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Balletto di Roma mit

„Giselle“

Es ist bereits der zweite „Giselle“-Abend im niederländischen Heerlen. Erst vor zwei Wochen begeisterte Dada Masilo mit ihrer Neuinterpretation des Oper-Ballettklassikers das Schrit_tmacher-Publikum, nun präsentierte das Balletto di Roma den selben Stoff aus der Sicht von gleich zwei Choreografen:  Itamar Serussi Sahar und Chris Haring.

Nachtkritik von Laura Brechmann

Es ist bereits der zweite „Giselle“-Abend im niederländischen Heerlen. Erst vor zwei Wochen begeisterte Dada Masilo mit ihrer Neuinterpretation des Oper-Ballettklassikers das Schrit_tmacher-Publikum. Die aus Südafrika stammende Tänzerin und Choreografin, die sich in den letzten Jahren vor allem durch ihre Klassiker-Interpretationen international einen Namen machte, überträgt den tragisch-romantischen Stoff auf eine ländliche Gegend in Südafrika. Das klassische Liebesdrama vertieft sich, da Masilo Themen wie Frauenrechte und Sexualität kritisch in die Handlung einflechtet. Dennoch tanzt, liebt und leidet an diesem Abend eine „Giselle“ auf der Bühne. Der Plot wird wiedererkannt, gibt dem Zuschauer Sicherheit – und nur so kann sich die durch Masilo hinein geflochtene Kritik entfalten.

Giselle Balletto die Roma ©Klaus Dilger TANZweb

Giselle Balletto die Roma ©Klaus Dilger TANZweb

Doch jetzt, an diesem Abend, stimmt etwas nicht. Von einer Neuinterpretation kann man im Zusammenhang mit Itamar Serussi Sahar (ISR/NL) und Chris Haring (NL) gemeinsam und doch getrennt choreografierten Abend nicht mehr sprechen. „Giselle“ wird von den Tänzern und Tänzerinnen des Balletto di Roma nicht interpretiert, übertragen, ergänzt, sondern zerlegt, durchmischt und bis auf die Haut entkleidet. Lustige Tanzabende in bäuerliche Atmosphäre, zärtliche Liebkosungen zweier Liebenden und folgenreiche Verführungen durch mystische Frauengestalten werden, trotz Wiedererkennungswert, schonungslos aus der Handlung entfernt. Sowohl in dem von Sahar gestalteten 1.Akt als auch im 2.Akt von Haring wird jegliche Rollenverteilung aufgehoben. Keine Giselle, kein Albrecht, kein Hilarion steht auf der Bühne, sondern reine, in durchsichtige Bodies gekleidete Körper in Konstellationen. In ihren je eigenen künstlerischen Sprachen fokussieren sich Sahar und Haring auf die beiden Themen, die übrig zu bleiben scheinen, wenn jedes Narrativ, jede Verschnörkelung des Klassikers entfernt wird: Amore und Morte, Liebe und Tod.

Giselle Balletto die Roma ©Klaus Dilger TANZweb

Giselle Balletto die Roma ©Klaus Dilger TANZweb

Sahars 1.Akt ist dabei weit weniger narrativ als Harings 2.Akt. Seine Choreografie gestaltet sich durch die repetitive Wiederholung von Gesten. Die Hand klopft aufs Herz, der ungewollte Kuss wird weggewischt, die Faust rebellisch erhoben. „Giselle“ ist hier eine Gruppe aus Körpern, die sich lieben und hassen; suchen und finden; nähern und trennen. Im selben Atemzug geht es um Liebe und Betrug. Um all das Schöne und Hässliche was zwischen Menschen, die zu Lieben und Leiden fähig sind, geschieht. Das musikalische Sound-Arrangement von Richard Van Kruysdijk unterstützt diese eigentümlich-fremde Wirkung des 1.Akts, in dem Adams berühmte Kompositionen mit lauten elektronischen Sounds und knirschenden Geräuschen unterbrochen und durchmischt wird. Die Tragödie kündigt sich nicht in leisen Tönen an, um dann mit dem Tod Giselles ihren Höhepunkt zu erreichen. Sondern in den ersten Bewegungen, mit den ersten donnernden Tönen, zeigt sich, dass das Tragische in Gestalt von Betrug, Leid, Tod längst präsent ist.

Balletto di Roma

Balletto di Roma “Giselle” TANZweb Klaus Dilger

Chris Harings Choreografie im 2.Akt hat eine eher anziehende visuelle Kraft. Er arbeitet weniger in Konstellationen, sondern lässt die Tänzer und Tänzerinnen stärker vereinzelt auftreten. Zu Begegnungen kommt es selten. Es ist düster, das Glück scheint verloren. Durch wellenartige schleichende Figuren, die nur noch Schatten ihrer Selbst sind, versucht Haring, die verhängnisvolle Verführungslust der Walis auf die Bühne zu bringen. Doch eben weil Sahar die Dramatik im 1.Akt nicht entwickelt und dann zur Pause hin tragisch hat enden lassen, hat es der 2.Akt schwerer und verliert an Wirkung.

Der Übergang von der Dies- zur Unterwelt gelingt nicht. Dem Zuschauer fehlt, da jedes narrative Moment entfernt wurde, jegliche Möglichkeit, beide Akte miteinander zu verbinden. Die Akte stehen für sich. Sie gleichen zwei Puzzleteilen, die nicht zusammen passen wollen. Durch das Fehlen einer gemeinsamen Dramaturgie gleicht der Abend einem kleinen Agon. Nicht über Qualität der Produktion wird diskutiert. Sondern welcher Akt von welchem Choreografen besser gefallen hat, steht am Ende als einzige Frage im Raum. Ob ein Choreografen-Wettstreit, das angestrebte Ziel des Schrit_tmacher-Experiment gewesen ist, ist jedoch anzuzweifeln.

Von |2019-03-27T15:24:50+01:0027. März, 2019|

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