schrit_tmacher justDANCE! in Heerlen eröffnet

Den Krieg heilen wollen

Die Hofesh Shechter Company eröffnet mit „Double Murder“ die diesjährige Ausgabe des schrit_tmacher-Festivals in Heerlen auf unfreiwillig aktuelle Weise

Nachtkritik von Rico Stehfest

Er ist der Mahner, der Warnende. Der weltweit gefeierte israelisch-britische Choreograf Hofesh Shechter weiß um die Widersprüchlichkeiten und die destruktiven Seiten des Menschen. Sein neuer Doppelabend „Double Murder“ mit den beiden ganz verblüffend kontrastierenden Teilen „Clowns“ und „The Fix“ gerät ausgerechnet in diesen Tagen zum Menetekel, das keine Prophezeiung mehr ist, sondern hässliche Realität.

Anlässlich der Eröffnung des schrit_tmacher-Festivals in Heerlen zeigte sich Festival-Leiter Rick Takvorian mit gemischten Gefühlen. Sein „We’re back!“ will nach langer Corona-Pause ein Ausdruck der Freude sein, ein Ja zur Kultur in, so Takvorians Worte, merkwürdigen, in schwierigen Zeiten. Deshalb betonte er in Heerlen auch mit einfachen Gesten die Sinnhaftigkeit des Miteinanders statt eines Gegeneinanders. Halb im Scherz sieht er im Festival-Programm gar einen fast trotzigen „Anti-Brexit“, so viele britische Companies stehen auf dem Zettel. Kultur will sich nicht unterkriegen lassen. 

Einfach ist das alles aber ganz und gar nicht. Bereits ein kurzer Blick in Shechters ersten Teil, seine „Clowns“, das er bereits 2016 erarbeitet hatte, gleicht einem Blick in die Nachrichten zur aktuellen Lage in Europa: Bedrohliches Wummern dröhnt aus dem Hintergrund und kommt näher. Diese Clowns auf der Bühne sind aber keine. Shechters Titel liest sich zumindest heute wie blanker Zynismus. Waren es beispielsweise 2013 in seiner Arbeit „Sun“ tatsächlich noch Kostüme, die an Clowns erinnerten, ist die vertraute Jahrmarkts-Atmosphäre, die immer wieder und immer noch so vordergründig bedrohlich harmlos daherkommt, hier auf eine Weise innerlich zerrissen, die zwar auch nicht neu, aber jetzt noch stärker mit Bedeutung aufgeladen wirkt. 

Hofesh-Shechter-Company-Double-Murder-Clowns-Todd-MacDonald

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Diese Charaktere sind nicht mal mehr Clowns. Es sind vielmehr Gestalten, die sich inmitten eines entfesselten Sturmes von Barbarei einem hilflosen Tanz auf dem Vulkan hingeben. Ein paar letzte Rituale noch, die einen Rest von Zivilisation andeuten. Ein letztes Mal erscheint alles noch ach so adrett. Dann wird hingerichtet, gemeuchelt und gemordet was das Zeug hält. Dabei ist doch alles so schön ausgeleuchtet. Man sollte nicht blinzeln, man könnte sonst meinen, Hofesh Shechter mache hier doch gar nichts, zumindest gar nichts Böses. Man kennt dieses leichtfüßige Tänzeln Shechters, diese vorgetäuschte Unschuld, in die in jedem Augenblick die Grausamkeit des Menschen einbricht. Einen sichtbaren Feind gibt es dabei aber nicht. Das ist kein Kampf „us vs. them“. Wir sind alle. Das laute Rasseln des Soundtracks kommt aus dem Inneren eines Jeden. 

DOUBLE-MURDER-FIX-Hofesh-Shechter-Company@TANZweb.org_Klaus-Dilger

DOUBLE-MURDER-FIX-Hofesh-Shechter-Company@TANZweb.org_Klaus-Dilger

Bei Hofesh Shechter glaubt man immer, es handle sich um volkstümliches Brauchtum, als hätte alles Tradition und damit Legitimation. Man könnte alles für Taschenspielerei halten, so unterkomplex und harmlos wirkt über lange Strecken immer wieder das Bewegungsvokabular, die bekannten, nach oben gereckten Arme, die überzeugende und so falsche Freude. Immer weiter geht es fröhlich im Kreis herum. In diesem Reigen tanzt immer der Tod mit, ganz ohne dass jemand dagegen antanzen würde. Das ist Tanzen im Angesicht des Todes, trotz des Todes. Besonders eindrucksvoll hatte das Shechter auch 2018 mit seinem „Corpse de Ballet“ gezeigt, in dem die Tänzerinnen und Tänzer mehr tot als lebendig wirkten. Wir können nicht anders, als dem Tod entgegen tanzen. Deshalb wird das auch nie ein Ende finden. Nicht bei Shechter, für niemanden.

Und dann ist da „The Fix“, eine Art Standortbestimmung, wie sie Shechter so gar nicht ähnlich sieht. Genau deshalb aber lässt es sich als Gegenstück zu „Clowns“ lesen, als kontemplative Einkehr einer kleinen Gemeinschaft, deren Mitglieder gleich zu Anfang in ihren hochgezogenen Schultern eine nach innen gerichtete Perspektive an den Tag legen. Und tatsächlich lässt sich hier vom Konzept einer Gemeinschaft reden. Die Einzelne sucht Schutz in der Gruppe; die Reflektiertheit der Aussage wird durch ein komplexeres Bewegungsvokabular getragen. Alles erscheint deutlich artifizieller, ganz ohne artifiziell zu sein. Dieses Ineinander und Füreinander ist keineswegs künstlich. Wo in „Clowns“ niemandem eine Wahl zu bleiben scheint, was den Fortgang der Geschichte anbelangt, werden hier Emotionen in Reinform sichtbar, die den Menschen so menschlich machen. Angst, Verzweiflung, Verlust. Ein vereinzelter Schrei, aber auch das sanfte Heulen eines Rudels. Nichts davon ist nach außen gerichtet. Die weit aufgerissenen Münder der Tänzerinnen und Tänzer sind auch hier wieder ein stumm beredtes Symbol für Verletzbarkeit, ein Selbstzitat Shechters. 

DOUBLE-MURDER-FIX-Hofesh-Shechter-Company@TANZweb.org_Klaus-Dilger

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Diese Einkehr fällt immer reduzierter aus, bis die Tänzerinnen und Tänzer reglos im Schneidersitz auf der Bühne sitzen, den Blick ins Publikum gerichtet. Dieses äußerliche Nichtstun gerät augenblicklich zum wortlosen Dialog mit dem Publikum. Völlig frei von Kitsch gleitet alles hinüber in einen Prozess sanfter Heilung, begleitet von friedfertig gelösten Gitarrenklängen. Über allem kindliche Seligkeit. Und am Ende wird alles gut. Angesichts der Endzeitstimmung von „Clowns“ mag man sich schwer tun, das zu glauben. Die Company hat aber alle Argumente auf ihrer Seite, wenn sie von der Bühne ins Publikum steigen und vereinzelte Zuschauer in den Arm nehmen. Lange, sehr lange. Da sind sie dann wieder, die Worte Takvorians über das Miteinander.

DOUBLE-MURDER-FIX-Hofesh-Shechter-Company@TANZweb.org_Klaus-Dilger

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