schrit_tmacher justDANCE! in Eupen
“Die Eroberung des Nutzlosen”
Piergiorgio Milano mit “White Out” im Kulturzentrum Alter Schlachthof in Eupen
von Klaus Dilger
„Die Eroberung des Nutzlosen“, so beschreibt Piergiorgio Milano, Leiter und Choreograf der gleichnamigen Compagnie, die sich irgendwo zwischen Nouveau Cirque und Bewegungstheater orientiert, seine neueste Produktion „White Out“, die nun im Kulturzentrum Alter Schlachthof in Eupen im Rahmen des schrit_tmacher justDANCE!- und des Scenario Festivals zu sehen war.
„White Out“ bezeichnet ein Phänomen, das vor Allem in den Polarregionen und im Hochgebirge auftritt, wenn der komplett mit Schnee bedeckte Boden auf eine bestimmte Lichtsituation trifft, die zu einer solchen Kontrastverringerung führt, dass weder Horizont noch Konturen oder Schatten auszumachen sind, also zu völligem visuellen Orientierungsverlust führt.
Eine dergestalte Orientierungslosigkeit kann zu Beklemmungen, Angstgefühlen und dem teilweisen Verlust des Gleichgewichtssinns führen. Hinzu kommen mögliche physisch psychische Reaktionen, die insbesondere in grosser Höhe auftreten können Im Hochgebirge ist eine solche Situation lebensbedrohlich und den Kletternden bleibt eigentlich nur die Option, bis auf Weiteres in der eisigen Kälte zu verharren. „Im Biwak der Zeit beim zerrinnen zusehen…“ sagte hierzu eine Stimme aus dem Off einmal.
Genau in diese fiktive Situation werden die Zuschauer gleich zu Beginn der knapp sechzig minütigen Vorstellung katapultiert. Kein einfaches Unterfangen in einem bequemen, warmen Theatersaal, nur wenige Meter entfernt vom „eisigen Inferno“.
Hier ist die berühmte Magie des Theaters gefragt, die nicht selten an diesem Abend Wirkung erzeugt, aber nicht immer, auch dies sei nicht verheimlicht.
Piergiorgio Milano wollte mit White Out „… von einer kleinen Gemeinschaft (erzählen), die vor einer Initiationsreise steht. Es (das Stück) spricht von der menschlichen Natur, indem es die Themen Tod, Trennung, persönliche Ambitionen und Beziehungen innerhalb einer Gruppe anspricht.
Der Berg ist eine Metapher, das Vergrößerungsglas, das uns erlaubt, die menschliche Natur näher zu betrachten. Entscheidungen zu treffen, Schwierigkeiten zu begegnen, sich auf andere zu verlassen, sind einleitende Schritte im Leben eines jeden von uns.“
Wirkung erzeugt der Abend immer dann, wenn die durchweg guten Performer sich dem Drama dieser Bergexpedition zuwenden, wenn sie mit einfachen Mitteln aber grosser Körperbeherrschung die Gravität aushebeln, indem sie angeseilt und doch allein auf der Bühne ihren Kampf gegen die unerbittliche Natur aufnehmen, gehalten oder (zurück)gezogen von unsichtbaren Kräften, – im Zweifel wohl denen der unsichtbaren Seilschaft. Das gute Licht- und Sounddesign tun ein Übriges. In diesen Momenten vermag „White Out“ zu fesseln, weil spürbar wird, dass diesen inneren und äusseren Kampf jeder für sich und mit sich alleine auskämpfen muss, auch wenn es eine Gemeinschaft im Hintergrund gibt, die vielleicht das Schlimmste noch verhindern kann, wenn es sein muss. Den Berg hoch und runter im zweifachen Sinn, muss letztlich jeder mit eigener Kraft.
Die Intermezzi, zumeist mit allen Protagonisten gemeinsam auf der Bühne, bieten zwar ansehnliche Break-Einlagen, sind aber als zweite, phantastische und gedachte Ebene („Im Biwak der Zeit beim zerrinnen zusehen…“), nicht gut genug eingebettet. Da muss sich das Publikum vieles selbst zurecht biegen oder akzeptieren wie es ist. Und auch in Sachen Humor ist die Trefferquote entwicklungsfähig, wenngleich es einige Lacher im Publikum gab.
Die Besucher im Kulturzentrum Alter Schlachthof Eupen dankten mit kräftigem Applaus.
Erneut heute Abend um 20 Uhr