Internationale Tanzmesse NRW 2022

ALLEIN WIRD MAN WENIGER VERKAUFT…

„Zusammen ist man weniger allein…“, wissen wir aus dem gleichnamigen Roman von Anna Gavaldo und  Claude Berris‘ Film und beide liefern die wohl passende Überschrift zur Tanzmesse NRW, international und 2022.

von Klaus Dilger

Die Tanzmesse 2022, die vor allem in Düsseldorf stattfand, mit Abstechern nach Köln, Krefeld, Leverkusen und Essen, ist schon wieder Vergangenheit und auch in den sozialen Medien wurden die meisten Erinnerungsmomente daran bereits publiziert, ausgetauscht und kommentiert.

Es waren demnach wohl überwiegend die schönen Begegnungen, die den individuellen Wert dieser, eigentlich alle zwei Jahre stattfindenden, Veranstaltung (sieht man von der Corona bedingten Absage 2020 ab)  ausmachten. Diese fanden in erster Linie auf dem grossen Platz zwischen Tanzhaus NRW und Capitol bei vorwiegend schönstem Sommerwetter statt, aber auch in den Podiumsgesprächen und „Connecting Islands“, wo Brücken zwischen den Inseln gebaut werden sollten und konnten, auf oder besser in denen sich auch der Tanz immer noch oft bewegt, zumindest wenn es um die Fragen des gegenseitigen Erfahren und Verstehens der einzelnen, künstlerischen, ästhetischen, politischen und sozialen, Positionen und Anliegen und um den internationalen Austausch geht. Irgendwann wird sicher auch wieder die Kunst im Tanz im Vordergrund stehen und versucht werden (müssen), Brücken zu den Zuschauern zu bauen, die dem Tanz nicht erst, aber besonders, seit Corona vielfach abhanden gekommen sind.

Letzteres auch ein Wunsch und Anliegen der seit zwei Monaten amtierenden NRW Ministerin für Kultur und Wissenschaften, Ina Brandes, die den Tanzschaffenden bei ihrer Eröffnungsrede weiterhin Unterstützung zusagen wollte. Auch ihr ist bewusst, dass Corona nicht der einzige Faktor in einer Krisen geschüttelten Welt-Gesellschaft ist, der den Weg lang macht, das Publikum für Tanz und Theater wieder zu erreichen.

KI-trifft-KI-©TANZweb.org_Klaus-Dilger

KI-trifft-KI-Impressionen – Andrea Peña & Artists Opening Ceremony of internationale tanzmesse nrw & 6.58: MANIFESTO©TANZweb.org_Klaus-Dilger

Ob die Neuausrichtung der Tanzmesse durch Isa Köhler und Katharina Kucher, die auch in 2024 verantwortlich zeichnen sollen, flankiert von vier internationalen Kuratorinnen und Kuratoren und mittels neuer Themen und Schwerpunktsetzungen diesbezüglich Erfolg zeigen wird, mag die Zukunft zeigen.

Das kuratierte Vorstellungsprogramm und (neue) ästhetische und künstlerische Entdeckungen spiegeln sich kaum in den sozialen Medien wider und in der (nationalen und internationalen) Presselandschaft schon gar nicht, vielleicht auch, weil es die grossen Entdeckungen und begeisternde künstlerische Positionen kaum oder nicht gab. – Dabei waren die beiden neuen Leiterinnen der Tanzmesse, Isa Köhler und Katharina Kucher, doch von der Resonanz des Publikums offensichtlich begeistert: „Wir sind mit der öffentlichen Resonanz sehr zufrieden. Das Düsseldorfer Publikum hat unser Programm mit Offenheit, großem Interesse und Begeisterung aufgenommen“, sagte Katharina Kucher auf LifePR, einer bezahlten Plattform für journalistisch aufbereitete Pressetexte, unter der Überschrift zur Meldung: „Internationale Tanzmesse NRW begeistert Publikum- internationaler, offener, diverser“.

Klar konnte niemand alle Präsentationen sehen und vergleichen, selbst wenn er oder sie den Zugang dazu gehabt hätte. Insofern bleibt „the benefit of the doubt“.

Zehn der ausgewählten 30 Performances waren einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Diese fanden zum Teil auch kostenlos im Öffentlichen Raum statt. Für diese und die 20 weiteren waren die Tickets, die im Preis für die Anmeldung der professionellen Messebesucher und -besucherinnen inkludiert waren, schnell vergriffen, die Vorstellungen daher ausverkauft. Nicht selten ein Ärgernis für die „zu spät Gekommenen“ bei der Anmeldung zur Messe, das die engagierten Mitarbeiterinnen der Tanzmesse nach Kräften versuchten, vor Ort auszugleichen, was ihnen tatsächlich häufig gelang.

Allein: dies bedeutete lange Warteschlangen und -zeit in den Korridoren zu den Open-Studios und vor den Abendkassen der Bühnen. Zeit die bei geplanten Treffen einkalkuliert werden musste. Interessanter Weise jedoch sorgte nicht selten dieses gemeinsame Warten auf engem Raum für die Begegnung mit Menschen, die nicht bereits zum persönlichen oder professionellen Bekanntenkreis der Messebesucher und -besucherinnen gehörten. Das machte sie nicht nur spannend, sondern oft erfreulich und wertvoll.

