FRAGILE eröffnet
A STRING ACTION – Eine Folge von Zeichen
mit “Reckless Sleepers” und ihrer Performance “A STRING SECTION” und den Eröffnungsreden zum “Festival für Nachhaltigkeit in der Kunst”
Beobachtet von Klaus Dilger – (“Elderly Change Watchers” – to be invented)
Nach der Eröffnungsaufführung des FRAGILE Festivals, das den Anspruch erhebt, es sei „das internationale Festival für Nachhaltigkeit und Kunst“, kreisen die Gedanken des Betrachters…
Zitate aus dem Programm-Heft:
„Reckless Sleepers haben mit A STRING SECTION ein hypnotisierendes und humorvolles Ritual geschaffen. Eine schrullig-schöne und selbstzerstörerische Choreografie mit Charakter und Symbolik, je nachdem, wo sie präsentiert wird. Frauen, alle im „Kleinen Schwarzen“, sitzen auf Stühlen. Elegant wie die Streichergruppe eines Symphonieorchesters, aber mit Sägen statt Geige und Bogen ausgestattet. Ihre Aufgabe ist recht einfach: sich „den Stuhl unterm Hintern wegzusägen“, während sie darauf sitzen – ohne umzufallen. Auf dem Stuhl sitzend, ausgestreckt liegend, um die Rückenlehne gewickelt, kopfüber, die Beine in den Himmel. Die Körper werden verdreht, um die optimale Arbeitsposition zu finden. Die Stuhlbeine wehren sich, aber die Frauen sind entschlossen zu kämpfen, unermüdlich. Das rhythmische Sägegeräusch kündigt die bevorstehende Zerstörung an, während Schweiß und Sägemehl sich vermischen. Ihre Muskeln brennen, und sie kämpfen verzweifelt, um das Gleichgewicht zu halten, während die Stühle unter ihnen zusammenbrechen. Wir zittern bei jedem Abrutschen der Säge. Wir lachen, wenn sie das Gleichgewicht verlieren und mit einem Knall auf den Boden stürzen. Fasziniert verfolgen wir jede Bewegung und jeden Schnitt, gespannt auf die endgültige, unvermeidliche Selbstzerstörung.
Im Jahr 2010 begann Leen Dewilde Dinge zu zerstören, Tassen zu zerschlagen, Wände einzureißen, Möbel zu zerschneiden und Stuhlbeine abzusägen. A STRING SECTION begann als eine dieser Arbeiten. Ein einfaches Set aus Stühlen, Frauen und Sägen. Ein Projekt, bei dem die Produktion von Sägespänen, die übrig gebliebenen Beine, die halb zerbrochenen Stühle, die Überreste der Aktion genauso wichtig sind wie die Aktion selbst; präsentiert in Galerien, Theatern, einer Kirche, einem Lagerhaus oder draußen am Meer, in einem italienischen Hof, unter einer Brücke. Bei FRAGILE ist A STRING SECTION Teil der Festivaleröffnung vor dem Pina Bausch Zentrum under construction. Es wird eine Wuppertaler Fassung erarbeitet mit Tänzer*innen des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch, der Freien Szene und der Folkwang Universität der Künste.“
Zitat weiter:
„…Die Projekte von Reckless Sleepers sind nicht im herkömmlichen Sinne „geschrieben“. Vielmehr bestehen sie aus konstruierten Schichten von ausgeschnittenen und eingefügten Fragmenten, die vor dem Computerbildschirm, in einer Blackbox, auf einer Zugfahrt oder mitten in der Nacht entstanden sind. Sie beinhalten ein Regelwerk, eine soziale Ordnung, eine Struktur, ein geordnetes Chaos. Nach einer Zeit des Experimentierens und vieler Fehlschläge beginnen diese Projekte, Gestalt und Form anzunehmen, und entwickeln eine eigene Identität.“
Soweit das Programmheft
In Wirklichkeit jedoch gibt es viel Raum für eigene Assoziationen…
…, denn schon nach sehr wenigen, der insgesamt 45 Minuten gibt es kein Geheimnis und keine Überraschung mehr zur klimakritischen Aussageabsicht dieser Performance, selbst wenn jemand das Programm nicht gelesen haben sollte. Und auch die Qualität der Darbietung, bei allem Engagement der sieben Performerinnen, bietet wenig Faszinierendes, im Sinne einer choreografierten Handschrift oder eines Psychograms, das sich vor den Zuschauenden entfaltet und sie fesselt, oder gar, wie sich zunächst vermuten liesse, ein nach und nach aus dem Ruder laufendes Streicher-Septett, dem die Dirigentin abhanden gekommen ist. So erklärt sich auch das Zustandekommen der verschiedensten, häufig sehr persönlichen Interpretationen der Rezensionen der vergangenen mehr als zwölf Jahre im Lauf dessen Entstehungsgeschichte.
Warum also nicht die Sichtweise nach Innen richten?
Ist die Kunst denn frei von kapitalistischen Rahmenbedingungen, in denen Wenige die Macht haben, weil sie die Produktionsmittel in der Hand halten, sowohl strukturell, als auch finanziell und sind es nicht ganz wesentlich diese kapitalistischen Prinzipien, die die Zerstörung der Lebensbedingungen dieses Planeten zu verantworten haben?
Wäre es also erlaubt eine Art der Selbstkritik oder Selbstironie darin zu sehen, nämlich dass Kunst so zurecht gesägt werden muss, dass sie ins Thema eines Festivals wie FRAGILE oder sonst eines kuratierten Programms passt? bis von Kunst und der Seele der Künstlerin oder des Künstlers nichts mehr übrig bleibt? „Darf und muss es noch ein Stuhlbein weniger sein…?“ Wäre dies denn so abwegig, wenn wir uns die Praxis der Tranzprogramierung der letzten 20 Jahre ansehen?
