Mette Ingvartsen als spöttische Porno-Queen in ihrem neuen Stück „21 pornographies“, das im PACT Zollverein Essen Premiere hatte

Eine Nachtkritik von Nicole Strecker 

Lange dauert es nicht, dann knöpft Choreografin und Performerin Mette Ingvartsen die elegante schwarze Hose auf und schon kriegt man den ersten Private-Parts-Blitzer: Sie streckt dem Publikum ihr makelloses Tänzer-Gesäß entgegen. Keine große Überraschung, wir sitzen schließlich in einem Stück über Pornografie und: Wir sitzen in einem Stück von Mette Ingvartsen. Die ist seit jeher ein Naturtalent als Nackte auf der Bühne – so schamlos und freizügig präsentiert sie den gertenschlanken Leib, dass auch der verklemmteste Voyeur bald schon seine Neugier verliert und den Fokus richtet auf das, was Ingvartsen da eigentlich tut auf der Bühne. Zumal: Es ist ja die ewig-aufrüttelnde Frage über den Zusammenhang von Sex und Macht, die Ingvartsen obsessiv um- und antreibt. Diverse Stücke, genannt „Red Pieces“ hat sie zu diesem Thema schon kreiert. Nach erfolgreich heiteren Kopulations-Choreografien und erotischen Genderverwirrungen setzt sie nun ihre mehrteilige Sex-Serie fort mit einem One-Woman-Act. Ein Stück über die Pornografie. Das bedeutet bei Ingvartsen Text. Viel Text.

Mette Ingvartsen erzählt in englischer Sprache eine lange Passage aus den „120 Tagen von Sodom“ von Marquis de Sade. Der wiederum erzählt von einer Frau, die ihrerseits erzählt, nämlich von ihrem ausschweifenden Sexleben zur Erregung und Inspiration der greisen Libertins. Weiter weg als über diese diversen Meta-Erzählebenen kann man sich die Perversion eigentlich nicht vom Leib halten. Und tatsächlich bleibt Ingvartsens Haltung gegenüber den von ihr imitierten Pornographie-Techniken überwiegend die der ironischen Distanz, mit der sie zeigt: Sexualisierte Gewalt – das ist kühlkalkulierte Inszenierung und kopfgesteuerte Manipulation.

Sie berichtet von einem Porno-Filmdreh, bei dem sich eine ‚Venus‘-Dame in einem Bad aus flüssiger Schokolade räkelt, und Ingvartsen imitiert die Szene, wenn auch ohne Schokosauce. Sie spielt einen wohl 70er-Jahre-Soft-Porno nach, bei dem sich die Darsteller mit Zappeln und Headbanging wie bei ‚Osho‘ in der psychodelischen Ekstase verlieren. Und sie führt schlechte Show-Tänze vor, mit denen im Sex-Business das Begehren geweckt werden soll. Dann charmiert sie mit unwiderstehlichem Lächeln, lässt Pobacken zittern und Brüste wackeln, die bei ihr tänzerinnen-typisch mehr imaginiert als tatsächlich vorhanden sind – und auch das dürfte spöttisch auf die plumpe Schummelei mit blühenden Männerfantasien in der Porno-Industrie verweisen.

Mette Ingvartsen ist eine fantastische Performerin und clevere Choreografin. Seit dieser Spielzeit gehört sie zum Leitungsteam der Berliner Volksbühne um den umstrittenen Intendanten Chris Dercon. Mit ihr und dem Kollegen Boris Charmatz soll künftig dort der Tanz fest im Programm verankert sein. Einer ihrer ganz frühen Förderer aber ist das PACT Zollverein in Essen. Schon als Studentin bei der Brüsseler Choreografen-Schmiede P.A.R.T.S. von Anne Teresa De Keersmaeker gastierte sie 2001 im Ruhrgebiet. Später zeigte PACT fast alle ihre Stücke: Die einen, die sich der Erschaffung von „künstlicher Natur“ auf der Bühne beschäftigen, mit Klima und Katastrophen. Und die anderen über die Funktion der Sexualität in der Gesellschaft, die – offenbar hat sie ihren Foucault gut gelesen – natürlich eine der Gewaltausübung und Kontrolle ist.

Warum es nun ausgerechnet „21 pornographies“ sein sollen? Keine Ahnung, in jedem Fall treibt ihre Demonstration diverser Praktiken die Sex-Expertin immer weiter fort von den Zuschauern. Anfangs sitzt sie noch halbnackt im Publikum. Später verliert sich ihr Körper allmählich in den Dämpfen der Nebelmaschine. Außer ein paar leuchtenden Neonröhren hat Ingvartsen nichts auf der Bühne, nur ihren nackten Leib, der uns alles über Exzess und Orgien lehrt. Und so wenig der Abend erotisches Begehren wecken will, so lustvoll ist doch ihr sarkastischer Flirt mit dem sadomasochistischem Schund – was allerdings auch ein Problem des Abends ist: Über die extrem gut gemachte Illustration pornografischer Mechanismen, die den Theatersaal in amüsiert-angeekelter Empörung eint, gelangt das Stück letztlich nicht hinaus. Auch dann nicht, wenn gegen Ende Ingvartsen der Ernst packt und sie zeigt, welch‘ zerstörerisches Grauen in der sexualisierten Gewalt steckt. Dann zieht sie sich weit in den Bühnenhintergrund zurück. Sie hält eine Leuchtstoffröhre über ihren Kopf als sei sie daran gefesselt und dreht sich endlos lange um die eigene Achse. Ein Sack verbirgt ihr Gesicht und drängt eine Erinnerung auf: die an die Folterbilder aus Abu Ghraib. Also jenen Skandal, der nicht nur für die widerliche Verbindung von Sex, Gewalt und Politik steht, sondern auch für die perverse Sucht nach der Dokumentation solcher Gräuel. Klarer als Mette Ingvartsen es mit diesem Schlussbild tut, kann man wohl die böse Seite der Lust nicht anprangern. Reißerischer aber auch nicht. So bleibt ein Unbehagen: Man wird die starke Szene nicht vergessen, aber für ein plakatives Thema wie dieses hätte es ganz am Ende vielleicht doch eines gebraucht: Dezenz.

Premiere am 17.11.12017

Weitere Vorstellung am 18.11.18 im PACT Zollverein Essen

www.pactzollverein.de