Eröffnung der „Tanzplattform 2018 in Deutschland“

 

 

Von Nicole Strecker

Sinnlich, eigensinnig, zweifelnd, alternd, sozial, kreatürlich, sich wandelnd… all dies sei der Körper, so Stefan Hilterhaus, Leiter von PACT Zollverein bei seiner Eröffnungsrede zur Tanzplattform. Wahrscheinlich waren es dreizehn clevere Adjektive. Dreizehn, also für jedes der in diesem Jahr ausgewählten 13 Stücke eines. ‚Versehrt‘ war wohl nicht dabei. ‚Ungelenk‘ auch nicht. Dabei konnte man an diesem Abend durchaus noch an den Körper denken, der scheitert, dem die Bewegungen entgleiten – wenngleich natürlich: sehr souverän inszeniert vom Brasilianer Bruno Beltrão und seinen Tänzern. Denen baumeln in Beltrão Stück haltlos die Glieder, sie fallen, rutschen aus, zittern, stolpern, jucken sich … Alles, was plump, peinlich, tollpatschig sein könnte, wird vom brillanten Bewegungssucher Beltrão zu einer ausgefuchsten Choreografie hochgetuned – Virtuosität im Versagen.

Beltrão war einer der drei „Top Acts“ mit denen diese Plattform begann. „Inoah“ heißt sein 2017 in Kampnagel, Hamburg uraufgeführtes Stück, das wesentlich durch die Finanzierung deutscher Produktionshäuser zustande gekommen war. Ohne Deutschland kein Beltrão, hieß es. Ohne die Unterstützung mit hiesigen Mitteln wäre dieses Stück nicht entstanden – womit der Brasilianer eingemeindet wäre in die Community der hiesigen freien Tanzszene.

Bruno Beltrao:
New Creation_Theaterderwelt_03.06.2017
© Kerstin Behrendt

Das ist natürlich eine Provokation. Bislang galt die mal mehr, mal weniger lax ausgelegte Regel: Die „Tanzplattform Deutschland“ zeigt Choreografen mit Arbeitsschwerpunkt in Deutschland. Dieses Prinzip wird nun als „zu national“ geschmäht. Und klar: Mit dem Begriff der ‚Nationalität‘ schrillen in der linken Kulturszene reflexhaft die Alarmglocken, und sie werden von den Machern energisch weiter geläutet. So hat die fünf-stimmige Jury gleich ein ganzes Arbeitsbuch publiziert, das die Vorstellungen von Nationalität in der Kunst akademisch aufdröselt, oder eigentlich zerzaust, und das letztlich vor allem eine Aufforderung ist, die Kriterien der Tanzplattform neu zu befragen – oder eigentlich gleich das ganze Konzept einer deutschen Leistungsschau? Die Veranstalter haben sich also mit den Jurymitgliedern Bruno Heynderickx (stellvertretender Ballettdirektor am Hessischen Staatsballett Darmstadt), Elisabeth Nehring (Tanzkritikerin und Autorin), Leonie Otto (Tanzwissenschaftlerin), Scarlet Yu (Künstlerin) und einem Team rund um Stefan Hilterhaus ein ziemlich schwergewichtiges Kuckucksei ins Nest gelegt. Andererseits: Die Frage nach der Legitimation der Sparte und ihrer Events gehört so selbstverständlich zum Tanz wie das Salz in der Suppe. Wer in der Tanzszene selbstkritische Diskussionen lanciert, erfüllt brav seinen Auftrag. Anders als etwa das vergleichbare Berliner Theatertreffen, das im wesentlichen die Tops des Theaters abfeiert, will (oder muss?) die Tanzsparte immer auch gleich sozio- und kulturpolitisches Diskursforum sein und die eigene Existenzberechtigung wieder und wieder neu definieren.

