FLUT

Uraufführung heute Abend im Kölner Staatenhaus
Eine Kooperation der Oper Köln mit Emanuele Soavi´s incompany und den Duisburger Philharmonikern

Nachtkritik von KLAUS KEIL

Zu den großen Momenten der Freien Tanzszene gehört es, wenn Musik und Tanz zu einer Einheit verschmelzen. Und wenn das noch mit großem Orchester geschieht, wie bei der gestrigen Uraufführung des Tanzprojekts FLUT, dann muss diese Einheit substantiell überzeugen. Besonders dann, wenn die Musik selbst zum Gegenstand des Tanzes wird. Nicht immer ist dafür ein komplettes Sinfonieorchester erforderlich. Und wenn die materielle Substanz Beethovens Siebte Sinfonie ist, dann muss der Tanz eine glaubwürdige Verbindung herstellen.

Bereits seit 2014 arbeitet Emanuele Soavi mit dem Streichquartett der Duisburger Philharmoniker zusammen. Da war es fast schon eine Selbstverständlichkeit, auch einmal mit dem gesamten Orchester etwas zu unternehmen.

Gestern war dazu im Kölner Staatenhaus Gelegenheit, beide zu erleben: die Duisburger Philharmoniker und die incompany des Kölner Choreografen Emanuele Soavi. Im zweiten Anlauf wurde die Uraufführung des Tanzprojekts FLUT zum 250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven gefeiert. Und mit dem abschließenden tosenden Applaus des Kölner Publikums wurde es wirklich zu  einer Feier. 2020 musste das Tanzprojekt wie viele andere Kulturveranstaltungen der Corona-Pandemie wegen ruhen. 2021 gratulieren nun die Koproduzenten von der Kölner Oper bis zu den Duisburger Philharmonikern mit einem Jahr verspätet. Beethoven wird es verschmerzen.

FLUT -coproduced by OPER Köln & die Duisburger Philharmoniker©Joris-Jan Bos

FLUT -coproduced by OPER Köln & die Duisburger Philharmoniker©Joris-Jan Bos

Wie gut, dass alle Koproduzenten bei der Stange blieben, denn mit diesem außergewöhnlichen Tanzabend hat Emanuele Soavi einen großen Wurf gelandet. Es wurde ein fulminanter Tanzabend mit Witz und Verve. Und es war ein musikalischer Genuss, das Duisburger Streichquartett und das Orchester unter der Leitung von Cecilia Castagneto mit Beethovens 7. Sinfonie zu erleben.

Es gibt sicherlich viele Herangehensweisen an das künstlerische Phänomen Beethoven, der noch komponierte als er schon kein Gehör mehr hatte. Da bietet sich der Blick in die Vergangenheit, der nach Erinnerungen, nach der Identität seines Ichs sucht, unmittelbar an.

Emanuele Soavi (Choreografie) und Achim Konrad (Konzept) haben in bewährter Zusammenarbeit den Tanzabend als Triptychon angelegt. Ihre Annäherung an Beethoven erfolgt schrittweise. „Seele“ betiteln sie ihren ersten Schritt. Die Tänzer, gleich in welcher Formation, sind sichtbar auf einer Suche. Gefügte Formen werden unmittelbar wieder aufgegeben. Zusammenhalt erfährt die Gruppe nur durch die elektronischen Kompositionen von Stefan Bohne/Wolfgang Voigt, in die Splitter von Streichern und Beethoven-Zitaten eingeflochten sind.

FLUT -coproduced by OPER Köln & die Duisburger Philharmoniker©Joris-Jan Bos

FLUT -coproduced by OPER Köln & die Duisburger Philharmoniker

Nach der Pause erfolgt mit „Herz“ der zweite Schritt. Jetzt steht das Individuum auf dem Prüfstand. In einem klaustrophobisch verengten Innenraum jagt es sich selbst hinterher, ohne sich je dauerhaft zu finden. Nackt betritt ein Tänzer den Raum, zeigt wohl damit an, dass es jetzt keine Ausflüchte mehr gibt. Zwei weitere Tänzer und eine Tänzerin folgen.

