FESTIVAL „INTO THE FIELDS 2016“

Die Sehnsucht der Maybrit Illner

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Tanzstück von  Karel Vaněk und Guido Preuß

Donnerstag ist Maybrit-Tag

ERNEUT ZU SEHEN AM 23. UND 24.MÄRZ JEWEILS 20 UHR IN DER BROTFABRIK BONN

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Nachtkritik von Klaus Keil

HIER GEHT ES ZUM VIDEO DER PREMIERE

Wenn Karel Vaněk und Guido Preuß in ihren schwarz-weiß-gescheckten Hemden vor dem Publikum stehen und mit spitzen Lippen ins Mikro blasen, purzeln die Töne wie kleine platzende Luftblasen auf die Bühne. Immer öfter und schneller kumulieren sich diese akustischen Luftgebilde zu einem regelrechten Bombardement platzender Blasen. Es ist der Prolog zu einem Thema, das von viel heißer Luft und oft wenig inhaltlicher Substanz handelt: den Talkshows, die im deutschen TV inzwischen jeden Sender zur besten Sendezeit überschwemmen.

Also hat sich das Künstler-Produzentenduo Vaněk/Preuß vorgenommen, in einem Tanzstück über das Reden die heiße Luft abzulassen und die verbalen Blasen und theatralen Persönlichkeits-Inszenierungen zum Platzen zu bringen – und das auf die erdenklich einfachste Art und Weise: indem sie tanzen wie dort geredet wird.

Gestern war Donnerstag. Und Donnerstag ist im deutschen TV auch immer Maybrit-Illner-Tag. Da erscheint es nur logisch, dass der Premierentag für ein Tanzstück über „Die Sehnsucht der Maybrit Illner“ auch ein Donnerstag sein musste. Vor Vaněk/Preuß lag die allein durch eine Verbindung von Talkshow-Realität und Imagination lösbare Aufgabe, von der Sehnsucht der Maybrit zu tanzen. Und wenn man an seinem TV-Gerät den Ton abschaltet und nur noch Maybrits Mimik und Gestik beobachtet, erkennt man erstaunlich schnell die Verzweiflung dieser Frau und ihr schmerzliches Verlangen nach Wirkung und Resonanz der eigenen Existenz und des eigenen Tuns. Dramaturgisch konsequent geht das Stück folglich von der Fiktion aus, dass nach einer Talkshow Politiker ihre Meinung ändern, Militärs abrüsten, die Industrie vernünftig und die Gesellschaft sozialer wird – klingt absurd, oder? Jedenfalls ist das der Hoffnungsfunke, den nicht nur der Flyer zum Stück, sondern die gesamte Inszenierung verbreitet.

Da braucht es nicht viel, um diese Fiktion auch als solche zu entlarven. Man verwendet die gleiche Sprache, die wie fertige Textbausteine immer wieder eingesetzt wird, ahmt die Gestik und Mimik nach (was allein schon entlarvend wäre) und überspitzt nur durch die Aneinanderreihung der inhaltslosen Phrasen. Da wird nicht übermäßig betont, sondern betont normal von Guido Preuß aneinander gereiht: das liegt doch auf der Hand; ich bin der festen Überzeugung; wir finden eine tragfähige Lösung; Kunst und Meinungsfreiheit sind ein hohes Gut; wir sitzen alle in einem Boot, lassen keinen zurück, überschreiten keine rote Linie.
Seine besten Trümpfe spielt das Stück aber immer dann aus, wenn das Reden getanzt wird.
Spätestens dann wird klar, dass gleich ob Originalzitat oder Wortdreher, im TV-Talk ein (Rede-) Prinzip auf den Kopf gestellt wird, das Kommunikation eher behindert als erhellt.

Es ist ein Tanz der sich wie eine kleine Schule der Rhetorik ausnimmt. Jede Bewegung findet ihre Entsprechung in einer verbalen Aussage und zeigt damit einmal mehr, wie beredt Tanz sein kann: In kurzen, schnellen Schritten dribbeln die beiden auf Fußspitzen aufeinander zu, halten Abstand, dribbeln im gleichen Abstand vor und zurück, sich abtastend, Preuß wendet sich ab, Vanek empört hinterher als habe er eine Schwachstelle entdeckt. Preuß stoppt, sie prallen aufeinander, gehen zu Schrittsprüngen, zu anderen Lauf- und Gangarten über, kreisen um sich selbst. Und wenn das Gesprächsniveau sinkt, fallen auch im Tanz die Oberkörper nach vorn, tanzen sie verkrümmt, sich abstützend, fast auf dem Boden: jede Bewegung assoziiert eine verbale Phrase. Später konzentriert sich ihre Bewegungssprache auf einen Tanz der Gesten im Spotlight. Klar, dass dieser Gestentanz mit der Merkel-Raute startet, doch die bleibt nicht stabil, sondern verbiegt sich, mal nach rechts, mal nach links, beugt sich imaginärem Druck, bricht schließlich ein. Auch dieses gestische Spiel der Hände assoziiert sprachliche Positionen: auf etwas pochen, aneinander reiben, Richtungswechsel, wegschieben, auftürmen – oder, wie das Programm aufzählt: anreden, einreden, kleinreden, mitreden, schlecht- oder schönreden, und so fort.

Wie gut, dass die Dramaturgie keine dieser Phasen in der Inszenierung überstrapaziert und den richtigen Rhythmus im Wechsel findet, sowohl in der Choreografie der Rede-Gestik als auch in seinen verbalen Realitätsbezügen. Dazu trägt sicherlich die sonore Stimme von Guido Preuß bei, der auf ganz unaufgeregte, fast schon lakonisch anmutende Weise die Redeblasen vorbringt. Dazu tragen auch die Kostüme von Melanie Riester bei, die mit Bedacht ausgewählt die inhaltliche Aussage des Stücks ebenso dezent wie eindeutig verstärken. Eben noch wetterfest gegen alle akustischen und verbalen Stürme gewappnet, von Kopf bis Fuß in Regenkleidung, wechseln  Vaněk/Preuß gleich zu ihren schwarz-weißen Hemden ohne Zwischentöne und in einem wirren Muster. Wenn dazu Sprachfetzen vom Klassiker des wirren, unzusammenhängenden Redens, Edmund Stoiber, eingespielt werden, sind die Lachsalven des Publikums garantiert.

Doch das Stück ist nicht nur eine perfekte Parodie auf die Talkshow-Welt, sondern findet auch Zeit für die andere Seite der Medaille, für Ruhe und Stille, für ein ausdrucksstarkes Solo von Karel  Vaněk, das wie kein anderer Moment im Stück für den Abstand von Reizüberflutung und verbaler Aggression steht. Doch auch in solchen Momenten der Stille bleiben die Beiden ihrem Inszenierungsstil treu. Es ist die hohe Kunst lakonischer Comedy. Guido Preuß sitzt am Flügel. Unbeweglich. Rührt keine Taste. Karel Vaněk philosophiert von Stille, dass Guido grad 4´33“ von John Cage spielt (ein Stück ohne Töne). Mein Lieblingsstück, so Vaněk. 3´58“ in seiner Bearbeitung. Trockener Humor, der das Stück auf dem sicheren Boden der Ernsthaftigkeit hält. Insofern: Bleiben Sie heiter, irgendwie.


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