Schrittmacher Festival
Zombies aus Angst und Wut
„All I Need“ von der Beaver Dam Company in der Fabrik Stahlbau Strang
Von Nicole Strecker
Eigentlich war man ja heilfroh, diese Stimme nicht mehr hören zu müssen: das Gebelle und Geprotze von Ex-US-Präsident Donald Trump. Doch jetzt ist er wieder da – mindestens auf der Bühne. Von heute an beginne ein Gespräch darüber, wie man „America safe again“ machen könne, tönt es aus den Lautsprechern. Dazu hampeln sich neun Tänzer:innen durch das Gesten-Arsenal des demagogischen Krakeelers, schubsen sich beiseite wie das Trump beim Nato-Gipfel 2017 mit Politikern tat, zerreißen sich gegenseitig die Klamotten – Chaos. Alles auf Anfang. Trump prahlt wieder los. Ein Egomane im Endlos-Loop.
„All I Need“ heißt das Stück vom französisch-schweizerischen Choreografen Edouard Hue und seiner 2014 gegründeten Beaver Dam Company, das jetzt beim Schrittmacher Festival in der Fabrik Stahlbau Strang gastierte. 2021 ist es entstanden. Da glaubte man gerade, den skrupellosen Narzissten, der die repräsentative Demokratie attackiert hatte wie kein US-Regierender vor ihm, hinter sich zu haben. Doch so leicht wird man ihn nicht los, das prognostizierte Edouard Hue offenbar schon vor zwei Jahren. So bekommt sein Stück nun mit der berechtigten Angst vor einer Wiederwahl Trumps neue Aktualität. Ziemlich bizarr ist allerdings, dass Hue nach ein paar Runden durch den „Trump“-Loop dieselbe choreografische Szene zur Stimme von Wladimir Selenski wiederholen lässt. Wie jetzt? Wohlwollend interpretiert, könnte Hue damit das „safe“ in Trumps Rede konterkarieren wollen, nach dem Motto: Von wegen ‘sicheres Amerika’, jetzt bedroht ein Krieg die Welt. Aber befremdend ist die szenische Gleichsetzung Trump-Selenski dennoch. Dramaturgische Präzisionen sind Hues Sache offenbar nicht. Sehr schade.
Dabei können sich er und seine wunderbare ‘Biberdamm’-Kompanie doch aller Sympathien sicher sein. Schon das Ensemble selbst ist ein politisches Statement für gelebte Diversität und Bodypositivity im Tanz. Wo in Sachen Herkunft und sexueller Identität der Tanz längst schon weiter ist als der Rest der Gesellschaft, tut sich die Sparte bei den Gewichtsklassen bekanntlich nach wie vor schwer – zumal, wenn in Stücken virtuose Leistungen abgerufen werden müssen. Die „Beaver Dams“ zeigen nun, dass nicht nur ideal-proportionierte Muskelmaschinen zu verblüffender Geschwindigkeit, Härte und Kraft in der Lage sind. Die neun Tänzer:innen marschieren in knapper Unterwäsche bekleidet auf. Gewaltige Elektrobeats pulsieren durch ihre Körper. Die Hände zu Fäusten geballt stampfen, zucken, krampfen sie sich in fiebrige Erregung.
Edouard Hue versucht gar nicht erst, seine Prägung durch einen der besten Choreografen unserer Zeit zu verbergen: Hofesh Shechter. Seit rund 20 Jahren inszeniert der seine fantastischen Tanz-Menetekel und hat für seine Revolutionen und Apokalypsen einen einzigartigen Stil geschaffen, der es verdient, von künftigen Generationen weiter getragen zu werden. Und vermutlich kriegt man die extrem rhythmische und auf aggressive Kontraste setzende Bewegungssprache ohnehin nicht mehr mehr aus dem Leib, hat man eine Zeitlang bei Shechter gearbeitet – wie Edouard Hue.
So rotten sich nun auch bei ihm die Tänzer:innen zu grotesk-zornigen Rebellen zusammen und verwandeln ihre Körper in Waffen, um dann in langsameren Szenen auch von der Zerbrechlichkeit, den Ängsten hinter der Wut zu erzählen. Da steht eine Tänzerin am Bühnenrand wie eine Rednerin, die ihren Text vergessen hat. Sie holt immer wieder Luft, findet keine Worte, bis schließlich ihr Körper die Kontrolle verliert und ekstatisch zitternd und mit verdrehten Gliedmaßen ihr Innerstes nach außen stülpt.
Die Verzweiflung über unsere Welt, all die heftigen Gefühle – sie entstellen uns auch, verwandeln uns in wutverzerrte, angstzerfressene Zombies, zeigt Edouard Hue. Am Ende aber richten sich seine Tänzer:innen langsam vom Boden auf, stehen einfach da, finden zu Menschlichkeit in Melancholie. Wären wir nur alle etwas moderater, etwas besonnener, etwas weniger „Trump“.