Beethovens Streichquartett op.59/2, großartig gespielt vom Streichquartett der Duisburger Philharmonikern, treibt den folgenden temporeichen Bewegungsmix spürbar an. Alle Facetten der Persönlichkeit werden dekonstruiert und wieder neu zusammengesetzt. Es hat schon Slapstick-Charakter, wenn die vier sich in den Ärmeln ihrer Jacken verheddern, am Fenster Glieder und körperliche Fragmente der Personen hängen bleiben oder gar Köpfe purzeln. Die extrem schnelle Abfolge tänzerischer Bewegungselemente ist ein choreografisches Highlight, gekonnt umgesetzt von den drei Tänzern und der Tänzerin. Drei Briefe Beethovens werden in „Herz“ tänzerisch analysiert. Die Choreografie stellt die vier Protagonisten hintereinander in eine Reihe, so dass ein vielarmiges Wesen entsteht, die alle mit Briefen winken wie mit Notsignalen auf hoher See. Zu jeder der Adressatinnen soll Beethoven versucht haben, eine Beziehung aufzubauen. Doch bis heute rätselt die Fachwelt wer sie wohl war, Beethovens „Unsterbliche Geliebte“.

FLUT -coproduced by OPER Köln & die Duisburger Philharmoniker©Joris-Jan Bos

FLUT -coproduced by OPER Köln & die Duisburger Philharmoniker©Joris-Jan Bos

Nach einer weiteren Pause folgt der dritte Schritt mit „Kopf“. Alles steuert auf den Höhepunkt der Inszenierung zu. Musikalisch trumpfen die Duisburger Philharmoniker mit Beethovens 7.Sinfonie auf. Sie bildet den Rahmen für ein weiteres unerwartetes choreografische Highlight. Wo Beethoven noch im Widerstreit „zwischen Progressivität und Konservativismus“ stand, gibt es für Emanuele Soavi mit seiner dynamischen offenen Bewegungssprache nur eine Richtung: die Umsetzung der Musik in zeitgenössischen Tanz und den ergänzt um einige tänzerische Stilelemente. Da blitzt ein bisschen Posing durch, wenn die Tänzerin bis dicht an die Rampe tritt. Oder wenn das ganze Ensemble in Bewegung scheint, eine Tänzerin wie ein Fohlen springt, assistiert von einem Tänzer. Oder wenn zu den Wiederholungen der Streicher einfach nur gehüpft wird. Das scheint gewöhnungsbedürftig und ergibt sich doch wie selbstverständlich im Gesamtkonzept.

Die Bühne im Staatenhaus ist jetzt völlig offen, schließt backstage mit einem kleinen Durchgang ab, der die sechzehn Tänzer*innen wie gefiltert den Raum betreten lässt und die Aufmerksamkeit des Publikums so auf die jeweiligen Tänzer lenkt. Die Tänzer*innen strahlen ein starkes Selbstbewusstsein aus, kein Wunder, stehen sie doch im permanenten Widerstreit mit einer dominanten Musik. Dass sie diesen Widerstreit bestehen, dafür sorgt die ebenso feinfühlige wie auflockernde Choreografie. Alles in allem ein großartiger Tanzabend, der selbst Beethovens Siebte verträgt.

FLUT -coproduced by OPER Köln & die Duisburger Philharmoniker©Joris-Jan Bos

FLUT -coproduced by OPER Köln & die Duisburger Philharmoniker

Weitere Vorstellungen im Staatenhaus Köln am 10.09.21-19:30 Uhr und 12.09.2021- 18:00 Uhr

und 17. und 18. September jeweils 19 Uhr im Theater Duisburg

FLUT@Joris Jan Bos

FLUT //Emanuele Soavi InCompany@Joris-Jan BosPhilharmoniker