Abschluss des OFF-Festivals schrit_tmacher justDANCE! mit Sharon Eyal

Was sie wohl mit „brutal“ meint?

Die israelische Choreografin Sharon Eyal liefert mit „Chapter 3: The Brutal Journey of the Heart“ ein augenscheinlich harmloses Stück

von Rico Stehfest

Da scheint erst mal nicht so sonderlich viel komplexe Emotionalität drin zu stecken. Die neun Tänzerinnen und Tänzer der Company L-E-V legen einen unverbindlichen Reigen hin, ganz entspannt, zu lockerem Calypso. Die Lichtstimmung ist, ganz wie man es von Sharon Eyals Arbeiten kennt, reduziert und schlicht.

Ihr vorheriges Stück, „Love Chapter 2“, hatte gezeigt, wie energiegeladen, kraftvoll, fast schon zum Zerreißen gespannt ihr Vokabular ausfallen kann. Was dort noch einem inneren, äußerst schweißtreibenden K(r)ampf gleich kam, wirkt hier vollkommen aufgelöst. Zu gelöst? Man wartet auf die Sichtbarmachung, die Weiterführung der Auseinandersetzung mit widersprüchlichen Emotionen. Der Knoten scheint aber geplatzt. Und das ganz im positiven Sinn. Es ist, als hätte die „brutale Reise“ aus dem Titel zu einem erlösenden Ende gefunden. Jetzt ist alles gut. Die Mundharmonika klingt fröhlich, dann klappern die Sounds, die vielleicht doch noch mal eine Referenz an „Love Chapter 2“ sein könnten. Mehr aber auch nicht.

Das Innere ist nach außen gestülpt worden. Die Dior-Designerin Maria Grazia Chiuri hat die Tänzerinnen und Tänzer in hautfarbene Kostüme gesteckt, die mit ihren schwarzen Skizzen mühelos als Tattoos gelesen werden können; auf der linken Brust prangt unübersehbar ein großes Herz. Dieses Menschliche, dieser Kern, liegt bloß, unverklausuliert. Trotzdem nichts Vordergründiges, nichts Plakatives.

Sharon Eyal arbeitet gleichzeitig mit Blick auf die Details wie auch auf das Ganze. Die elegante Leichtfüßigkeit, die immer wieder nach außen gekickten Unterschenkel, die weiten, offenen Armbewegungen, alles nährt sich aus der Balletttradition. Geht man von der Vereinzelung einen Schritt zurück, fallen immer wieder sorgfältig zurechtgebastelte tableaux vivants ins Auge. Klare, schlichte Schönheit. Sonst nichts. Trotzdem sind das keine bloßen Ästhetisierungen als Selbstzweck. In ihrer Stimmung deuten die Bilder nämlich immer wieder dann doch auch eine kleine Flucht nach innen an, wenn die Tänzerinnen und Tänzer in einem engen Lichtraum die gegenseitige Nähe suchen. Diese Momente stimmen nicht mit der über weite Strecken harmlosen Unverbindlichkeit der Musik überein. Da steckt also doch mehr dahinter. Leichte klangliche Verfremdungen gehen weiter in diese Richtung, bleiben aber kurze Andeutungen. Es bleibt dabei: Alles ist gut. Und alles ist schön.

Das mag verwirren. Ein bisschen ist es, als würde sich Sharon Eyal bewusst einer thematischen Problematisierung verweigern und, ausgehend vom Titel ihrer Arbeit, dem Publikum einen falschen Hasen servieren. Sorglosigkeit? Geht das denn überhaupt noch? Klar geht das. Sieht man doch.

chapter_3_-_photo_by_stefan_dotter

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