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IM RAHMEN VON TANZ NRW’17:

RENEGADE

BASMALA – FREUND ODER FEIND

DO 04 I 05 – KÖLN – Alte Feuerwache – 20.30 Uhr

Nachtkritik von Klaus Dilger (erschienen anlässlich der Uraufführung in der Bochumer ZECHEeins)

HIER GEHT ES ZU DEN VIDEOIMPRESSIONEN

Ein ausserordentlich spannendes Thema, dessen sich die Herner Tanzcompagnie „RENEGADE“ und POTTPORUS hier angenommen haben!

Im neugegründeten „Zentrum für Urbane Kunst – ZECHE 1“ in Bochum, kam am Wochenende mit „BASMALA – Freund oder Feind“ ein Stück zur Aufführung, das bedauerlicher Weise und fast widersprüchlich als aktueller Dauerbrenner bezeichnet werden darf:
Auf fünf junge Männer, allesamt von muskulöser und kräftiger Gestalt,  wird im Wortsinn das diffuse Bild von „gewaltbereiten Ausländern“ projiziert. Sie werden im Bild- und Wortgewitter des türkisch stämmigen Rappers „Haftbefehl“ mit Hip Hop Rhythmen und Wortfetzen, die weder Farben noch Grau- und Zwischentöne kennen, regelrecht zugeballert. Gewalt findet hier nicht nur inhaltlich in Wort und Darstellung statt, sondern durch das Medium selbst: eine Gewalt in Form von Videobotschaften in gestylter Musikclip-Haptik, die abstumpft und aufputscht zugleich. Eigenschaften die sich auch in jüngster Zeit der „IS“, der selbsternannte Islamische Staat, zu Eigen macht, um junge Menschen für ihr grausames Werk anzuwerben.

Wenn diese fünf Männer, die im wirklichen Leben aus dem Iran, Ägypten, Benin, der Türkei und dem Senegal stammen, aus der Projektion heraustreten, haften ihnen die Bilder, Worte und ein (Anfangs)Verdacht an, der sie vom normalen Menschen in die Ecke des potentiellen Täters katapultiert. Mehr als Angst und Vorurteil scheint es nicht zu brauchen, weder im Theater noch im wirklichen Leben, um Gräben aufzureissen, die gefüllt sind mit Misstrauen und Furcht. Gräben, die hier nicht nur zwischen Gesellschaft (Zuschauer) und der Gruppe verlaufen, sondern auch zwischen den Individuen auf der Bühne selbst.

BASMALA – Freund oder Feind ist eigentlich ein leises, sanftes Stück, gemessen an dem Gewaltpotential des Rapper-Videos zu Beginn und dem was täglich an Grausamkeiten aus den Medien überläuft und die Welt mit einem blutigen und schmutzigen Teppich zu überziehen scheint. Wir sehen Einzelne und keine Gruppe(n), die eher verunsichert und verängstigt wirken und deren kurzzeitiges Aggressionsgebaren vielmehr an Hunde erinnert, deren „zuschnappen“ just dieser eigenen Angst geschuldet ist.

Was diese Männer verbindet und nach und nach ihr gegenseitiges Belauern überwinden lässt, sind fast unsichtbare Gesten, die in Wirklichkeit auf religiöse Rituale verweisen und ihnen entnommen sind. Formen und Formeln, die im Islam ihre Wurzeln finden und der allen Akteuren gemeinsam oder zumindest nahe ist. Diese Elemente und seien sie zu Beginn noch so diffus, bieten Strukturen, die Ausgegrenzten jenen Halt geben, den sie dringend brauchen, um die eigene Identität finden zu können.

Dort wo ausgegrenzt wird, werden aus betroffenen Einzelnen rasch eine Gruppe, in der diese sich, ihre Identität, zu finden suchen. Selten entsteht hieraus innerhalb einer Gesellschaft ein pluralistisches Gebilde, wie uns die Wirklichkeit lehrt.

Theater- und Filmregisseur Neco Çelik, der sich auch bereits in früheren Inszenierungen mit den Ausprägungen des Islam in der westlichen Welt beschäftigt hatte, findet hier einen glaubhaften Spannungs- und Entwicklungsbogen, der keineswegs narrativ ist und Vieles im Bereich einer emotionalen Ebene transportiert. Seine Protagonisten sind keine Handelnden, sie sind Abwartende, Beobachtende, Suchende, sich von Zeit zu Zeit einander Anschliessende, um alsbald wieder Suchende zu werden.

Diesen Bogen unterbricht er nach zwei Dritteln der Spieldauer, als wolle er das Zeitmaß eines unbenannten Prozesses im Dunkeln lassen, so wie die Bühne der Zeche 1, während diese sich in der Bühnennacht mit Nebel füllt und erstmals das gesprochene Wort die Regentschaft über das Geschehen gewinnt. Im nachfolgenden gleissenden Gegenlicht werden die Zuschauer der vier Gestalten gewahr, die, in Burkas gehüllt, nun zur geschlechtlosen Gruppe mutierten und wie eine Mauer dem Einzigen entgegenstehen, der noch immer als Individuum erkennbar geblieben ist. Er wird irgendwann beginnen, an ihnen zu zerren, doch all seine Versuche, ihnen die Burkas zu entreissen, werden dazu führen, dass jede Burka, die im Gerangel seinen Träger tauscht, eine neue Gestalt gebiert.
Am Ende des Bildes werden die Burkas verschwunden sein und die Männer werden sich im Gebet auf Knien eine gemeinsame Richtung geben.

Irgendwann werden sie sich erheben und immer kraftvoller auf die eigene Brust schlagen, um sich gegen Schmerzen abzustumpfen und gleichzeitig einen Trancezustand zu erreichen. Sie werden sich immer wilder und gewaltiger in die Luft katapultieren und sich dabei selbst wie in einem Ritual mit den Armen umschlingen.

Am Ende werden sie erneut in einer Projektion vor der hellbeige gekachelten Rückwand stehen und wie die vielen jugendlichen Gesichter des Videos, die einen Mann umringen der kaum älter als sie selbst sein dürfte. Fasziniert auf den tonlos sprechenden Mund des smarten Predigers starrend, als den wir den Mann erkennen. Lautlos und dadurch beunruhigender noch, als „Haftbefehl“ dies zu Beginn gewesen sein mag, entfaltet sich dieses Schluss-Szenario .

RENEGADE gelingt mit BASMALA ein wichtiges Stück, das in seiner Machart überrascht, indem es das gewaltige und gewalttätige Getöse seines Beginns bis zur Lautlosigkeit reduziert. Dies schafft Raum für ein Nachdenken und eine Sensibilität, die diesem Thema angemessen und dringend erforderlich ist.

Regie: Neco Çelik, Choreographie in Zusammenarbeit mit den Tänzern, Licht: Jens Piske, Produktionsleitung/Idee: Zekai Fenerci, Konzept: Julia Figdor. Mit: Milad Samim, Ibrahima Biaye, Said Gamal, Sefa Erdik, Freddy Houndekindo. Eine Renegade Produktion.