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Die Tränen des Heiligen Petrus

Gemeinschaftsproduktion des Nederlands Kamerkoor, der Dance Company Nanine Linning mit dem aus der Ukraine stammenden Tänzer Alexandre Riabko, Solist des Hamburger Balletts

von Klaus Dilger

Kurz vor seinem Tod komponierte Orlando di Lasso (1532-1594) sein Meisterwerk „Lagrime di San Petro“ (Die Bußtränen des Heiligen Petrus), ein Werk, das zu den musikalischen Höhepunkten der Renaissance zählt.

Nach den vorausgegangenen Absagen wegen der Corona-Pandemie kann die Gemeinschaftsproduktion des Nederlands Kamerkoor, der Dance Company Nanine Linning mit dem aus der Ukraine stammenden Tänzer Alexandre Riabko, Solist des Hamburger Balletts, der die Rolle von Marjin Rademaker übernommen hat, nun endlich in den Theatersälen aufgeführt werden.

Chormusik und Tanz vereinen sich in dieser aussergewöhnlichen Aufführung, die gemeinsam von Tido Visser und Nanine Linning geschaffen wurde, zu einem getanzten Oratorium.

Lagrime di San Pietro_ Nanine Linning©TANZweb.org_Klaus Dilger

Lagrime di San Pietro_ Nanine Linning©TANZweb.org_Klaus Dilger

Die sieben Sängerinnen und Sänger sind von Glassäulen ummantelt. Das mag ursprünglich den Corona-Bedingungen geschuldet sein, unter denen insbesondere Gesangsstücke kaum noch sinnvoll zu inszenieren waren. Hier aber verleihen diese den Singenden eine wohltuende Mehrdimensionalität aus An- und Abwesenheit zugleich, die noch unterstützt wird durch die Kapuzen ihrer warm-farbenen Köstüme, mit denen sie fliessend zwischen Anonymität und empathischer Zuwendung gegenüber dem tanzenden Petrus wechseln. Das erinnert ein wenig an William Wylers „Ben Hur“, als dieser seine Mutter und Schwester im Tal der Lepraerkrankten und Ausgestossenen wiederfindet.

Das Stück beginnt ganz behutsam im Dunkeln mit den Stimmen Alt, zwei Sopranos, zwei Tenöre und zwei Bässen, ehe sich die Folge von zwanzig Madrigalen für sieben Stimmen, mit Peter Dijkstra als Chefdirigent, und deren Wirkkraft auf der wunderbaren Bühne in Kerkrade entfalten darf.

Diese Geschichte ist zweifelsohne dramatisch, zu dramatisch vielleicht für einen so wundervollen Frühlingsnachmittag, aber wir nähern uns Ostern…  hierzu gehört das Drama der Verleugnung Christi durch Petrus, deren Folgen wir hier beiwohnen. Petrus war einer dessen treuesten Jünger.  Er hat ihn dreimal verleugnet aus Furcht um sein eigenes Leben, als er gefragt wurde, ob er Christus kenne. Es geht um Schuld, Reue und Sühne in den „Tränen des Petrus“, es geht darum, die innere Topografie Petrus’ sichtbar zu machen.

Lagrime di San Pietro_ Nanine Linning©TANZweb.org_Klaus Dilger

Lagrime di San Pietro_ Nanine Linning©TANZweb.org_Klaus Dilger

Alexandre Riabko ist ein hervorragender Tänzer, der darin erprobt ist, in der Bewegung, im Tanz, Charaktere auszuloten, das hat er nicht zuletzt in Neumeiers „Nijinsky“ eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Sein Petrus ist in erster Linie ein zweifelnder, ein Mann der (späteren) Kirche, will uns das „priesterhafte“ Gewandt wissen lassen, das den Zuschauenden zeitlich irgendwo ins sehr späte Mittelalter katapultiert, die Zeit di Lassos, – für die visuelle Gestaltung sind die Kostümdesignerin Irina Shaposhnikova und die Bühnenbildnerin Pink Steenvoorden verantwortlich – eine zeitliche Verortung, die empathische Verbindungen zum Bühnengeschehen nicht gerade einfacher macht.

Lagrime di San Pietro_ Nanine Linning©TANZweb.org_Klaus Dilger

Lagrime di San Pietro_ Nanine Linning©TANZweb.org_Klaus Dilger

Lagrime di San Pietro_ Nanine Linning©TANZweb.org_Klaus Dilger

Lagrime di San Pietro_ Nanine Linning©TANZweb.org_Klaus Dilger

Dies scheint das Inszenierungduo zu einer erweiterten zeitlichen Auflösung zu verleiten: Ergänzend zu der Komposition di Lassos gibt es ein paar Zwischenspiele, in denen fünf Chorsänger auf Leinwänden zu sehen sind. Großaufnahmen in schwarz|weiss mit viel Kontrast, mit animierten Textfragmenten – hier handelt es sich um inszenierte Einschübe der Nonsense-Madrigale (1988-1993) des ungarischen Komponisten György Ligeti. Diese Inszenierungsidee verschafft zuvorderst Abwechslung, Erlösung von der immer gleichen „Leidenssprache“ Petrus, die ihm Nanine Linning choreographiert hatte; wie sie dem Werk di Lassos zusätzliche Tiefe und Dimension verleiht, erschliesst sich dagegen nicht.  Kurz vor Ende knien diese „Furien“ feixend und lebendig am Bühnenrand, während Petrus sich allen Irdischen entledigt, sich aus seiner Kleidung schält und sich „nackt“ zu seiner symbolischen Kreuzigung in eine der nun leergewordenen Glassäulen schleppt, nachdem er dieses Kreuz choreografisch, symbolisch und lange in stillem Leid getragen hatte.

Das alles könnte spannend sein, ist aber gefährlich, wenn es nicht zwingend ist. Die Magie des Theaters vermag ihre eigene Zeitrechnung und -fluss zu entwickeln, ohne die szenische Schnelllebigkeit unserer digitalen Illusionen zu reproduzieren, beginnt sie sich aber dieser Elemente zu bedienen, um der Kurzweil willen, gerät möglicher Weise ihre Architektur ins Wanken.

Das Können aller beteiligten Künstler stemmt sich bravourös gegen den Einsturz.

Es ist überaus dankenswert, dass der Text des „Lagrime di San Pietro“ als projizierte Untertitel in niederländischer Übersetzung zugänglich gemacht wurde. Seine poetische Schönheit kann somit erfasst werden, wenngleich nach der idealen Form noch gesucht werden muss.

Lagrime di San Pietro_ Nanine Linning©TANZweb.org_Klaus Dilger

Lagrime di San Pietro_ Nanine Linning©TANZweb.org_Klaus Dilger