Das Beijing Dance Theater bei schrit_tmacher in Aachen

Gemischtwarenladen

Marcos Morau liefert ein merkwürdiges spanisch-chinesisches Amalgam, und Yuanyuan Wang treibt ihr Ensemble zu Mozart quasi über Stock und Stein. Das Publikum im Stahlbau Strang zeigt sich hingerissen vom Gastspiel des Beijing Dance Theater. Dabei bleibt allerdings vieles so unklar, dass eine wirkliche, innige Verbindung mit dem Publikum ausbleibt.

Von Rico Stehfest

Bereits im Titel überlagern sich augenfällig zwei eigentlich weit voneinander entfernt liegende Kulturbereiche. Marco Morau vermischt in seinem Stück „Manolita Chen“ Einflüsse des spanischen Flamencos mit asiatischen beziehungsweise chinesischen. Die Kostüme dafür (Marcos Morau, Wu Lei) fallen üppig aus, detailreiche helle Bolero-Jacken werden zu raumgreifenden, bodenlangen schwarzen Röcken kombiniert. Dazu ein knalliges, kreatives Lichtdesign von Liu Zhao und fertig ist eine Bildhaftigkeit, die vom ersten Moment an aufmerksam macht. Nur was in der darauf folgenden halben Stunde auf der Bühne gezeigt wird, bleibt nichts als kalte Oberfläche.

Beijing-Dance-Theater©TANZweb.org_Klaus-Dilger

Beijing-Dance-Theater©TANZweb.org_Klaus-Dilger

Fast verborgen unter einem Hut mit riesiger, runder Krempe dreht sich ein einzelner Tänzer um die eigene Achse, sanft, still, dazu ein paar wenige, kraftvolle Bewegungen der Arme. Dieses Sanfte, ein geräuschloses Dahingleiten über den Boden, fast wie ein Schweben, macht für längere Zeit die Hauptbewegung der acht Tänzerinnen und Tänzer aus. Dabei wirken sie wie Figuren in einem Spiel, identisch, was noch durch weißes, clowneskes Makeup unterstrichen wird.

Die kulturellen Überlagerungen treibt Morau sogar noch weiter und setzt eine eklektische Soundcollage ein, die streckenweise verstörend wirkt. Am intensivsten wirkt das angesichts einer stark verfremdeten Version von Ravels „Boléro“. Einzelne Tracks sind aber auch so isoliert aneinandergepackt, dass der dramaturgische Ansatz ein großes Fragezeichen entstehen lässt und die harten Brüche fast schon Schmerzen verursachen. Ein langes Black zwischendurch macht das nicht besser.

Beijing-Dance-Theater©TANZweb.org_Klaus-Dilger

Beijing-Dance-Theater©TANZweb.org_Klaus-Dilger

Die Röcke verschwinden irgendwann, auch die Jacken werden abgelegt. Was folgt, ist eine endlos lang wirkende Frontalreihung, die immer wieder auffällig unsynchron getanzt wird. Einige nette Bilder sind dabei, trotzdem bleibt es eine Art einfallsloser Nummern-Revue. Immer wieder wirkt es, als fänden die Tänzer nicht zu einer Einheit im Ausdruck, teilweise wird sogar unpräzise außerhalb des Lichts getanzt. Dass ein Flamenco-Gesang dann in seiner Lautstärke das Trommelfell auf äußerst unangenehme Weise massiert, macht schlussendlich auch nichts mehr. Damit bleibt alles an der Oberfläche. Emotionen oder eine Botschaft vermitteln sich nicht. Vielleicht ließe sich das als ein kritischer Kommentar zu unreflektierter kultureller Aneignung lesen. Das bleibt allerdings Spekulation.

Beijing-Dance-Theater©TANZweb.org_Klaus-Dilger

Beijing-Dance-Theater©TANZweb.org_Klaus-Dilger

Angesichts dessen stieg die Hoffnung, Yuanyuan Wangs „Requiem“ zu Mozarts Komposition würde den Abend retten. Sie wählt auch einen durchaus berührenden Einstieg: Über einen schräg auf der Bühne platzierten schwarzen Laufsteg schreiten langsam hintereinander vier Tänzerinnen, die jeweils am Ende des Stegs zur Seite kippen und von den Tänzern aufgefangen werden. Dann beginnt der Reigen von vorn. Der Tod tanzt mit, wenn das Leben aufspielt. Daraus entwickelt die Leiterin des Ensembles allerdings keine eigene Ästhetik. Ganz in schwarz animiert sie ihre Tänzerinnen und Tänzer, den Steg zu zerlegen und die einzelnen Blöcke, die an Särge erinnern, immer wieder neu zu arrangieren. Diese bilden dann eine Raumstruktur, durch die ordentlich geturnt werden darf. Drauf und drüber und wieder runter. Mit der emotionalen Tiefe der Musik verbindet sich hier nichts.

Beijing-Dance-Theater©TANZweb.org_Klaus-Dilger

Beijing-Dance-Theater©TANZweb.org_Klaus-Dilger

Eine einzelne Tänzerin setzt in einem hellen Trikot einen Kontrast, bleibt aber ohne erkennbare Eigenschaft. Ihre wichtigste Aufgabe scheint darin zu bestehen, rote Blumen auf der Bühne zu verteilen. Das Programmheft spricht von Engeln und Teufeln, entdecken lässt sich allerdings keiner von denen. Stattdessen bildet den Kern ein äußerst merkwürdiges Duo direkt an der Rampe, indem ein Tänzer kraftvoll ins Publikum pustet. Daraus ergibt sich zwischen ihm und einer Tänzerin eine Art Puste-Duell, dem er offenbar zum Opfer fällt. Ein friedvolles Schlusstableau ist alles, was man am Ende mitnehmen kann.

Beijing-Dance-Theater©TANZweb.org_Klaus-Dilger

Beijing-Dance-Theater©TANZweb.org_Klaus-Dilger