schrit-tmacher justDNCE! zeigt in Heerlen

Serge Aimé Coulibalys „WAKATT“

„On est dans la merde!“

von Klaus Dilger

„WAKATT“ beginnt beinahe erzählerisch mit kurzen Sequenzen, die die Silhouetten von Menschen in einem auf die Bühnenrückwand projizierten Halbkreis erscheinen lassen, deren Farbgebung an die, für Afrika typischen, riesig erscheinenden Sonnen-Auf- oder -Untergänge erinnern. Dann wird dieses Bild nicht mehr von einem halben Dutzend Ausblendungen unterbrochen und die neun Tänzerinnen und Tänzer, die dem Planeten zugewandt verharrten, beginnen sich beinahe unmerklich im Uhrzeigersinn zu drehen.

Ganz sachte und sich behutsam steigernd fällt Licht auf den Bühnenboden, der übersät ist mit einem schwarzschimmernden Material von noch unbekannter Konsistenz. Langsam glimmt der Verdacht auf, dass diese Silhouetten sich nicht der Sonne, sondern unserem Planeten zugewandt haben könnten, wie in einem Spiel der Spiegelneuronen, die die Erkenntnis, dass sich diese Menschen vermutlich auf unbewohnbarem Terrain befinden, auf diesen Halbkreis an der Wand projizieren.

WAKATT@TANZweb.org_Klaus-Dilger

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Nach und nach schält sich eine Gestalt aus Boden und schwarzem Material heraus, unbeachtet von den sich auf der Stelle drehenden Menschen. Wild fluchend und nichts Gutes erahnen lassend. Beklemmend und beinahe „untot“, erinnert diese Szene an das Marsfeld aus der Argonauten-Sage.

Serge Aimé Coulibaly und seine Faso Dance Company haben mit diesem Beginn das Feld vermessen, das in den noch verbleibenden 70 Minuten ganz überwiegend ein Schlachtfeld sein wird, ein Inneres wie auch ein Äusseres.

WAKATT@TANZweb.org_Klaus-Dilger

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„Wakatt“ bedeutet aus dem Mòoré, der wichtigsten Muttersprache Burkina Fasos, übersetzt „Unsere Zeit“, und genauer noch vielleicht „unsere Epoche“ und die ist in Burkina Faso, seit der Unabhängigkeit von Frankreich im Jahre 1960, geprägt von militärischer Gewalt. Erst im Januar diesen Jahres erlebte das westafrikanische Land seinen bereits achten Militärputsch.

Angst als Thema ist in diesem Stück nahezu dauerpräsent.

WAKATT@TANZweb.org_Klaus-Dilger

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„On est dans la merde!“ (Wir stecken in der Sch…!), so die wenigen Worte, die in einer der ersten Szenen von WAKATT geschrien werden, bringen ein Lebensgefühl auf den Punkt, das sich in Mimik und Gestik häufig, zu häufig, widerspiegelt. Dabei weist das Stück, wenn die Performer einmal nicht im Dauerstrom festhängen, wunderschöne Bilder, Zartheit und Zärtlichkeit auf. Doch liebevolle Berührungen schlagen urplötzlich in körperliche Gewalt um, aus Umarmungen wird ein Wegstoßen und oft ist der Unterschied zwischen einer Zärtlichkeit und einem Schlag nur eine Frage der Geschwindigkeit, wie Paul Virilio einmal bemerkte.

WAKATT@TANZweb.org_Klaus-Dilger

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Die Menschen auf der Bühne sind Suchende, die sich auf mehreren Ebenen zugleich begegnen. Immer wieder streut Coulibaly Reminiszenzen an Geister und Dämonen, nicht nur seiner Heimat, in die Handlung ein, kaum scheint die permanent präsente Bedrohung eines Jeden von und gegen Jeden kalkulierbar geworden.

WAKATT ist ein Tanzstück, dessen Choreografien von den starken Tänzerinnen und Tänzern leben, von denen viele in Belgiens Compagnien mit Weltruf getanzt haben, wie Alain Patel, Sidi Larbi Cherkaoui und Wim Vandekeybus. Stationen in ihren Biografien, die sie mit Coulibaly teilen und das ist spürbar.

WAKATT@TANZweb.org_Klaus-Dilger

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Einen ebenso grossen Anteil an der Wirkkraft dieses Abends kommt der Live-Musik zu, die der Jazzmusiker Malik Mezzadri alias Magic Malik komponiert hat. Als Flötist und Sänger steht er neben Maxime Zampieri (Schlagzeug) und Jean-Luc Lehr (Bass) mit auf der Bühne, und treibt die Performer zwischen Gewalt, Zärtlichkeit, Hoffen, Angst und Wahnsinn hin und her bis zum heller werdenden Ende, dessen Schlussbild jedoch schon die nächste, fast unausweichlich scheinende Katastrophe in sich trägt.

Insgesamt ein düsterer Tanz Science Fiction, der Beklommenheit zurück lässt. Die Zuschauer dankten allen beteiligten Künstlerinnen und Künstlern mit standing ovations – auch dies kann erlösend wirken.

WAKATT@TANZweb.org_Klaus-Dilger

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