Videoimpressionen aus dem Wuppertaler Opernhaus:

Pina Bausch’s legendäres „Café Müller“ erstmals in Wuppertal mit dem Sinfonieorchester Wuppertal unter der Leitung von Henrik Schaefer – Zur Erinnerung veröffentlichen wir hier nochmals einen Ausschnitt der Nachtkritik aus 2017,  – (Unsere ausführliche Besprechung folgt morgen)

„Café Müller / Das Frühlingsopfer“
vom Tanztheater Wuppertal Pina Bausch

Eine Nachtkritik von Nicole Strecker vom 24.Februar 2017

Es wird immer das Stück bleiben, in dem sie am meisten fehlt und zugleich: am stärksten spürbar ist. Das 1978 entstandene „Café Müller“, in dem Pina Bausch noch im Jahr vor ihrem Tod selbst mittanzte. Seit jeher wird es im „Doppelpack“ mit ihrem drei Jahre früher uraufgeführten „Frühlingsopfer“ gezeigt. Intim-individuelles Tanztheater und kollektiv-ekstatischer Ritualtanz. Bei der aktuellen Wiederaufnahme schien sich im „Café Müller“ ein weichzeichnender Schleier über die Trauernden und Liebenden gelegt zu haben. Schön – und entrückt. Das archaische Ensemblestück hingegen hat nichts von seiner brutalen Kraft verloren. So gab es – wie immer – standing ovations in der – wie immer – ausverkauften Oper.

Wuppertal international. Die Garderobiere wechselt für ihre Kundschaft immer wieder ins Englische. Der linke Sitznachbar mit Politiker-Potenz-Gebahren murmelt italienisch. In der Schlange vor der Toilettentür schnattern extravagant gekleidete Spanierinnen. Tänzer des „Royal Ballets of Flanders“ tauschen sich in der Pause unüberhörbar über ihren „favourite character of the piece“ aus und wer weiß, welche Prominenz sich noch im enggebauten 700-Sitze-Opernhaus im so gar nicht pittoresken Stadtteil Barmen tummelt. Die Welt spricht über Pina Bausch, über zwei gut 40 Jahre alte Stücke, die einfach zum „must-have-seen“ im Theater-Repertoire gehören.

Wuppertal Pressebilder Café Müller 2017 Meyer_Originals 6

Der Zuschauersaal hüstelt sich noch zurecht, das Theater liegt im Dämmer, da öffnet sich auf der Bühne eine Glastür. Eine Frau huscht herein, ihr weißes Hemdchen leuchtet in der Dunkelheit. Eine Schlafwandlerin? Ein Spuk? Kein Spuk. Ihr Körper rumpelt hörbar gegen einen der vielen herumstehenden Stühle und Tische. Viele Jahre lang war das Pina Bausch, die Solinger Gastwirttochter, die sich nachts in ihr „Café Müller“ schlich, die bloßen Arme ausgestreckt, somnambul und sehnsuchtsvoll. Das weiße Trägerkleidchen schlottert nachlässig am dünnen Körper, offenbart den Brustansatz, feminine Verletzlichkeit. Für die anderen Personen, die später auf die Bühne kommen, wird sie seltsam unsichtbar bleiben. Eine stille Beobachterin der Liebesexzesse der anderen, ihrer Verzweiflung, ihrer Lächerlichkeit.

Es lässt sich wohl nicht vermeiden, dass heute jede Wiederaufnahme dieses Signaturstücks von Pina Bausch zum Requiem wird. Todernst ist es ohnehin, mit seinen herzzerreissend traurigen Arien von Henry Purcell. Mit dem Paar, dass sich im selben Moment leidenschaftlich umarmt und fallenlässt, der einsam herumtippelnden Frau mit roter Dirnenperücke und dem mitfühlenden Helfer, der nichts gegen den abgründigen Seelenschmerz ausrichten kann – nur die aufbegehrenden Körper schützt er, indem er hastig Stühle aus dem Weg räumt, wenn die Trauernden durch den Raum rasen, sich gegen Wände werfen, zu Boden stürzen. Todernst – und doch wie ein fremder Traum. Denn auch wenn die heutigen Tänzer ihre Rollen makellos füllen, ihre Körper nicht schonen, das Leiden suchen, so wirkt der Szenerie doch, als gehörte die intime Tragik nicht ihnen. Ein „in Memoriam“, gezeigte, nicht durchlebte Pein – wenngleich ein immer noch sehr ästhetisch anzusehendes ‚Flashback‘, das Ehrfurcht vor der strengen choreografischen Komposition gebietet, wo es Empathie nicht mehr erzwingt.

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