schrit_tmacher justDANCE! in Eupen eröffnet:

UNSERE VIDEO-IMPRESSIONEN VON „SCHRÖDINGER’S KATZE“

UND DIE NACHTKRITIK

Zwischen Entweder und Oder

Die belgisch-französische Compagnie Back Pocket stellt das Experiment „Schrödingers Katze“ tänzerisch in einem Glaswürfel dar. Im Alten Schlachthof in Eupen findet vom 26.02. bis 24.03. das SCENAR!O Festival für Theater, Tanz und Zirkus statt und gleichzeitig kooperiert es als belgischer Partner mit dem schrit_tmacher Festival 2023

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von Natalie Broschat

Gleich vorweg: Der Titel „Schrödingers Katze“ verweist auf ein Gedankenexperiment von 1935 des Physikers Erwin Schrödinger. Damit sollen quantenmechanische Systeme in einer realen Welt veranschaulicht werden. Eine Katze befindet sich mit einer geringen Menge radioaktiver Substanz, einem Detektor, einem Hammer und einem Giftgefäß in einer Kiste, in die man nicht hineinsehen kann. Wenn die radioaktive Substanz zerfällt, wird das Gift freigesetzt und die Katze stirbt. Das kann man eben nicht sehen, weswegen die Katze bis zur konkreten Zustandsfeststellung paradoxerweise gleichzeitig tot und lebendig ist. Das Experiment stellt also einen Zwischenzustand dar, da es in unserem Verständnis nur ein Entweder Oder gibt: entweder tot oder lebendig, keine Gleichzeitigkeit dieser beiden Zustände.

Und genau hier setzt das interdisziplinäre Akrobatik-Kollektiv, die Compagnie Back Pocket aus Belgien und Frankreich, an. In „Le Chat de Schrödinger“ wird in einem vier mal vier Meter großen Kubus aus Schaltglas – das zu Beginn noch undurchsichtig ist und nur Schemen erkennen lässt – gleichzeitig beiden möglichen Zuständen der Katze eine tänzerisch-akrobatische Form gegeben. Mit in diesem quadratischen Raum ist ein silberner Eimer, ein Holztisch mit Buch und Stuhl sowie eine Matte. Die Verknüpfung zu Quarantäne und Isolation stellt sich ein. Die Erinnerungen ans Zusammenleben auf engstem Raum, das Austarieren von Grenzen, das Bewegen und Bewegtwerden kommen wieder in den Sinn.

Aurélien Oudot, Co-Directeur der Compagnie, befindet sich von Anfang an in diesem abgeschlossenen Raum. Tänzer-Akrobat Mikaël Bres betritt ihn von außen und klärt somit die Sicht ins Innere des Kubus. Sie beide tragen beige Hosen, beige Hemden (jeweils mit 02020 gekennzeichnet) und ein weißes Unterhemd. Zu Beginn noch bewegen sie sich aneinander vorbei, dabei aber ähnlich und voneinander entfernt und abgewandt teils sogar synchron. Bald fliegen sie übereinander hinweg und gleiten unter dem anderen hindurch, bis sie sich des anderen komplett bewusst werden und sich gewissermaßen in einen akrobatisch-zirzensischen Dance-Battle begeben. Es ist erstaunlich, welche Sprünge und Bewegungen die beiden auf so kleinem Raum präsentieren. Dabei wird der Schaltglas-Kubus an den Streben von verschieden farbigem Licht akzentuiert (Julien Bier). Eine Industrieleuchte über der Mitte des Kubus verstärkt hingegen die Laborassoziation.

In diesem Forschungsraum wird mitunter musiziert. Mikael Bres zelebriert seine E-Gitarre, singt und raucht dazu. Im vollends lebendigen Zustand ist er also ein Rockmusiker. Oder hat er diese Kunst in der Quarantäne verfeinert? Oder ist es nur ein Traum des auf der Matte liegenden Aurélien Oudot? Die Realitäten verschwimmen, denn die beiden Tänzer, die beiden agilen Körper im Kubus, sind vielleicht oder eigentlich ein und derselbe. Sie repräsentieren außerdem entgegengesetzte Pole und Kräfte: Gut und böse, sanft und energisch, lebendig und tot; wie wenn es einen Menschen innerlich und äußerlich zerreißt. Mikaël Bres kokettiert bisweilen sehr stark mit dem Publikum, was manchmal die Distanz zum Experiment und der Atmosphäre torpediert. Doch genau diese Koketterie tut wiederum dem Ende gut, wenn einer der beiden den Kubus ins Leben verlässt und der andere immer wieder neu den Tod (er)findet.