schrit_tmacher justdance! Festival nun auch in Eupen eröffnet:

Es hallt nach…

„Triptychon“ mit Solotanzstücken von Fanny Brouyaux, Loraine Dambermont und Leïla Ka im Alten Schlachthof Eupen

Von Natalie Broschat

Seit 2017 ist der Alte Schlachthof Eupen, der hauptsächlich Zirkus und Theater präsentiert, Teil von schrit_tmacher just dance! und kooperiert im Zuge des hauseigenen Festivals „Scenario“, das dieses Jahr auch schon die 24. Ausgabe feiert, mit dem bereits 30 Jahre alten Nachbarfestival aus Aachen. Und 2025 wird dort eine ganz besondere Tanzform gezeigt: das Solo. Drei junge Choregrafinnen steuern unter dem Titel „Triptychon“ drei wundervolle Soli bei: „To be schieve or a romantic attempt“ der Belgierin Fanny Brouyaux, „Toujours de 3/4 Face“ der ebenfalls aus Belgien stammenden Loraine Dambermont und das preisgekrönte „Pode Ser“ der erfolgreichen und überall gefragten Französin Leïla Ka.

TO BE SCHIEVE…

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Den Beginn macht an diesem ausverkauften Samstagabend Fanny Brouyaux, die 2023/24 vom Netzwerk Reseau Grand Luxe gefördert wurde, und setzt in ihrem Solo „die nervösen Launen des italienischen Komponisten Paganini“ mit dem Spasmophiliesyndrom in Verbindung. Das Syndrom wird im deutschen Sprachraum auch „chronisches tetanisches Syndrom“ genannt, tritt bei Magnesiummangel oder Hyperventilation auf und äußert sich durch eine Erhöhung der neuromuskulären Erregbarkeit. Der virtuose Geiger und Komponist Niccoló Paganini (1782 – 1840) hatte bekanntlich Angst vor seiner Geige und konnte seine Gelenke unmöglich verdrehen, was im Fachjargon Marfan-Syndrom genannt wird. An seinem immer schlechter werdenden Gesundheitszustand waren sicherlich auch die hohen Quecksilberkonzentrationen schuld, die in den vielen Medikamenten von früher zu finden waren. Doch erfand er Geigengriffe, die nur er ausführen konnte, war bei Frauen beliebt und von Männer dämonisiert, ja ihm wurde sogar ein Pakt mit dem Teufel nachgesagt, so gut konnte er die Geige spielen. „Eine seiner Spezialitäten war die perfekte Übereinstimmung zwischen einem gleichzeitigen wilden Bogenstrich mit der rechten Hand und einem schwierigen Pizzikato mit der linken Hand; dem vom Bogenstrich unabhängigen Zupfen der Saiten mit den Fingern.“ Bewegungen und körperliche Besonderheiten, die Fanny Brouyaux in ihrem Solo untersucht.

Fanny-Brouyaux©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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Sie ist zuerst in Stille gehüllt und ihre blaue Seidenbluse und die schwarzen Shorts ergänzen sich hervorragend mit den silber angemalten Händen und dem blauen, dicken Farbstreifen über ihren Lippen. Ganz ruhig steht sie am Bühnenrand, die Haare zu einem Zopf gebunden, und gerät in immer stärker zuckende Bewegungen. Positioniert die Hände, wie wenn sich eine Geige dazwischen befände und spielt kurz und eruptiv darauf. Während Paganini seine Geige spielte spreizte er oftmals ein Bein ab, bei Fanny Brouyaux ebenfalls körperlich zitiert, wie die überflinken Finger. Langsam entfaltet sie eine besondere Bewegungsqualität: Schlägt die Hände in die Hüfte, kreist die Arme, lässt den Kopf abknicken und erinnert in dieser abgehackten Körperlichkeit auch an einen Vogel. Es wird dunkel und sie tauscht die Bluse mit einen schwarzen kurzen Blaser, öffnet ihren Zopf. In dieser Konzertkleidung und umgeben von gefährlich-erotischem Licht, bewegt sie sich in bekannter Manier. Doch scheint sich vom „schieve“ (belgischer Dialekt für verdreht oder verrückt) befreien zu wollen. Der verrückte Vogel will zur Ruhe kommen, den Blicken des Publikums entkommen. Zuerst gar nicht wahrnehmbar, dann immer treibender wird die Musik von Patrick Belmont und Yann Leguay, und Fanny Brouyaux entwickelt sich vor aller Augen hin zu ihrem oder einem Selbst. Bis sie am Ende wieder still vor dem Publikum steht und in eine letzte, exzentrische Geste ausbricht. Black Out. Sie hat Paganini ein starkes tänzerisches Requiem gesetzt.

