„Myokine“ von Anne Plamondon in der Fabrik Stahlbau Strang in Aachen
Der Stoff aus dem die Heilung kommt
von Natalie Broschat
Kanadische Kompanien sind in Deutschland sehr beliebte Gäste: Out Innerspace – geleitet von Tiffany Tregarthen und David Raymond – hat 2023 für das Hessische Staatsballett die Choreografie „Force Majeure“ beigesteuert, die aktuell wieder im Jubiläumsabend „Chronicles“ zu sehen ist. Company 605 war erst im Februar 2023 erneut zu Gast bei der Tanzbiennale Heidelberg und die hervorragende Choreografin Crystal Pite und ihre Kompanie Kidd Pivot sind nicht wegzudenken aus der Tanzszene Deutschlands. Crystal Pite eröffnete das diesjährige schrit_tmacher mit „Figures in Extinction“ für das NDT 1.
Choreografin Anne Plamondon und ihre Tänzer*innen haben selbst in diesen Kompanien getanzt. Anne Plamondon zudem lange in der Kompanie RUBBERBAND von Victor Quijada, dessen gleichnamige Bewegungsmethode sie weltweit vermittelt. 2018 gründete die Tänzerin und Choreografin dann ihre eigene Kompanie (Anne Plamondon Productions). Ihr choreografischer Stil zeichnet sich durch gleitende, ausladende und schwingende Bewegungen aus, die den Raum sofort ausfüllen. So auch im atmosphärisch-sinnlichen Tanzstück „Myokine“, das beim schrit_tmacher 2025 Europapremiere feiert.
In „Myokine“ erkunden die sieben Tänzer*innen Eowynn Enquist, Isak Enquist, Diana Leon, Léa Ved, Justin Rapaport, Alyssa Allen, Raphaëlle Sealhunter und Jake Poloz „den menschlichen Körper als Quelle von Widerstandsfähigkeit, Schönheit und Hoffnung“. Myokine setzt sich aus den griechischen Wörtern „Myo“ für Muskel und „Kine“ für Bewegung zusammen und meint die Proteine des Körper, die von den Muskelzellen produziert und bei intensiver Beanspruchung der Muskulatur ausgeschüttet werden. Myokine sind entzündungshemmend und unterstützen und stärken das Immunsystem, sie werden auch Hoffnungsmoleküle genannt, weil sie ein Gefühl von Wohlbefinden und Optimismus vermitteln. Und Anne Plamondon versteht diesen Prozess nun als einen körperlichen Ankerpunkt in unserer krisengebeutelten Zeit.
Deswegen sind die sieben wundervollen Tänzer*innen das gesamte Stück über auch in ständiger Bewegung auf der leeren Bühne, umgeben von spärlichen Lichtstreifen, die eine unglaublich düstere Atmosphäre erschafffen. Zwischendrin sprechen sie pessimistische Sätze in ein vom Bühnenhimmel herabkommendes Mikrofon. Was sie sagen ist „heavy“ und „dark“, wenig hoffnungsfroh oder positiv gestimmt. Ihre Kostüme, die von Marie-Audrey Jacques designt wurden, sind ebenfalls dunkel-geschmeidig und werden bald von beigefarbener, teils unvorteilhaft sitzender Unterwäsche abgelöst.
Die Tänzer*innen präsentieren Gruppen-, Duo- und kurze Solosequenzen in der als schwingend beschriebenen Bewegungsqualität. Welche Geschichte(n) jedoch genau erzählt werden soll(en) ist manchmal unklar und die Übergänge von einer Szene in die nächste sind abstrakt-geheimnisvoll und lassen das Publikum im Dunkeln stehen. Die Intensität der Bewegungen schlägt nicht wahrnehmbar aus und in Verbindung mit der stets düsteren Lichtwelt von Eric Chad bleiben deutliche Kontraste aus. Selbst die energetische und antreibende Musik von Olivier Fairfield und Ourielle Auvé hat es manchmal schwer aus dieser allumfassenden Düsternis hervorzustrahlen. Die sieben Tänzer*innen haben die Bühne mit durch Bewegung freigesetzten Molekülen gefüllt und pusten am Ende zumindest einige dieser Myokine und somit auch ein klein wenig Hoffnung ins Publikum; doch das hätte noch viel, viel intensiver sein können.
„PARADE“ von Karl von Monschau im Eingangsbereich
Im Eingangsbereich der Fabrik Stahlbau Strang sind bis zum 13. April zwei Arbeiten vom Aachener Künstler Karl von Monschau zu sehen. „PARADE“ zitiert das 1916/17 entstandene Ballett der Ballets Russes, die von Sergej Djagilew geleitet wurden. „Parade“ wurde von Léonide Massine zur Musik von Erik Satie choreografiert, die Geschichte steuerte Jean Cocteau bei und Pablo Picasso stattete es im kubistischen Stile aus. Monschaus zweite Arbeit „PARADE II“ ist eine Collage dreier verschwommener Fotografien mit gelben Elementen und ehrt die 2016 verstorbene Tanzorganisatorin und Tanzproduzentin Anne Neumann-Schultheis.