IM RAHMEN VON TANZ NRW17

AUFFÜHRUNG IN KÖLN „ALTE FEUERWACHE“

 
 

IM HIER UND NICHTJETZT

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Das sechste Festival tanznrw startete in PACT Zollverein in Essen
Alexandra Waierstall präsentierte „(T)here and after“

 
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Nachtkritik von Melanie Suchy
 
 
HIER GEHT ES ZU DEN VIDEOIMPRESSIONEN
 
Diese Tänzer haben nichts außer sich selbst. Alexandra Waierstall setzt sie auf einer kahlen Bühne mit spiegelnd schwarzem Boden aus. In dieser kalten Atmosphäre gibt es keine Ruhe, keinen Halt, und so rattern die sieben, noch bevor es hell wird, im Gleichtakt durch den Raum wie aufgezogen.  Einen Fuß vor den anderen, die Köpfe wippen auf und ab. Lauter Leblose, unermüdlich Bewegte.
Mit der Zeit finden sich die einheitlich in schwarze Overalls gekleideten Tänzer im fahlen Licht zu einer Truppe zusammen, die den raschen, dann beschleunigenden Takt hält, während die Musik ganz andere Töne spielt. Sie faucht und haucht und braust in der Tiefe, und Kilometer darüber plinkert und tickert etwas metallisch. Der Hall lässt diese kühle Welt noch leerer, noch entgrenzter wirken.
 
Der Düsseldorfer Pianist und Komponist HAUSCHKA tritt bei dieser dritten fruchtbaren Kooperation mit der Choreografin Alexandra Waierstall, die im November 2016 im Tanzhaus NRW Premiere hatte, nicht mehr mit auf der Bühne auf, sekundiert von musizierenden Kollegen, sondern liefert den Soundtrack, der sich mal verbreitert wie ein Strom, mal streicht, röhrt, reibt, sirrt und surrt, mal nach Bläsern klingt, mal nach fernem Donnergrollen. Diese Musik bildhauert eine hohle Landschaft, in der Nähe und unendliche Weite wie unterschiedlos zusammenfallen, passend zur Haltlosigkeit, der die Choreografie ihre flüchtigen Formen gibt. Einmal, nach der Anfangsszene, pocht eine Art verlorenes Herz. Eine Tänzerin mit schwarz verhülltem Kopf gräbt sich vorsichtig durch die eigene Dunkelheit, streckt sich hoch und irgendwohin, zieht sich sofort zurück ins Krumme. Raus, wieder rein. Ein gedämpftes Agieren, ein Höhlendasein, während sich am Horizont eine ganz aufrechte nackte Frau als Silhouette langsam ins Blickfeld schiebt, und dieser Hintergrund sich in ein wässriges Flackern auflöst, ein videoartiger Lichteffekt der Künstlerin Marianna Christofides. Diese ruhige Eva ist vielleicht ein Gegenbild, ein Traum, eine Erinnerung an den Ursprung einer Geschichte.
 

 
 

Später ist vorbei

 
Alexandra Waierstall lässt die Deutung offen, das ist die große Qualität ihrer Arbeiten, die sich meist der bequem zu erfassenden Illustration entziehen und ein wachsames, mitträumendes Auge brauchen. Dass sie diesmal mit dem Bildenden Künstler Horst Waierstall, ihrem Vater, kooperiert hat, zeigt sich in starken Momenten, die wie verflüssigte Gemälde wirken. Jene hüllenlose Tänzerin, Ioanna Paraskevoloulou, schiebt sich nun frontal aufs Publikum zu, ihr regloser Blick bohrt sich durch die Menge, zieht alle Aufmerksamkeit an sich; ihr Gesicht gehört zu einem früheren Jahrhundert, denkt man. Als hielten die anderen betriebsam herumeilenden Gesellen in Schwarz das nicht aus, lassen sie ihren herausstrahlenden Blick verschwinden und machen die Frau per Uniform zum Teil der Gruppe, die dann wie eine kleine klebrig-flüssige Masse umhertreibt. Die Elemente hängen aneinander, ziehen, zerren, laufen, taumeln fast, stieben auseinander. Aber nicht um eigen zu werden, sondern sie verlieren nie den Zusammenhang. Individualität ist längst begraben.
 
Die Choreographie, die sie mal zu Reihen mit Echobewegungen formiert, mal zu Boden schmelzen und sich schwer erheben lässt, Impulse spritzen und Arme rotieren lässt und die Körper wie Stoffpuppen auf- und zubiegt, zeigt eine Gesellschaft, die scheinbar ihre eigenen Dynamiken gestaltet, aber gleichzeitig furchtbar getrieben und blind wirkt. Oder auf der Flucht. Schließlich wirft Anna Pehrsson, die anfangs mit Hemd überm Kopf sich durchs Dunkle gegraben hatte, einen irritierten Blick auf die wieder mechanisch-diszipliniert trabenden Kollegen. Wiederholt ihr Schieben, Stoßen, Taumeln, vielleicht als Erinnerung an sich selbst, dann verschwindet auch sie im Rhythmus der Menge. Im Metropolis des 21. Jahrhunderts.