Deutscher Tanzpreis 2024
Diesmal hat’s geklappt….
Zum siebten Mal wurde nun der Deutsche Tanzpreis nUR (nach Ulrich Roehm) vergeben und diesmal hat es geklappt… für Sasha Waltz.
gesehen und gefragt von Klaus Dilger
Warum erst jetzt? Könnte oder muss man fragen.
„…Als Tänzerin, Choreografin und Regisseurin, deren Lebens- und Arbeitsmittelpunkt in Berlin verortet ist, hat sie mit ihrer Kunst die Entwicklung des zeitgenössischen Tanzes seit Beginn der neunziger Jahre maßgeblich mitgeprägt. Dabei hat sie ihre unverwechselbare choreografische Handschrift und ihren ästhetischen Zugriff bis heute weiterentwickelt. Sasha Waltz ist unbestritten national und international eine der renommiertesten Künstlerinnen im Bereich des Tanzes in Deutschland….“, so ein Auszug aus der Jurybegründung.
Wenn diese Einschätzung, der nicht jeder zustimmen muss, der ihr Werk kennt, unumstritten wäre, dann hätte sie den Preis doch sicherlich auch vorher schon erhalten müssen.
Die Körpersprache von Sasha Waltz jedenfalls in der Online-Pressekonferenz liess sich so interpretieren, als hätte sie sich selbst diese Frage schon länger gestellt.
„Mit dem Deutschen Tanzpreis werden überragende Persönlichkeiten des Tanzes in Deutschland geehrt und aktuelle Positionen im Tanz ausgezeichnet. Das künstlerische Schaffen von Choreograf*innen, Tänzer*innen, Ensembles oder Kollektiven steht im Mittelpunkt. Gleichwohl können auch Persönlichkeiten der Pädagogik, Publizistik, Wissenschaft oder anderer Bereiche des Tanzschaffens vorgeschlagen werden“. Alle Jahre wieder erhalten mehr oder weniger alle mit dem Tanz professionell befassten Personen oder Institutionen den Aufruf, sich so am Deutschen Tanzpreis zu beteiligen.
„Zusätzlich verleiht der Dachverband Tanz Deutschland zwei Ehrungen: optional eine Ehrung für das Lebenswerk, eine Ehrung als herausragende*r Interpret*in/herausragendes Ensemble/Kollektiv oder eine Ehrung für herausragende Entwicklung im Tanz“, so die Auslobung weiter.
Die Jurymitglieder selbst, so die Auskunft auf Nachfrage, dürfen keine eigenen Vorschläge einbringen.
Wir kennen die Faktoren und Kriterien nicht, nach denen die Jury letztlich aus den etwa neunzig Einsendungen mit rund siebzig verschiedenen Vorgeschlagenen die jeweiligen Preise vergeben hat, noch die der vorausgegangenen, jährlich stattfindenden Vergaberunden. Auch wissen wir nicht, wieviele Vorschläge es davon für den Hauptpreis und wieviele es für die Nebenpreise gab.
Dass gerade die „Nebenpreise“ in der Vergangenheit stets auch tanzpolitische Impulse gesetzt haben, mag die jährliche Vergabe des Deutschen Tanzpreises vielleicht rechtfertigen, auch wenn kaum zu übersehen ist, dass die Öffentlichkeit, sofern sie nicht Teil der „Tanzblase“ ist, kaum und zunehmend weniger Interesse daran findet, sieht man vom vergangenen Jahr einmal ab, als in Essen die frühen Pina Bausch Tänzerinnen und Tänzer, Malou Airaudo, Jo Ann Endicott, Dominique Mercy und Lutz Förster geehrt wurden. Auch das nunmehr einhergehende Symposium der Tanzszene zu „Positionen – Tanz“, könnte zu jedem anderen Zeitpunkt stattfinden.
Am 12.Oktober werden wir mehr wissen. Dann werden die genannten Preise im Essener Aalto-Theater vergeben und Tags zuvor die Nebenpreise ausführlich in PACT Zollverein gewürdigt.
EHRUNG FÜR DAS LEBENSWERK geht an Dieter Heitkamp
Jurybegründung
Dieter Heitkamp erhält von der Jury die Ehrung für sein Lebenswerk im Rahmen des Deutschen Tanzpreises 2024.
Dieter Heitkamp ist ein Gesamtkunstwerk. Er bewegt sich kraftvoll in verschiedenen Bereichen des künstlerischen Schaffens: als Tänzer, Choreograf, Pädagoge, Regisseur, Mentor, bildender Künstler, Fürsprecher junger Tänzer*innen, vielleicht gibt es noch mehr?
In den letzten 45 Jahren war Dieter Heitkamp wunderbar energetisch, prägnant und dynamisch für die Transformation und Entwicklung des zeitgenössischen Tanzes in Deutschland mit verantwortlich.
