Ein GALA-Abend der Bescheidenheit, der bedachten Momente und der Angemessenheit

Kurze (Nacht)Beobachtungen und Gedanken zur diesjährigen virtuellen BAM-GALA gestern Nacht aus New York

von Klaus Dilger

Es hatte nichts von all dem, was wir vielleicht von irgendwelchen Award-Zeremonien aus den USA kennen, auch wenn Cate Blanchett eine der Geehrten der diesjährigen BAM (Brooklyn Academy of Music) GALA war, die erstmals und hoffentlich einmalig wegen der Corona-Pandemie virtuell ausgetragen wurde, -werden musste.

Nichts liess darauf schliessen, dass hier die Plätze (im Scheinwerferlicht) „normaler Weise“ zwischen 2.500 und 100.000 Dollar kosten und die beitragen sollen, die Spielzeiten dieser einmaligen New Yorker Kulturinstitution zu finanzieren.

Es war eine Veranstaltung, die deutlich machte, dass New York nicht das verkörpert, was uns täglich schwerer fällt, an Phrasen und Bildern aus den U.S.A. kommend, hinzunehmen. Wie weit die Folgen dieser Pandemie für uns in Deutschland bewusstseinmäßig tatsächlich entfernt sind, im Vergleich zu dieser Stadt, auch dies wurde darin beinahe körperlich spürbar.

Wie auch hätte man, allem Anlass zum Trotz, Glamour und zur Schau gestellten Reichtum goutieren können, wenn die letzten lebendigen Bilder aus New York, angesichts präsidialer Unfähigkeit, die eines verzweifelnden Bürgermeisters sind, der niemanden wirklich über Massenbegräbnisse und in Lastwägen verwesende Leichen hinwegtrösten könnte, allein weil die Menschen in New York schneller an dem Virus sterben, als dass man sie begraben könnte?

Was wir in und durch diese virtuelle GALA dennoch und vielleicht umso mehr miterleben konnten, war die oft unerklärliche und dennoch präsente Kraft, die von wahrer Kunst und den Institutionen, die sie fördern und die ihr Raum und Schutz verleihen, auszugehen vermag.

„Brooklyn Youth Chorus“  unter der Leitung der Gründerin und künstlerischen Leiterin Dianne Berkun Menaker

Da war die Jugend in Gestalt des, mit einem Grammy ausgezeichneten,  „Brooklyn Youth Chorus“  unter der Leitung der Gründerin und künstlerischen Leiterin Dianne Berkun Menaker, der virtuell eine Philip Glass-Komposition aufführte, die Jeanne Donovan Fisher gewidmet war und zu der David Byrne die Lyrics beigetragen hatte. In einer Bildchoreografie von Joey Barglowski begeisterten die vierzig jugendlichen Sängerinnen mit ihrem Können und ihrer Präsenz und demonstrierten eindringlich in welchem Maße es doch möglich ist, mit geistiger Kraft und künstlerischem Talent die derzeit gebotene physische Distanz zu überwinden und sich auf der Ebene der Kunst zu vereinen. Und sie machten unausgesprochen deutlich, welche gesellschaftliche Bedeutung der Zugang zur Kunst, aber auch zu den digitalen Mitteln der Kommunikation über alle Trennlinien wirtschaftlicher Verhältnisse und Unterschiede hinweg, für die Zukunft unseres Planeten haben wird.

Da war das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch, vertreten durch Julie Anne Stanzak, die mit ihrer unglaublichen Präsenz und Präzision mit minimalsten Mittel einen Zugang zum Kern des Werkes von Pina Bausch schuf und es auf so einzigartige Weise erlebbar machte, wie dies wohl nur einer so herausragenden Interpretin gelingen kann, die über Dekaden hinweg, persönlich mit der großen deutschen Choreografin gearbeitet hat und die dabei einfühlsam gefilmt wurde von der französischen Filmemacherin Nathalie Larquet. Ein Beitrag, den Bettina Wagner-Bergelt, die Intendantin und künstlerische Leiterin des Tanztheaters zu Ehren von Cate Blanchett ausgewählt hatte und der deutlich machte, welch unglaublichen Reichtum die Tanzkunst erfahren kann oder besser könnte, in einer Generationen umspannenden künstlerischen Zusammenarbeit und (Re-)Kreation eines Werkes, dem es stets darum geht und ging, durch den Tanz eine Sprache für das Leben zu finden, als wäre es nur so noch möglich „Babel“ zu überwinden.

BAM Gala Julie Anne Stanzak©Nathalie Larquet

BAM Gala Julie Anne Stanzak©Nathalie Larquet

Zu Ehren der Autorin Zadie Smith tanzte Hope Boykin, Mitglied der American Dance Theatre Company von Alvin Ailey, in einem kurzen Performance-Film von James Gilmer in den Strassen New Yorks. Der Film war inspiriert und unterlegt von einem Artikel, den Zadie Smith für die New York Times einmal geschrieben hatte: „How Alvin Ailey Opened the Eyes of a 12 Year-Old Zadie Smith“, eine Hommage an New York, aber mehr noch an Alvin Ailey und alle schwarzen Tänzerinnen und Tänzer und Künstler mit ihm. Und auch hier wurde gewollt oder ungewollt deutlich und nicht zuletzt an den Opfern der Corona-Krise in den USA ablesbar, in welchem Maße noch immer Rasse und Herkunft über Gesundheit und körperliche Unversehrtheit in diesem Land entscheiden.

Es war ein GALA-Abend der Bescheidenheit, der bedachten Momente und der Angemessenheit trotz feierlichen Anlasses und dies war wohltuend. Jede und Jeder, sowohl in den Einlassungen der Geehrten: die Schauspielerin und Regisseurin Cate Blanchett, die Autorin Zadie Smith sowie die Philanthropin und Produzentin Jeanne Donovan Fisher, die für ihre Beiträge zu Film, Literatur, Theater und Kulturphilanthropie geehrt wurde, als auch in denen der ModeratorInnen: der BAM Präsidentin Katy Clark, der künstlerischen Leiterin der virtuellen Gala der BAM, die Theater- und Filmregisseurin Maureen Towey, die BAM Vize Präsidentin und ehemalige Tänzerin Coco Killingsworth, sowie der des künstlerischen Leiters des BAM, David Binder, war durchdrungen von diesem Geist der Klarheit und Angemessenheit.

Philanthropin und Produzentin Jeanne Donovan Fisher

Philanthropin und Produzentin Jeanne Donovan Fisher