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KI-trifft-KI-Impressionen – Andrea Peña & Artists Opening Ceremony of internationale tanzmesse nrw & 6.58: MANIFESTO©TANZweb.org_Klaus-Dilger

Noch ein Thema in den sozialen Netzwerken: Corona.

Die Veranstalterinnen hatten auf Vorschriften verzichtet und stattdessen an Eigenverantwortlichkeit und gesunden Menschenverstand appelliert, um sich und andere vor Ansteckungen zu schützen.

Das machte Sinn, auch wenn nur ganz vereinzelt Masken zu sehen waren, denn ansonsten wäre der Tanzmesse kaum der Erfolg beschieden gewesen, der, wie Eingangs dargelegt, vor allem von den Begegnungen bestimmt wurde.

Hiervon auszunehmen wäre allenfalls die neu gestaltete Agora im NRW Forum, soweit sie die Messestände betrifft: hier herrschte Gedränge auf engstem, nicht gerade übersichtlichem Raum und eine dadurch entstehende Grundlautstärke, die beinahe nur durch gegenseitiges anbrüllen, Ohr an Mund und umgekehrt, zu überwinden war und damit den unglücklichen Kreislauf noch verstärkte. Auch den von Corona?

Hier, in diesen Konditionen und Innenräumen, wären Masken tatsächlich mehr als nur ratsam gewesen.

Ertrag und Relevanz

Messen sind Marketing-Veranstaltungen. Sie dienen dem Verkauf von Produkten, Waren oder Dienstleistungen, geben Einblicke in eine Gegenwart und Zukunft, sind Standortbestimmungen in vielfachem Wortsinn. Herausragende Beispiele in Deutschland mit Weltruf sind in der Wirtschaft sicherlich die Hannover-Messe, die PhotoKina oder die Cebit, oder um besser vergleichen zu können: im Kunstbereich die Leipziger Buchmesse oder die Kölner ArtCologne. Sie alle sind Mischungen mit unterschiedlicher Gewichtung aus Ausstellern, Fachbesuchern und Besuchern, Ihre kaum bestreitbare gesellschaftliche und auch wirtschaftliche Relevanz lassen sich an verschiedenen Faktoren  festmachen, nicht allein an reinen Zahlen.

Wo also verortet sich hier der Tanz und die internationale Tanzmesse NRW, die immerhin bereits zum vierzehnten Mal stattfand? Welche Bedeutung kommt ihr tatsächlich zu, welche soll ihr irgendwann zukommen? Und: darf eine solche Frage überhaupt gestellt werden? Wenn ja: wer stellt sie sich?

So wie die meisten Messen, ist der Besuch der Tanzmesse a priori nicht zum Schnäppchenpreis zu haben.

Auch dies immer wieder ein Thema in den sozialen Netzwerken: Anmeldegebühren, Reisekosten, Übernachtung und Verpflegung ergeben rasch einen hohen dreistelligen, wenn nicht gar vierstelligen Betrag für vier und mehr Tage, an denen zudem kein direktes Geld verdient werden kann. Was sich in der Wirtschaft selbstverständlich zu rechnen scheint, kann sich nicht Jede und Jeder aus der freien Kultur- und Tanzszene auf eigene Rechnung leisten, weshalb die Frage nach dem Ertrag der Investitionen vor allem für die Selbstzahlenden von hoher Wichtigkeit scheint. Diesen jedoch zu schätzen oder gar zu ermitteln fiel schon in der Vergangenheit nicht leicht, wieviel schwieriger mag dies in solch ungewissen Zeiten sein?

Hierbei ist positiv zu erwähnen, dass es gerade hierfür mannigfache Unterstützung durch den Dachverband Tanz Deutschland gegeben hatte, der nicht Wenigen einen Teil dieser Finanzlast abgenommen hat, um ihnen eine Teilnahme zu ermöglichen. Doch wissen alle Tanzschaffenden davon?

Ob die internationale Tanzmesse NRW tatsächlich ein Schaufenster des Tanzgeschehens in der Welt ist und sein kann und für wen?

Sicher nicht als Selbstläufer. Einige Länder wie Taiwan, Süd-Korea, Schweden, Irland und andere investieren seit längerer Zeit viel, um ihre Tanzszenen sichtbar zu machen, neue kommen dazu. In diesem Jahr gab es einen sehr starken Schwerpunkt auf die kanadische Tanzszene, der viel Performance-Zeit und Raum zugesprochen wurde. Andere blieben erstmals fast komplett der Tanzmesse fern, wie etwa Frankreich. Das mag mit dem Ausscheiden von Christian Watty aus dem Tanzmesse-Team zusammenhängen, unterstreicht aber auch, welch wichtige Rolle dem persönlichen Engagement der einzelnen Länder-„Agenten“ zukommt, aber auch der aktuellen Kulturpolitik der einzelnen Länder.

„Zusammen ist man weniger allein…“ – ein gutes Motto, als Antwort auf die aktuelle Situation des Tanzes und als Fazit für die Internationale Tanzmesse NRW 2022

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