Und sind es nicht gerade die Kulturschaffenden, die auf Grund prekärer Produktionsverhältnisse, sich und ihre Arbeiten immer wieder selbst ausbeuten (müssen), um überhaupt gezeigt zu werden?
Die Kunst ist frei, natürlich, ebenso wie die Gedanken, aber der Weg zum sichtbar werden und zum Austausch sind oft versperrt.
Greta Thunberg lebt
Die Gedanken und Worte von Greta Thunberg, die sie im September 2019 während des UN Klimagipfels so eindrücklich formulierte, sind noch immer lebendig und inspirieren augenscheinlich auch die nachfolgenden jungen Menschen, wie Dana und Jana von den „Young Change Watchers“, einer Gruppe von Schülerinnen und Schüler aller Altersjahrgänge, die sich an der Wuppertaler Pina Bausch Gesamtschule gebildet hat.
Ihre Eröffnungsworte nahmen viele der Formulierungen von Greta Thunberg auf, ohne sie allerdings explizit zu zitieren. (Die Redebeiträge können HIER nachgehört werden)
Es würde an dieser Stelle zu weit führen, nachzuzeichnen wie Meinungsbildung durch Behauptungen in unseren (vor Allem auch sozialen) Mediensystemen funktioniert und welche, mitunter vernichtenden, Auswirkungen diese haben können.
OB Prof. Dr. Uwe Schneidewind und Stadtdirektor Matthias Nocke…
…nahmen die Beiträge der Young Change Watchers dankbar auf und verbanden ihre Hoffnungen für die Zukunft auch mit Einrichtungen wie dem geplanten Pina Bausch Zentrum, für dessen Kommen und seine Umsetzung selbst sehr viel Hoffen und Arbeit von Nöten sein wird, denn auch hier könnte der bestimmende Faktor das notwendige Kapital sein, wenn die Entscheidungsträger Kosten und Nutzen und Finanzierbarkeit gegeneinander abwägen werden.
„Kultur ist was wir sind und Kunst das, was wir sein könnten…“ sagte der renommierte Städteforscher und Publizist Charles Landry wenige Wochen zuvor an gleicher Stelle in einem Vortrag anlässlich der „50 plus 1 Jahresfeier“ des NRW KULTURsekretariats.
Doch das, was wir sein könnten, steht auf einem sehr labilen und fragilen Grund, wie Oberbürgermeister Uwe Schneidewind feststellt und wir müssen alles dafür tun, um diesen Grund durch Vernetzungen und Zusammenarbeit ein Stück weit wieder zu stabilisieren. Um Brücken, auch im Verständnis zu bauen, bedarf es der Orte und Strukturen, so wie auch das geplante Zentrum und Formate wie FRAGILE.
Ähnlich äusserte sich auch Stadtdirektor und Kulturdezernent Matthias Nocke in seiner Begrüßung. Ganz ohne Glauben ginge es nicht und manchmal seien auch Zweifel begründet, wenn man sehe, wie in der Performance „A String Section“ gezeigt, dass jeder an dem Stuhl sägt, auf dem er selber sitzt und ein um den anderen Kipppunkt erlebt und denkt, es müsse sich doch langsam eine Erkenntnis einstellen, dass es so nicht weitergehen könne. Doch das mit dem Glauben und der Erkenntnis sei so eine Sache, wie wir alle immer wieder erleben.
Glaubhaft Werdung…
Vermutlich hatte er damit nicht auf die Veranstaltung „CERCLES“ von Boris Charmatz anspielen wollen, die zwei Tage zuvor ebenfalls im Rahmen und finanziert aus Geldern zur Vorbereitung des Pina Bausch Zentrums in Wuppertal stattgefunden hatte. Dort kamen mindestens zweihundert silberne Kleidungsstücke eines Chinesischen Super Fast Fashion Produzenten zum (sinnlosen) Einsatz (wir berichteten darüber HIER nachzulesen), vor deren Kauf und Nutzung und der daraus entstehenden Folgen GREENPEACE in seinem BERICHT dringend warnt.
Doch genau dies mag manchen der Zuschauenden, die auch zwei Tage zuvor auf dem Sportplatz Höfen zugegen waren, durch den Kopf geschossen sein, als die Verantwortliche der Vorlaufphase für das Pina Bausch Zentrum, Frau Bettina Milz, über Nachhaltigkeit und die grosse Verantwortung auch des FRAGILE Festivals in ihrer Begrüssungsrede gesprochen hatte.
Gemeinsames Handeln setzt unabdingbar Vertrauen voraus in eben diese Gemeinsamkeit der Erreichung von Zielen der Nachhaltigkeit. Bettina Milz mag nicht unmittelbar verantwortlich zeichnen für die Kostüme einer Produktion, die sie mitfinanziert, aber gerade, wenn sie über die Auflagen zum eigenen CO2-Abdruck der Förderer des FRAGILE Festivals (Bundesprogramm ZERO) spricht und die Nachweise, die sie erbringen müssten, um die Gelder zu rechtfertigen und nicht zurück bezahlen zu müssen, dann müsste dieses Bewusstsein geschärft vorhanden sein.
Fehler können immer passieren (auch wenn solche Fehler nicht passieren dürften), sie einzugestehen, zu benennen und Verantwortung zu übernehmen, wäre das Mindeste, um die eigene Glaubwürdigkeit wieder herzustellen. Die Geldgeber und Sponsoren, sowohl des Festivals, als auch von CERCLES, und mehr noch die Zuschauerinnen und Zuschauer und die Begleiterinnen und Begleiter für die Umsetzung des Pina Bausch Zentrums, dürfen Antworten erwarten.