Schrittmacher Festival in Aachen:

Spellbound Contemporary Ballet gastiert mit

„Rossini Ouvertures“ von Mauro Astolfi

Nicole Strecker

Eigentlich dürfte noch gar nichts los sein auf der Bühne. Nachdem die Musiker ein letztes Mal ihre Instrumente gestimmt, die Zuschauer sich zurecht gehüstelt und den dynamisch hereinwehenden und im Orchestergraben verschwindenden Dirigenten beklatscht haben – Stille. Dann: die Ouvertüre. Ein Geigenjauchzer oder ein dumpfer, leiser Ton, je nachdem was uns die Oper in den nächsten Stunden verkünden möchte. Aber eben: vor geschlossenem Vorhang oder menschenleerer Bühne. Bei Choreograf Mauro Astolfi dagegen ist der Teufel los. Seine „Rossini Ouvertures“ feiern die Lust des Beginnens. Eine Ouvertüre folgt der nächsten und immer sind die Gemüter schon auf dem Siedepunkt, wuseln die „Rossinianer“ rastlos wie Aufziehpüppchen über die Bühne. Rossini selbst ist hier ein athletischer Jüngling, blass, mit dunklem Lockenzopf, eigentlich immer auf der Flucht, aber die Gesellschaft grapscht mit gieriger Begeisterung nach dem Künstler.

Spellbound Rossini Overtures©TANZweb.org

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Der „Rossini-Taumel“, längst ein stehender Begriff für die Rezeption des italienischen Superstars, zu dessen Unterkunft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Fans in Fackelzügen pilgerten und den andere Komponisten neidisch kopierten – dieser Taumel also wird hier zum Choreografie-Prinzip. Die Tänzer hüpfen und zucken als hätten sie einen Schwarm Mücken verschluckt. Ihre Körper schnörkeln, schrauben, kurbeln wie beschwipst. Und wenn sie sich in Duos und Trios finden, verheddern sich ihre Gliedmaßen so heißblütig, schnell und kompliziert – das Kamasutra ist einfallslos dagegen.

Spellbound Rossini Overtures©TANZweb.org

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1994 gründete Mauro Astolfi das Spellbound Contemporary Ballet in Rom. Seit einem Vierteljahrhundert also gibt es diese Kompanie schon, bei der die Tänzer offenbar auch nach erotischer Attraktivität gecastet werden und die eher für kulinarisches Entertainment steht als für die künstlerische Innovation. Man könnte also sagen: Ein guter „Rausschmeisser“ für das an diesem Wochenende zu Ende gehende Schrittmacher-Festival. Allerdings gilt für Astolfis „Rossini Ouvertures“ auch: eine schöne Chance – verschenkt. Denn die konzeptuellen Ideen dieses Stücks sind durchaus charmant. Rossini als gefeierter Künstler, göttliches Genie und sinnlicher Lebemann, der von seinen Opernfiguren, Anhängern und Ängsten heimgesucht wird. Choreograf Astolfi und Bühnenbildner Marco Policastro lassen das Geschehen vor einer edel mahagoni-farbenen Schrankwand spielen, deren Türen und Schubladen unberechenbar auf- und zuklappen und geheimnisvolle Vorgänge offenbaren – Rossini im Wunderland. So schlängelt sich gegen Ende auch eine Gestalt im schwarzen Ganzkörperanzug mit wurmartiger Hinterlist heraus und heftet sich an Rossinis Körper wie ein Schatten. Es ist die Vorahnung des nahenden Todes, aber auch ein Gefährte in der Einsamkeit.

Spellbound Rossini Overtures©TANZweb.org

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Alles vertretbare, vergnügliche Ideen, hätte Astolfi nicht den Ehrgeiz, der italienische ‘Marco Goecke’ sein zu wollen. Nur leider: ohne dessen messerscharfe Präzision und bedeutungsgeladene Expressivität in den Gesten. Wo einen bei Goeckes hyperaktiv-zerrissenen Körpern der bizarre Schrecken packt, ermüdet bei Astolfi die angestrengte Dauer-Ekstase. Die letzte Pointe in der Bewegungskomik wird zu oft verpasst, auch wenn die herumschnellenden, hitzigen Körper, das Trippeln mit zusammengepressten Schenkeln als explodiere sonst das Gemächt und die turboschnellen Slapstick-Kollisionen natürlich beeindrucken als Kraft- und Konditionsleistung der neun toptrainierten Tänzer. Dass Rossini einfach wuschig macht – das wussten schon die Zeitgenossen.

Spellbound Rossini Overtures©TANZweb.org

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