Eine seiner Errungenschaften für die Tanzgeschichte ist es, die Kontaktimprovisation (Contact Improvisation – CI) in die deutsche Tanzszene einzuführen. Seit 1977 lernte Dieter Heitkamp CI und begann zwei Jahre später, CI auch in Deutschland zu unterrichten, während er gleichzeitig die Tanzfabrik in Berlin mitgründete und Co-Direktor war.
In den folgenden 19 Jahren zwischen 1979 und 1998 trug seine vitale Dynamik dazu bei, CI und zeitgenössischen Tanz in der Stadt Berlin und auf nationaler Ebene zu verbreiten. Choreografieren, unterrichten, Regie führen, Kunst machen, Mentoring, Politik verändern, das waren und sind Dieter Heitkamps Aktivitäten.
Das Jahr 1998 markierte den Beginn seiner Frankfurter Phase an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst – HfMDK, zunächst als Vertretungsprofessor, dann ab 2001 als Leiter der Tanzabteilung. Dieter Heitkamp verwandelte die weitgehend klassische Tanzabteilung, die kurz vor der Schließung stand, in ein hochmodernes Programm für zeitgenössischen Tanz, in dem lokale Ressourcen und Gäste miteinander verwoben sind, und machte sie zu einer hoch angesehenen Institution für zeitgenössische Tanzausbildung. Im Jahr 2023, ging Dieter Heitkamp nach 25 Jahren an der HfMDK in den Ruhestand.
Dieter Heitkamp ist eine treibende Kraft im deutschen Tanz. Er initiierte zahllose Programme, Formate und Aufführungen und ist ein unermüdlicher Künstler und Pädagoge, der junge Tänzer*innen unterstützt und ermutigt, flexibel, kreativ und offen für lebenslange Lernprozesse zu sein.
EHRUNG FÜR HERAUSRAGENDE ENTWICKLUNG IM TANZ
explore dance – Netzwerk Tanz für junges Publikum
Jurybegründung
Die Jury des Deutschen Tanzpreises zeichnet die Arbeit des Netzwerks explore dance in der Kategorie Ehrung für herausragende Entwicklung im Tanz aus. Seit nicht einmal 6 Jahren entwickelt das Netzwerk explore dance bundes-länderübergreifend Formate, die zeitgenössischen Tanz als Kunst und kulturelle Praxis auf der Bühne und in Vermittlungsprojekten an ein junges Publikum richten. Ihr eigener Auftrag lautet, „die noch immer bestehende Leerstelle im Kultur-angebot für Kinder und Jugendliche in Deutschland zu schließen“.
Bis 2021 zählten zu den Knotenpunkten des Netzwerks die drei Partnerinnen fabrik moves in Potsdam, Fokus Tanz | Tanz und Schule e.V. in München, und K3 Tanzplan Hamburg. Im Jahr 2022 erweiterte sich das Netzwerk um HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste. Gefördert wird explore dance durch den Bund und die beteiligten Länder, ein hervorragendes Beispiel für einen TANZPAKT Stadt-Land-Bund.
Mit einem vielfältigen Angebot zu Themen von Freundschaft bis Physik gestaltet das Netzwerk an verschiedenen Orten, z. B. auch in Kindergärten und Schulen, Räume zum Erleben von zeitgenössischem Tanz und den darin verhandelten gesellschaftsrelevanten Fragen. Dies findet nicht nur im Rahmenspielplan der Projektpartner*innen statt. Jedes Jahr werden alle Uraufführungen der jeweiligen Spielzeit in einem oder mehreren Festivals gebündelt gezeigt.
Es sind Formate wie das Mobile Pop UP, mit denen explore dance über sein Grundanliegen hinausgeht, Kinder und Jugendlichen Kunst über das Performative anzubieten, ihnen Wahrnehmungsmodi vorzustellen und sie als Publikum ernst zu nehmen.
Nicht nur die Tanzvermittlung durch die Unterstützung von Pädagog*innen in Netzwerken vor Ort, oder durch ein eigenes Magazin, das Journal, stehen im Fokus von explore dance. Auch das Touringsystem, das es den einzelnen Mitgliedern erlaubt, ihre Arbeiten deutschlandweit zu zeigen, ist eine besondere Stärke des Netzwerks. Somit bewegt sich der Zeitgenössische Tanz auf das junge Publikum aktiv zu, denn es ist ein Publikum, das nicht in derselben Weise wie erwerbstätige Erwachsene zu Festivals, Galas, oder bekannten Spielstätten reisen kann.
Netzwerke sind Konstellationen ohne Zentrum. Ein Netzwerk, das bundesländerübergreifend wirken möchte, benötigt starke Knotenpunkte – und ein Durchhaltevermögen, diese nachhaltig und dauerhaft zu bespielen und zu pflegen. Genau das schafft explore dance – multidirektional, seit 6 Spielzeiten, an mehreren Stätten, mit vielen kreativen Körpern und Köpfen – für ein großes Publikum aus Kindern und Jugendlichen.