Wuppertal im Tanzmarathon
CERCLES – KREISE – KREISLAUF
Das neue Tanzevent von Boris Charmatz wurde am vergangen Sonntag in Wuppertal-Oberbarmen aufgeführt als Teil der Vorbereitung des Pina Bausch Zentrums und Heute eröffnet “FRAGILE das internationale Festival für Nachhaltigkeit und Kunst” im Alten Schauspielhaus – wie passt das zusammen?
Beobachtungen von Klaus Dilger
Nachdem CERCLES von Boris Charmatz im Juli in Avignon seine beiden ersten Aufführungen erleben durfte, waren es nun 200 Beteiligte, die Meisten wohl aus Wuppertal und Umgebung, darunter 17 Tänzerinnen und Tänzer des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch, sowie einige Absolventinnen und Absolventen der Folkwang Hochschule und des Instituts für zeitgenössischen Tanz, die am vergangenen Sonntag, bei strahlendem Wetter, den Herbstanfang mit einer Art Tanzmarathon zu der euphorisierenden Musik der Techno Marching Band MEUTE feierten.
Wie bereits im Jahr zuvor bei WUNDERTAL, zeigte sich CERCLES als ein sehr gut organisierter Event mit Workshop-Happening-Charakter und Tanz, dem rund 1.600 Zuschauerinnen und Zuschauer beiwohnen wollten, viele davon sicherlich Freunde und Verwandte der beteiligten Akteure.
Alle Zuschauenden waren eingeladen, das Warm-Up, die Aufwärm-Phase, mitzumachen, die in verschiedenen Gruppen und mit unterschiedlichen Ausrichtungen von Tänzerinnen und Tänzern des Tanztheater Wuppertal angeleitet wurden und viele machten mit, ehe sie zum Zuschauerkreis wurden, der die beiden inneren Kreise des Spektakels umrundete, die Meisten auf dem Kunstrasen sitzend.
Dann betraten die Akteure „ihren“ Aktionsraum, die „Inner Circles“. Manche nahmen eine sitzende, manche eine stehende Position ein, manche sich umarmend, warteten sie auf ihren Einsatz, der mit der einsetzenden Musik beginnt.
Noch ist das Tempo verhalten – Rollende, Körper die krabbeln, schreiten, suchen, fragen, umarmen und gemeinsam zu Boden gehen, was alles andere als einfach zu sein scheint, Menschen, die nach Innen schauen und nach Aussen. Das geht gut neun Minuten so in dieser Geschwindigkeit, ehe sich die Akteure, dem akustischen Signal der MEUTE folgend, zunehmend im innersten Kreise konzentrieren. Die Vor-Tänzerinnen und -Tänzer des Tanztheaters suchen ihre Plätze und haben ihre Gruppen, alle vom Inneren nach Aussen gerichtet, hinter sich versammelt, und warten lange gebeugt stehend auf das nächste musikalische Signal.
„Revolutionary Study“
Was folgt, sind Elemente aus Isadora Duncans’ 1921 entstandener kurzen Choreographie „Revolutionary Study“ (l’Étude révolutionnaire de Chopin – Uraufführung 1923), die sie mehrmals wiederholen, ehe alle den Kunstrasen verlassen.
Für Boris Charmatz, seit 2022 Intendant des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch, der auch das Konzept für „CERCLES“ verantwortet, ist dies ein sehr wichtiger Teil, wie er im WDR-Interview sagt. Er interpretiert Duncans Tanz als „Arbeitertanz“ und sieht so den Kreis geschlossen zu Wuppertal „als Arbeiterstadt“.
(Das Isadora Duncan Institut – Catherine Gallant sagt dazu: Dieses Werk enthält eine explosive Kraft, die ursprünglich als Darstellung der Kämpfe des russischen Volkes auf dem Weg zur kommunistischen Ideologie geschaffen wurde. Die hämmernden Fäuste und stummen Schreie, die sich wiederholenden Handlungen der Zwangsarbeit und der abschließende Aufruf zum Handeln haben die Kraft, sich auf jede Stimme zu übertragen, die gehört und anerkannt werden will.)
Danach verlassen alle Akteure die Kreise und ziehen sich hinter das Publikum zurück.
Dann gehört der Kunstrasen für fast fünf Minuten denjenigen, die sich einzelne Soli zutrauen, zumeist angesiedelt zwischen Hip-Hop und Dancefloor und auch ein paar Ballettelemente sind erkennbar. Zunächst sind es nur Einzelne, dann werden es immer mehr und schliesslich sind alle Akteure wieder versammelt. Hier und da mischen sich Rufe und schnelle Gesten in das Geschehen, das statischer zu werden scheint.