Ein Argument für den Tanz: Die Gesellschaft ahnt es vielleicht noch nicht, aber wir brauchen die Körperexperten mehr denn je. So mahnte Plattform-Gastgeber Stefan Hilterhaus in seiner Eröffnungsrede an die Bedeutung des Körpers für das Menschenbild, seine veränderte Wahrnehmung durch Gesellschaft und Wissenschaft. Die Technik wandere in den Körper hinein – welche Idee vom Menschen folgt daraus? „Der Leib war Schicksal. Der Body ist eine Frage des Optimierens.“

Mit dieser knackigen Devise im Kopf wurden die Eröffnungszuschauer dann hinaus in die Nacht auf das Gelände der Zeche Zollverein geschickt. In drei Gebäuden fanden dort Performances statt. Die angereiste und zum Teil wohl nur zur Eröffnung anwesende Riege aus Politikern hatte also die Wahl zwischen gleich drei Performances. So wurde keines der 13 Plattform-Stücke als das „Tollste, Beste“ etikettiert. Von September 2015 bis Oktober 2017, also zwei Jahre lang hat die Jury rund 400 Produktionen gesichtet. Früh schon hat PACT-Leiter Stefan Hilterhaus neben den Gebäuden auf der Zeche auch die große Aalto Oper sowie das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier als Veranstaltungsorte hinzugewonnen. Damit war klar: Diesmal denkt man groß. Diesmal müssen auch ‚big names‘ und Ensemblestücke mit genug Personal her, um diese Bühnen zu bespielen.

Die künftige Direktorin des Berliner Staatsballetts, Sasha Waltz ist nun also dabei. Der Berliner-Volksbühnen Choreograf Boris Charmatz. Richard Siegal mit seiner Köln-München-Kompanie „Ballett of Difference“. Alles attraktive Kandidaten für Veranstalter aus dem Ausland, die man in diesem Jahr offenbar wieder zahlreicher nach Deutschland gelockt hat als in vergangenen Ausgaben der Tanzplattform. So dominant stechen diese Hauptaktionäre der Fördertöpfe ins Auge, dass man fast übersieht, dass die Jury schon auch auf Entdeckungen setzt: Ligia Lewis und Claire Cunningham etwa, die als Factory Artists am Tanzhaus NRW gefördert werden. Oder die Bonner Gruppe Cocoondance, die zwar seit vielen Jahren im Geschäft ist, aber doch immer um Anerkennung und Wahrnehmung kämpfen muss als Ensemble abseits der großen Zentren in der längst verwaisten alten BRD-Hauptstadt.

Der kleinste gemeinsame Nenner der 13 Produktionen ist natürlich der Hilterhaus’sche „optimierte Body“ – sei es als real existierender Hochleistungstänzerkörper, sei es als reine Idee, als kalkulierte Differenz, die über Perfektion reflektieren lässt. Und Bruno Beltrão? Irgendwie beides. Körper, die akrobatische „Moves“ beherrschen, die man vielleicht noch nie gesehen hat. Die gekrümmt aufs Schulterblatt stürzen und dort offenbar durch den Widerstand von superharten Rückenmuskeln wieder in den Stand zurückprallen wie ein Ball. Die so selbstverständlich auf Händen, Köpfen, Gelenken die Bühne kreuzen als wäre es der von Kindesbeinen an gelernte aufrechte Gang. Die senkrecht in die Höhe springen und von einem anderen im Flug so geschubst werden, dass sie als senkrechte Pfeile noch höher, noch weiter gen Himmel fliegen. Sieht echt toll aus. Und ziemlich seltsam. Wie vieles in dieser Choreografie. Denn bei aller Meisterschaft – wie Champions wirken diese 10 Streetdancer nicht. Sie geben sich als Bad Boys, Machos, Silberrücken mit Gorillabrust, und ringen ihre Kraftmeierei doch oft der Beschränkung ab, dem Sturz, der Ruppigkeit, dem Gezerrtwerden. Die Tragik des Angebers, der nicht wahrhaben will, dass er ein Verlierer ist. Auch ein Input für eine tanzplattform-typische Spartendiskussion.

 

Theaterderwelt_03062017