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Folgetermine: TanzFaktur Köln 10. und 11.März jeweils 20 Uhr

 

Gegen das Vergessen

Nachtkritik des Tanzmonuments „Jáchymov“ von Tanzwerke Vanek Preuß

 
 
Besprechung der gerade zu Ende gegangenen Premiere in der Brotfabrik Bonn
von KLAUS KEIL
 
 
Historische Orte werden in der Öffentlichkeit am liebsten positiv konnotiert: Schlösser, Kirchen, Kathedralen. Unsere Republik ist voll davon. Doch es gibt auch historische Orte, die übergeht man oder geht achtlos an ihnen vorbei. Meist sind es Orte ohne wahrnehmbare Überreste, aber dennoch außerordentlich geschichtsträchtig. Solch einen Ort der Vergessenheit zu entreißen haben sich Vanek und Preuß in ihrer neuen Inszenierung vorgenommen, die sie ein `Tanzmonument´ nennen. Dass sich noch vor der Premiere eine Zeitzeugin dazu meldete, belegt, wie wichtig solche Rückbesinnungen sind.
 
Das Stück errichtet also ein Monument der Erinnerung an die wechselvolle Geschichte des tschechischen Ortes Jáchymov, der dieser Inszenierung auch den Titel gab: Jáchymov – Die Macht aus der Tiefe.
 
Karel Vanek (Regie, Choreografie) und Guido Preuß (Konzept, Dramaturgie, musikalische Leitung) spannen dabei einen Bogen von den Silberbergwerken des sechzehnten bis zu den Uranminen des 20. Jahrhunderts, die den Rohstoff für Hiroshima und Tschernobyl lieferten. Dazu gehörten aber auch die Radon-Heilbäder, Marie Curie, später der Krieg und als Folge die Vertreibung der Deutschen.
 
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Eine wechselvolle Geschichte, intensiv und weltgeschichtlich nachhaltig. Um dieses historische Konvolut zu bändigen bedarf es anderer Herangehensweisen. Vanek und Preuß inszenieren die geschichtlichen Brüche indem sie das Stück selbst mehrfach brechen, sprich: unterbrechen.
 
Mitten in der Szene unterbricht die Regie aus dem Off: zu melancholisch. Preuß spielt gerade Chopins Nocturnes, gekonnt, einfühlsam und, tatsächlich, sehr melancholisch. Vor allem, weil die vorherige Szene dem Zuschauer so beklemmend nah gekommen ist, dass die Spannung fast greifbar ist. Da liegen die vier Tänzerinnen und Tänzer in der Dunkelheit eines Bergwerkstollens am Boden, nur ein sich endlos wiederholender Wassertropfen durchbricht die Finsternis, mit Händen um sich tastend, Orientierung suchend, sich vergewissernd: lebe ich noch, bin ich allein oder sind da noch andere. Sie bäumen sich auf, gehen in den Schwebesitz, und zeigen damit, wie fragil ihre Existenz ist, sie kippen weg, finden einen synchronen Rhythmus, der sie alle im gleichen Schicksal gefangen sieht. Das sind starke Momente der Inszenierung, die gebrochen werden müssen, um die Wirkung zu erhalten und nicht in Schwermut zu verfallen. Also ein „Stop“ von Vanek in der Regie, Licht an, und Preuß auf der Bühne nimmt das Mikro, kommentiert und kontert in seiner gewohnt flapsigen Art, sucht humorvoll Bezüge vom heutigen Kurhotel Radium Palace in Jáchymov über Lars von Triers Film Melancholia bis hin zu den Atombomben-Tests in der Wüste Nevadas.
 
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Das bringt viel notwendige Information, da ohnehin auf der Bühne nicht darstellbar, und es entspannt kurz vor Grenzüberschreitung die düstere Szenerie. Schließlich lassen sich auch ernste Inhalte unterhaltsam vermitteln ohne sie zu verharmlosen. Also synchronisieren und adaptieren sie, beschreiben und moderieren sie in diesen Kunstpausen ihr nächstes Thema. Mit diesem dramaturgischen Trick wird die Inszenierung trotz der mehrfachen Unterbrechungen doch zu einem geschlossenen Ganzen.
 
Wenn so individualistisch wie hier inszeniert wird, dann versteht sich von selbst, dass auch die Tänzerinnen und Tänzer ihre individuellen Fähigkeiten mit einbringen müssen. Ihre eindrucksvollen Soli, Duos und Gruppenformationen bewegen sich immer ganz nah am Thema. Zu fernen, leisen Streichern beeindruckt Michelle Cheung mit einem Tanz, dessen einzelne Bewegungen wie Chiffren des Leids im Raum stehen. Iorhanne Da Cunha schwimmt liegend gegen das Ertrinken an, spielt klagend die Violine, steht im Handstand, während Preuß sie als Marie Curie interviewt. Wer stellt hier was auf den Kopf? Und Tobias Weikamp sucht wild und kraftvoll nach einem Ausweg, den es für die meisten Gefangenen in den Bergwerken Jáchymovs nie gab. Als Zwangsarbeiter schufteten sie erst für die Nazis, dann für die Sowjets beim Uranabbau. Welch herbe Parodie also, wenn die vier Protagonisten die kommunistische Internationale „Wacht auf, Verdammte dieser Erde…“ unausweichlich bis zur letzten Strophe singen. Ein Kampflied, sicher, aber diesmal eines gegen das Vergessen. Immerhin errichtet die Stadt Jáchymov eines der Todeslager als Mahnmal. Also noch ein Monument. Was wohl die Zeitzeugin dazu sagt?
 
 
Regie/ Choreografie: Karel Vanek – Tanz/ Performance: Michelle Cheung, Iorhanne Da Cunha, Guido Preuß, Tobias Weikamp – Musikalische Leitung:Guido Preuß – Konzept: Guido Preuß, Karel Vanek – Kostüme: Melanie Riester – Lichtdesign: Markus Becker
Produktion: Tanzwerke Vanek Preuß, Brotfabrik Bühne Bonn, ALT@art Prag, Theater Felina Areal Mannheim