Fanny-Brouyaux©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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Lorraine-Dambermont©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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„Toujours de 3/4 face“ von Loraine Dambermont

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Sobald der Beamer läuft geht es weiter mit dem Solo „Toujours de 3/4 face“ von Loraine Dambermont. Ein hochenergetisches Solo, in dem sie die gleichnamige Rede und die kämpferischen Aufforderungen und Gesten des Belgiers Johnny Cadillac verkörpert. Das Publikum hört Cadillac über die Lautsprecher erklären, „comment se battre“, also wie zu kämpfen sei; dass nie der frontale Körper im Kampf preisgegeben werden darf, sonst ist natürlich die Angriffsfläche viel zu groß. Auf YouTube kann das entsprechende, sehr amüsante Video dazu gesehen werden. Im Laufe des Stücks abstrahiert Loraine Dambermont nun die Bewegungen und macht sie sich vollständig zu eigen. Die überbordende Maskulinität nimmt sie konkret auf und ahmt die Kampfansagen und -bewegungen exakt nach. Jedes von Cadillacs „BamBam“ ist körperlich on point, immer wieder. Dambermont geht in den Bewegungen weiter, macht sie weicher und ausladender, nimmt die gesamte Bühne ein und führt sie somit in eine tänzerische Qualität über. Das Solo nimmt ein Eigenleben an und wird vom Sound unterstützt und angefeuert, den sie selbst komponiert hat. Wie Loraine Dambermont das konkrete Bewegungsvokabular von Johnny Cadillac in ihren weiblichen Körper übernommen und in etwas starkes Neues transformiert hat, ist wirklich eindrücklich. Ihre Choreografie erzeugt einen tranceartigen Sog, in dem geschmeidig und voller Präzision zwischen Kampf und Empowerment changiert wird.

Lorraine-Dambermont©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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Anna-Tierney_Leila-Ka_PODE-SER©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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Leïla Ka – „Pode Ser“

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Den Abschluss des „Triptychon“ macht Leïla Kas Solo „Pode Ser“, mit dem sie seit 2018 auf Tour ist und das in einer gekürzten Version auf arte.tv zu sehen ist. Die französische Tänzerin-Choreografin hat ihre Liebe zum Tanz im Urban Dance gefunden, im weltbekannten Tanzklassiker „May B“ von Maguy Marin getanzt, choreografiert mittlerweile für große Kompanien und konnte ihre Arbeit während der Cesár-Verleihung im Februar 2025 präsentieren.

„Pode Ser“ tanzt sie allerdings nicht mehr selbst, sondern hat die ebenso fabelhafte Tänzerin Anna Tierney mit der Präsentation dieser durchdringenden Arbeit beauftragt, die der jüngeren Leïla Ka zum Verwechseln ähnlich sieht. Die Kurzhaarfrisur, die Leïla Ka aktuell nicht mehr trägt, ist essentiell für das Solo, das die große Frage und Suche nach der eigenen Identität behandelt. In Sekundenschnelle ändern sich hier die Assoziationen und Blicke auf Geschlechtszuschreibungen. Entweder von Anna Tierney oder durch das außen initiiert. Ein kurzer Lichtwechesel, beide Arme verschränkt vor der Brust über dem beigefarbenen Kleid und sofort ist alles anders. Mann? Frau? Non-Binär? Wenn die schwarze Sporthose freigelegt wird und der vom Kleid umhüllte Torso eine andere, ebenso gewaltig-zackige Bewegungsqualität erzählen, glänzt die Vielschichtigkeit und Androgynität dieses Menschen auf der Bühne hell auf. Blitzschnell bewegt sich Anna Tiernay durch diese körperlich-persönliche Geschichte und setzt einen starken Endpunkt an diesem unglaublich kraftvollen Tanzabend dreier Frauen, deren besondere Solostücke noch lange nachhallen.

Anna-Tierney_Leila-Ka_PODE-SER©TANZweb.org_Klaus-DilgerAnna-Tierney_Leila-Ka_PODE-SER©TANZweb.org_Klaus-Dilger

Anna-Tierney_Leila-Ka_PODE-SER©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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