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Licht in der Finsternis

– Ein Tanz-Projekt von Emanuele Soavi in Kollaboration mit Susanne Linke
Von Klaus Keil

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Es war insbesondere Leonardo da Vinci, der die Gesetzmäßigkeit der Proportionen und Harmonie, den Goldenen Schnitt, den er in der Natur vorfand, auch für die bildenden Künste zum gestaltenden Prinzip erhob. Diese Prämisse für vollendete Schönheit aus der Welt der fassbaren Materie auch in den Tanz als darstellende Kunst zu übertragen, hat sich der Tänzer-Choreograf Emanuele Soavi in seiner neuen Solo-Performance AUREA vorgenommen. Sectio Aurea, oder auf deutsch: der Goldene Schnitt, gab diesem Tanzstück den Titel. Zu seiner Realisierung versicherte Soavi sich der choreografischen Unterstützung der Grand Dame des zeitgenössischen Ausdruckstanzes und Tanztheaters, Susanne Linke. Nach einer Idee von Soavi haben beide gemeinsam ein ungewöhnliches Tanzprojekt auf den Weg gebracht, das die Proportionalität von Struktur und Chaos, von Ordnung und Unordnung, von Sicherheit und Unsicherheit  auf der Tanzbühne nach zu vollziehen und in eine harmonische Balance zu bringen sucht.

Den Ansatzpunkt dazu findet Soavi in der Urzeit der Menschheitsgeschichte, die im christlichen Abendland nicht nur als materielle Entstehung, sondern immer auch in Verbindung mit der christlichen Tradition gesehen wurde. „Und die Erde war wüst und leer und es war finster auf der Tiefe“, so beginnt die Genesis im ersten Buch Mose. Für den Choreografen Emanuele Soavi, der hier auch tanzt, waren diese ersten Zeilen der Bibel „Inspirationsquelle und Ausgangspunkt“ für diese Solo-Performance, die ihn wieder einmal als einen der besten und ausdrucksstärksten Tänzer der Kölner Tanzszene zeigt. AUREA ist ein starker Einstieg in ein auf Jahre angelegtes Tanz-Recherche-Projekt mit dem Titel THE HABIT CYCLES.

Bellydance 09/2009

Die Bühne liegt in düsterer Schwere. Nur eine schwache Neonröhre erhellt einen unspezifischen Haufen Blätter, der seitlich liegt. Zerknüllte Papierblätter, wie man später sehen wird. Auch der Flügel mit Thomas Wansinng, der mit einer sensiblen musikalischen Komposition nach Motiven von Johan Sebastian Bach die Performance live begleitet, verschwindet völlig in der Dunkelheit. Seine anfangs leisen Anschläge deuten an, dass sich auch in den dunkelsten Winkeln zarte Triebe von Menschlichkeit entwickeln können. Stille und Dunkelheit prägen den Einstieg in das Tanzstück. Minutenlang bewegt sich nichts auf der Bühne. Man sucht und forscht konzentriert nach einer Bewegung, nach dem Tänzer. Ein leises Knacken wie von brechenden Zweigen lässt aufhorchen. Langsam, unendlich langsam schält sich aus dem Haufen, der die Materie in seiner Urform zu symbolisieren scheint, eine menschliche Gestalt. Anfangs nimmt man sie nicht wirklich wahr. War das, was sich da eben bewegte, ein Arm, ein Fuß, ein Kopf? Spät fügen sich die Bewegungen dieser von Kopf bis Fuß schwarzen Gestalt, aus der nur die Augen weiß herausstechen,  zu menschlichen Proportionen. Der Mensch windet sich, streckt seine Gliedmaßen, kommt in die Hocke, streckt einen Arm langsam in die Höhe, und mit der gleichen Langsamkeit steigt die Leuchte über Haufen und Mensch und verbreitet jetzt ihr ganzes Licht auf der Bühne. Vielleicht ist dieser Bezug zu „es werde Licht“ ein bisschen dick aufgetragen, doch er verschwindet schnell hinter der gestalterischen Kraft des Tänzers Soavi.

Bellydance 09/2009

Mit jeder Bewegung strömt das Leben in seinen Körper. Er streckt und dehnt sich, gestaltet dabei Figuren, die einen kurzen Moment zur festen Form gerinnen, bevor seine Arme wieder wie Tentakel suchend nach neuen Formen in die Höhe gehen. Diese minimalen Bewegungen gewinnen durch ihre Langsamkeit eine unglaubliche Intensität, die Blicke und Aufmerksamkeit der Zuschauer auf frappierende Weise binden. Es sind solche Momente tänzerischer Ausdrucksstärke, in denen die Kollaboration mit der Choreografin Susanne Linke sichtbar wird. Soavi bewegt sich in seinem Tanz ständig zwischen zwei Polen, er sucht Halt und Struktur in klassischen Ballettpositionen, die im Tanz für Bewahrung stehen, um sich sogleich wieder in zeitgenössische Bewegungen zu begeben, die für Öffnung und Wandel stehen. Ein ständiger Wechsel mit unerwarteten Bewegungen prägt diese Solo-Performance von Soavi. So steht er einmal kurz in der fünften Position des klassischen Balletts, um gleich wieder am Boden mit fulminanten Drehungen seines Körpers durch den Blätterhaufen zu jagen und die Blätter über die Bühne zu treiben. Dann wieder sammelt er sie ruhig auf, um das Chaos zu ordnen. Gelegentlich geht sein Blick in das Publikum und weit darüber hinaus, als suche er dort den entscheidenden Hinweis auf den Sinn seines Tuns und den Sinn der Existenz schlechthin.

Anschaulich gelingt es dem Team Soavi/Linke mit dieser Choreografie und ihren ausdrucksstarken tänzerischen Sequenzen den Blick zu öffnen für AUREA, den Goldenen Schnitt auch im Tanz.

Bellydance 09/2009