Mächtig eingeheizt:
Die sieben Tänzer der Gruppe RUBBERBANDance aus Canada wärmen die kalte Fabrik Stahlbau Strang in Aachen. Dieser Industrieort passt hervorragend zur Rauheit und zum Humor der Company. Sie bringen ein urbanes Tanzvokabular mit, das sich mühelos mit modernem Tanz und Ballett vermischt hat. Und die Tänzer haben sichtlich Spaß auf der Bühne, so dass es ansteckend ist.
Nachtkritik von Lisa Reinheimer
Ich könnte so viel schreiben. Es ist schwer zu wählen. Der Abend war voll, lustig, ansteckend. Und das ist meiner Meinung nach am wichtigsten. Jung und alt saßen in der Halle, sie alle mussten lachen, manchmal gespannt auf dem Stuhlrand sitzend oder einfach nur mit den Augen verfolgend, wie diese Tänzer ihre Körper in alle Richtungen schiessen, kreiseln, stolpern und gleiten lassen, dass einem ganz schwindlig wird.
Dieser Abend ist ein Querschnitt durch das Oeuvre des künstlerischen Leiters und Choreografen Victor Quijada, aber auch ein Querschnitt der zeitgenössischen Tanzgeschichte. Er remixed seine eigenen Arbeiten zu drei neuen Tracks. In dieser Arbeit kann die Liebe für beide Seiten des Tanzspektrums gesehen werden: Urban und Modern. Und das ist ein Vergnügen zu sehen. Wie sie aneinander haften, sich gegenseitig reizen oder ergänzen. Die Dynamik, die dadurch entsteht, ist voller sprudelnder Energie, die hochspringt, explosiv. Die Formalität von Ballett und modernen Stilen wird immer mit einem Nadelstich kommentiert. Die Tänzer machen das mit erstaunlicher Geschwindigkeit, Raffinesse und großer Nonchalance. Von großartig und bombastisch zu detailliert und gedämpft. Die Tänzer kontrollieren alles. Manchmal kann es sogar fast kubistisch genannt werden, wenn sie ihre Körper drehen und falten. Dann bohren sie sich wie ein Torpedo diagonal durch den Raum. Das Partnering der Tänzer ist herausragend und zeigt ein großes gegenseitiges Vertrauen.
Bereits im ersten Teil wird klar, dass Quijada ein scharfes Auge hat. Er baut seine Choreografien nach klaren Prinzipien auf. In diesem Sinne sind sie “klassische” Kompositionen. Aber nichts ist so wie es scheint. Denke nicht, dass du dich zurücklehnen kannst, denn Quijada spielt mit allem, was ihm zur Verfügung steht. Er ist ein Zauberer, der die vierte Wand zum Einsturz bringt. Tänzer werden aus der Bühne gejagt oder dekonstruieren die Choreographie und unterhalten sich gleichzeitig mit dem Techniker und dem Bühnenmanager übers Interphone. Es ist voller überraschender Einfälle, sowohl technisch als auch kompositorisch. Und so schafft er es, schnell verschiedene Schichten anzusprechen. Ohne nervig zu sein, ist die Spielfreude einfach ansteckend. Witzig ist zum Beispiel die Szene, in der drei Tänzer um ihr Stichwort und Solo wetteifern auf das dann die Musikeinspielung zu erfolgen hat. So treiben sie den Ton-Techniker zum Wahnsinn, bis sich dieser als sehr guter DJ entpuppt. Urbane Kultur trifft zeitgenössische Choreografie. Es ist verspielt, intelligent, humorvoll und zeigt einen extrem guten Sinn für Timing und Komposition.
Quijada wuchs in LA auf. In seiner eigenen Nachbarschaft kam er in den 1980er Jahren mit dem Breakdance in Kontakt. Es ist die Zeit, in der sich die Hip-Hop-Kultur in Amerika entwickelt. Breakdance ist neben DJ’ing, MC’ing und Graffiti / Kunst eines der wichtigsten Elemente dieser Kultur. Neben diesen entstanden Breakdance, Popping (Robotic, Jerky), Locking (Isolation von Körperteilen), Krump und House Dance. An der Ostküste, in New York und auch Chicago, ein bisschen rauer als der mehr infizierte Stil an der Westküste. Dort entzündete sich seine Liebe zum Tanz. Obwohl er später die Ausbildung als moderner Tänzer besucht, bleibt die Liebe zu Urban groß und er gründet 2002 seine eigene Company.
Vic’s Mix gibt buchstäblich einen Querschnitt der Arbeit von Quijada. Du siehst, wie sich sein Stil zu fließendem Vokabular entwickelt hat. Und seine Arbeit und sein Stil sind der neuesten Tanzgeschichte in ihrer ganzen Breite verpflichtet. Die choreographischen Prinzipien der Postmoderne, die Haltung der Urban-Szene. Breakdance ist auch perfekt für die Interpretation klassischer Sinfonien und moderner Ästhetik, um das Hier und Jetzt zu kommentieren. Aber am stärksten ist er, wenn er mit einem Augenzwinkern die Strukturen beider Welten kommentiert. Weil wir am Ende alle nur Menschen sind, nehmen wir mit, was uns begegnet und was uns interessiert. Und damit müssen wir uns befassen.