen Republik, hat in Florida und Virginia ihre Ausbildung absolviert, bevor sie in Europa als Tänzerin arbeitete, zum Beispiel bei Eszter Salamon. Und ihre Hautfarbe steht laut Programm im Zentrum des Stückes. Aufstand gegen Unterdrückung? Plädoyer für eine Politik der Minderheiten? Bilder des Todes? Fehlanzeige. Überhaupt, eine künstlerische Aussage, geschweige denn eine sozialpolitische, muss man angestrengt suchen.

Das Trio lebt Emotionen aus, es wird gelacht, geschrien, gejammert, dazu reichlich Bühnennebel, sehr theatralisch. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Diskriminierung sieht anders aus. In New York, wo Ligia Lewis kürzlich den Bessie Award für dieses Stück entgegennahm, weiß man diese unterhaltende Ästhetik offenbar zu schätzen. Das Publikum im Tanzhaus applaudierte freundlich. „Minor matter“ heißt übrigens „Nichtigkeit“. . .

Der Titel ist vermutlich doppeldeutig gemeint: Mit „eine Angelegenheit der Minorität“ könnte man ihn auch übersetzen. Es würde Sinn machen, denn Minderheitenpolitik, betont Ligia Lewis in einem Interview, sei ihr ein Anliegen: „Mein Körper ist dazu verurteilt, immer etwas für ein weißes Publikum zu repräsentieren. Aber mein Körper kann mehr sein als nur ein Abbild eurer racial phantasies“, äußerte sie sich gegenüber dem WDR.

Das klingt bitter. Wer aber Lewis und ihre beiden Mitstreiter in ihrem jüngsten, eher gefälligen Stück sieht, ist beeindruckt von einem hochenergetischen, Lebensfreude versprühenden Tänzer-Trio. Lustvoll und beinahe kokett zitiert es westliche Werte: Siegerposen, Sportler am Start, Artistik, Wrestling – aber auch einen hechelnden Hund. Allerdings sind die Augen der drei durchtrainierten Protagonisten wie tot: schwarze Kontaktlinsen verstellen den Blick. Das wirkt befremdlich, denn die Körper sind quicklebendig und konterkarieren den Effekt. Voller Sinnlichkeit zerlegt die junge Choreografin Maurice Bejarts Jahrhundert-“Boléro“ und drückt ihm einen afro-amerikanischen Stil-Stempel auf: Statt einer Solistin/einem Solisten, die/der  umgeben von Männern auf einer Tischplatte tanzt, inszeniert sie ein kollektives Spektakel aus Stammesritual und zeitgenössischem Tanz.

Es gibt aber auch durchaus ernsthafte Momente. Im Rotlicht rollen die Drei unter einem Zaun aus Laserstrahlen hindurch. Dabei bilden sie eine Linie, die Füße jeweils auf den Schultern eines anderen. Trumps Mauer kommt einem in den Sinn. Es kommt auch zu Gewalt  und Vergewaltigung unter den Protagonisten. Doch selbst in solchen Szenen wird das inhaltliche Anliegen Effekten untergeordnet. Ein blanker Anus im Lichtspot ist da überdeutlich.

Die Stimmungen kippen schnell, schon tollt man wieder freundschaftlich herum. Lewis‘ Erfindungsgabe im Inszenieren von Körperskulpturen, also auf-, in-, über- und miteinander verschlungenen Tänzern, ist opulent. Ihr Bedürfnis, Grenzen zu durchdringen, ist spürbar. Das gilt nicht nur für technische und ästhetische Fragen, sondern auch für räumliche: Immer wieder springt ein Tänzer mit dem Körper gegen die schwarze Mauer, als wolle er das Theater sprengen und  die Linie zwischen fiktiver und realer Welt überschreiten. Ganz am Ende, wenn die drei die Bühnenwand bis unter die Decke, quasi auf dem Weg aus dem Guckkasten auf die Straße erklommen haben, ruft Lewis: „Black! “ Wieder ein Wortspiel: Im Englischen meint es, neben der Farbe, „ Licht aus!“ oder „Vorhang!“ Ein pfiffiger Abgang für eine selbstgefällige Performance, deren gesellschaftspolitischer Anspruch sich nicht einlöst.