Das Pottporus-Festival präsentierte zwei Tanzpremieren an einem Abend: „Henry & Edward“ von Rubberlegz und James Gregg und „In Wahrheit bin ich ein Pferd“ von Nathalie Larquet

Eine Nachtkritik von Melanie Suchy

Photos: Oliver Look

Eine interessante Paarung war an diesem zweiten Abend des diesjährigen Pottporus-Festivals zu sehen. In beiden Stücken, beiden Premieren, in Bochum und in Herne, ging es um Polaritäten oder um zwei Gesichter oder Erscheinungsformen einer einzigen Figur. Auch wenn bei Stück Nummer eins vier Darsteller, ein Video und ein Musiker auf der Bühne waren; und bei Stück Nummer zwei nur zwei Performer: zwei Männer und Nebel. So extrem unterschiedlich die zwei Choreographien aussahen, so griffen doch beide in die Mythenkiste bei der Themenwahl, und ihre Funde trieften ziemlich vor Pathos. Nicht ganz so tief griffen Rauf Yasit und James Gregg, die sich als Duo Wewolf nennen und ihr Stück „Henry & Edward“. Schon ihr wölfisches „We“ meint eine Art Persönlichkeitsspaltung oder -doppelheit, und auch die zwei Vornamen des Stücktickels beziehen  auf die berühmten literarischen Figuren „Doktor Jekyll und Mister Hyde“. Auf der Bühne sieht man: Zwei, die ohne einander nicht sein können, in vielfältiger Körpergliederverhakungskonstellation. Der Pelz der Wölfe aber wandert auf wunderliche Weise in das Stück von Nathalie Larquet ein, die unterm Label My Lovely White Dog produziert: „In Wahrheit bin ich ein Pferd – proxima centauri“ heißt ihr Werk, das sich dem Menschlich-Tierischen widmet. Dies findet sie nicht im Wald und auf der Weide, sondern im Weltraum und beim Alten Römer Ovid. Das Stück selbst hält leider diese Distanzen nicht aus.

Schweifen

Die Enge, die unmögliche und die geniale, beschwört das Duett des bekannten Berliner Urban Dancer Rauf Yasit aka RubberLegz und des amerikanischen Tänzer-Choreographen-Kollegen James Gregg, der in Montréal lebt. Sie hatten im Frühjahr 2017 ein Tanzvideo namens „Fall“ veröffentlicht und offenbar gemerkt, dass in den vier Minuten mehr steckt. Noch tausend mehr Möglichkeiten, einander zu fassen, zu schieben, zu halten, zu heben. Verhaken, Verknoten, Überkreuzen. Auch mehr Drama. Das ist einerseits brauchbar, um die nun längere Version dramaturgisch an der Spannungsleine zu halten, andererseits auch schade, weil das Spielerische dieser erstaunlichen Kontakterfindungen verleugnet wird. Die sorgenvollen Minen wirken aufgesetzt. Aber das Plädoyer für die im B-boying ungewöhnliche Nähe kommt an. Standing ovation in den leider spärlich besuchten Flottmannhallen Herne. Das Stück ist ein toller Hingucker.

Die gleiche Kleidung, Hose, T-Shirt, signalisiert ganz einfach das Zwillingshafte der beiden Tänzer; und obwohl eine sparsam instrumentierte Version des Songs „Tainted love“ das Duett begleitet, hat es keinen Funken Erotik. Eher eine Prise Wut. Im Grunde bleibt es, bis auf ein paar Schubser, bei ganz funktionalen Angelegenheiten: die eine Hand durch den Winkel des Knies des anderen zu schieben, das Bein hinter den Hals, die anderen Glieder daran zu arrangieren, sich heranzuziehen oder den anderen wegzudrücken oder zu wenden. Mal langsam, mal schnell. Klemmen sie aneinander und rollen nur die Köpfe, strecken die Beine aus dem Klump, tauschen die Arme, verkrallen die Finger, stellen Ellbogen auf Knie, stehen gemeinsam auf drei Beinen, dann werden sie tatsächlich zu einer einzigen Kreatur. Doch schnell wird sie umgebaut und zerfließt wieder, nie stellen die Tänzer zirkushaft ihre „Tricks“ aus. Verbiegt RubberLegz seine Beine dann nicht nur zum Lotussitz, sondern um seine Schultern herum, ist das eben wie ein eigener Name in dieser Zweiergeschichte. Kollege Gregg wiederum ist der Größere, der das verhakte Bündel auf seine Knie setzen und mit den Armen zur Seite schwingen kann. So wechseln Einigkeit und Trennung ab. Immer wieder.

Auch die Musik dräut streckenweise eher unangenehm, quietscht, sirrt, brummt elektronisch, andere Male singt Lisa Gerrard von Dead Can Dance ihre sehnsüchtigen Lieder in Fantasiesprache…..