Robyn Orlin zeigt im Theater Kerkrade

We wear our wheels with pride and slap your streets with color … we said ’bonjour’ to satan in 1820

Beim schrit_tmacher justDANCE! Festival

von Thomas Linden 

Für ihr Gastspiel auf dem schrit_tmacher Festival in Kerkrade hatte sich die südafrikanische Choreographin Robyn Orlin eine Produktion mit einem besonders langen Titel gewählt: „We wear our wheels with pride and slap your streets with color … we said ’bonjour‘ to satan in 1820“. In diesem Satz ist ein Hinweis auf den historischen Hintergrund der Choreographie enthalten, die das Publikum in Kerkrade letztlich von den Stühlen riss.

Orlin bezieht sich auf die Epoche nach den napoleonischen Kriegen, als in England eine große Arbeitslosigkeit herrschte und aufgrund einer ersten Klimakatastrophe verstärkt Europäer in Südafrika angesiedelt wurden. Die Tragödie der Kolonisierung begann, deren gesellschaftliche Resonanz wir in unseren Tagen zu spüren bekommen. Orlin führt den Diskurs aber nicht mit der Waffe in der Hand. Ihre Choreographie zeigt sich vielmehr von einer Beobachtung aus ihrer Kindheit inspiriert. Damals sah sie in Durban, wie die jungen schwarzen Zulus ihre Rikschas mit den weißen Fahrgästen durch die Stadt kutschierten. Gekleidet mit Kopfschmuck aus Federn und Hörnern zogen sie die zweirädrigen Gefährte über die Straßen und schienen dabei auf elegante Weise abzuheben und davon zu fliegen. Die eigentlich demütigende Beschäftigung verwandelten sie in eine von Würde getragene Arbeit, die Haltung demonstrierte. Und Haltung ist das Sujet, das Robyn Orlin als Choreographin interessiert.

ROBYN-ORLIN©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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Das sechsköpfige Ensemble ihrer Kompanie Moving Into Dance Mophadong verbindet Breakdance und afrikanische Bewegungsmuster mit einer visuellen Präsentation traditioneller Gegenstände der Zulus. So entfaltet sich eine Welt der Farben und Formen, in der die Tanzenden ins Zentrum rücken. Man sieht den Kopfschmuck mit den Hörnern oder die Stoffe in Großprojektionen. Die Farbdramaturgie von Orlin ist stellenweise überwältigend. Sie arbeitet virtuose mit Rot- und Grüntönen, die von einer präzisen Kameraführung und einem dezenten Computerprogramm eingefangen werden.

Auf der weiträumigen Bühne in Kerkrade stellt Orlin erstaunliche Nähe zu den Tänzerinnen und Tänzern her, die man in Großaufnahme direkt vor sich sieht. Nähe ist essenziell für die Konzepte der südafrikanischen Choreographin. Und dazu gehören immer zwei. Das demonstriert sie gleich mit der Eröffnungssequenz. Das Ensemble kommt langsam, fast unbemerkt auf die Bühne. Das Scheinwerferlicht fehlt. Die Tänzer fordern die Technik auf, ihnen Licht zu geben. Das geschieht, schaltet sich aber immer wieder aus. Zu diesem Zeitpunkt ist die Frage der Helligkeit längst zu einer Metapher dafür geworden, dass nur derjenige Aufmerksamkeit erhält, der im Kegel des Scheinwerfers steht. Eine Szene, die Afrikas Schicksal auf den Punkt bringt.

ROBYN-ORLIN©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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Robyn Orlin inszeniert sie aber nicht anklagend, sondern mit einem freundlichen Humor, der sofort das ganze Auditorium mit ins Boot nimmt. Das Publikum ist begeistert und diese Welle der Sympathie setzt sich bis zur Standing Ovation am Ende fort. Die Musik arbeitet derweil mit Trommeln und Gesängen, in denen die Wiederholung eine tranceähnliche Wirkung entfaltet. Das Publikum wird zum rhythmischen Schwingen der Arme aufgefordert, so dass eine Welle des Lachens durch die Sitzreihen braust. Hier erhalten alle Anwesenden eine Sauerstoffdusche, die nachhaltige Wirkung zeitigt. Bei aller guten Laune strandet die Produktion, die mitunter den Charakter einer Perfomance annimmt – nie in einer Anbiederung. Keine Sekunde löst sich der Unterschied zwischen Schwarz und Weiß in geselligem Miteinander auf. Zum Dialog gehört immer auch die Abgrenzung. Aber die Kraft der Nähe eröffnet Perspektiven für ein strategisches Handeln in der Zukunft. Man muss sich eben kennen lernen, dann stellen sich die Brücken schon her. Robyn Orlin jedenfalls verbindet subtil Spontaneität mit politischem Engagement. Wenn man im Schlussbild historische Aufnahmen von den Rikscha-Fahrern sieht, wie sie mit ihrem perlenbesetzten Kopfschmuck tanzend über die Straße ziehen, wird der Zauber ihrer Haltung offensichtlich. Sie wollten nicht als Opfer kolonialer Unterdrückung firmieren, sondern sie selbst sein.

ROBYN-ORLIN©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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