Verbindendes
Doch dann nimmt die Menge Fahrt, Tempo und Dynamik auf. Erst im Uhrzeigersinn, dann alle nach Innen gewandt stampfen sie entgegen dem Uhrzeigersinn rhythmisch auf den Kunstrasen. Aus den kleinen Schritten werden Hüpfer, werden grosse Schritte, wird ein Gehen, ein Marschieren, ein marschierender Kreis, verbunden durch die Arme auf der Schulter des Vorauseilenden. Aus Schritten werden Chassés, immer schneller. Loslassen und der gleiche Aufbau in die andere Richtung. Und dann alles noch einmal von Vorn.
Nach der zweiten Wiederholung verteilen sich die Mitwirkenden auf den äusseren Kreis und verharren zunächst, ehe fünf Minuten an Schritt- und Bewegungselementen folgen, die nur wenige so ausführen können, dass der Fluss der Veranstaltung nicht gänzlich ins Stocken gerät. Das ist schade, denn es hemmt die Freude am Tun und auch am Zuschauen.
Dann rennen unvermittelt alle wieder im Kreis im Uhrzeigersinn, manche verlassen ihn, einige Arme rudernd, manche taumelnd, manche rollend und manche nutzen den entstandenen Raum für eine klassische Manège im grossen Kreis. Jede und Jeder scheinbar nach Gusto. Vielleicht ist das als Synonym für die erlangte Freiheit gedacht, nach dem Abschütteln der Unterdrückung durch Isadora Duncans’ „Revolutionary Study“?
Nahtlos beinahe beginnt sich nun der „CERCLES“-Kreis zum ersten Mal zu schliessen, indem die Akteure langsam wieder in die Kreise zurückkehren, wie vierzig Minuten zuvor. Ein weiteres Mal wird folgen, ehe der Nachmittag in einem ausgelassenen Dancefloor nach mehr als drei Stunden Verausgabung der Akteure enden wird, zu dem Rebekka Warrior der verbliebenen Menge einheizen wird.
Für Boris Charmatz liegt sein Augenmerk weniger auf technischem Können als auf körperlicher Erschöpfung, er glaubt an die unendliche Wiederholung und fragt sich, „warum überhaupt hören wir auf zu tanzen“, wie er einmal in einem Interview sagte.
Erschöpfte, aber zufriedene Tanzamateure und ihr Publikum fanden an diesem Tanznachmittag zueinander.
Aber es gibt auch Trennendes
Waren es im vergangenen Jahr beim sogenannten „Wundertal“ unter der Schwebebahn in der Sonnborner Strasse noch die bunten Farben, die nach und nach im Tun die weissen Baumwoll T-Shirts der Mitwirkenden färbten und so die Akteure fröhlich bunt sichtbar machte und verbunden hatte, so waren es in „CERCLES“, das auf dem Sportplatz Höfen in Oberbarmen stattgefunden hat, anders als noch in Avignon, silbern „SHEINende“ Oberteile eines chinesischen Super-Fast-Fashion Herstellers, die seine 200 Trägerinnen und Träger als Mitwirkende kenntlich machte.
Sowohl WUNDERTAL, als auch CERCLES, sind Produktionen, die aus Geldern für die Vorlaufphase des geplanten Pina Bausch Zentrums finanziert wurden, die der Bund, das Land und die Stadt Wuppertal bis Ende 2024 gemeinsam tragen.
Bettina Milz, die inhaltliche Koordinatorin und Leiterin der Vorlaufphase des geplanten Pina Bausch Zentrums eröffnet am heutigen Abend FRAGILE das internationale Festival für Nachhaltigkeit und Kunst. Für das Programmheft von CERCLES schrieb sie:
„Mit CERCLES knüpfen wir an die große Bewegung und den Erfolg von WUNDERTAL an. Tanz stiftet Gemeinschaft. Boris Charmatz hat in Wuppertal und in Avignon einen großartigen Arbeitsprozess mit den Menschen derStadt ermöglicht. Er geht ins Offene – Amateure, professionelle Tänzer*innen und Studierende werden zu einem großen neuen Ensemble. Damit bereiten wir das Pina Bausch Zentrum vor. Es soll ein Haus für alle werden, ein Ort für die Kunst von morgen, der eine umfassende Teilhabe und Diversität ermöglicht. Pina Bausch und Boris Charmatz verbindet der künstlerische Mut zu Neuland. CERCLES ist ein großartiger Schritt in die Zukunft“.
Kann man „ZUKUNFT“ einfach behaupten? Eine ZUKUNFT, deren Zerstörung GREENPEACE in seinem Report deutlich in Verbindung bringt mit diesem Super-Fast-Fashion Produzenten und den Tonnen an Wegwerfkleidern und deren nicht abbaubaren Materialien. Ist die Behauptung, die Prätention, schon so Salon fähig geworden, dass sie einfach nur oft genug wiederholt werden muss, damit sie geglaubt wird? (Donald Trump)
Das ist enttäuschend, vollkommen unnötig und hätte nicht passieren dürfen. Enttäuschend auch, dass diese offensichtlichen Widersprüche nur hingenommen werden – von Beteiligten, Zuschauenden, Medien.