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Festival move!

Unsere Videoimpressionen der „Hungry Sharks Company“ aus Salzburg

Im goldenen Schnitt…

Die „Hungry Sharks Company“ aus Salzburg gastiert mit „1.618“ bei dem Festival Move! in der  Fabrik Heeder Krefeld

Von Bettina Trouwborst

Jeder kennt sie: Leonardo da Vincis Zeichnung des nackten vitruvianischen Menschen, der mit ausgestreckten Armen und Beinen in Kreis und Quadrat integriert ist. Für das Bildmotiv an der Grenze zwischen Kunst und Wissenschaft, entstanden um 1490, vermaß das Universalgenie monatelang die Körper junger Männer auf der Suche nach den idealen menschlichen Proportionen – also dem „Goldenen Schnitt“. Inspiriert hatte ihn die Figur des antiken Architekten Vitruv, die Leonardo durch seine empirischen Studien weiterentwickelte. Mit dem perfekten Körpermaßen haben sich – was naheliegt – schon viele Choreografen befasst. Die prominenteste Auseinandersetzung ist sicher Gerhard Bohners dreiteiliges Solowerk „Im (Goldenen) Schnitt I, II, III“ aus dem Jahr 1989. Wenn sich nun mit „Hungry Sharks“ aus Salzburg eine junge Urban Dance Company mit dem Stoff befasst, macht das neugierig.

„1.618“ – es ist der Stücktitel, der auf die irrationale Zahl zur Berechnung des Goldenen Schnitts verweist. Erst bei genauer Betrachtung findet man Leonardos Adonis in dem 45-minütigen Tanzstück wieder: Er cruist gleich in vierfacher Ausführung in geschmeidigen Moves über die Bühne.

hungry-sharks-move©TANZweb.org_Klaus-Dilger.

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Viviane Tanzmeister, Timo Bouter, Alexander Tesch (!) und Valentin Alfery, Gründer der Gruppe, bilden eine Formation, die in minimalistischem Hiphop-Duktus barfuß den Raum erkundet. Immer wieder löst sich jemand aus dem Quartett, das sich in ständigen, immer rascheren Richtungswechseln bewegt. Wer ausschert, vertieft sich in ein eigenes Solo –, um sich dann wieder der Gruppe anzuschließen. Es ist ein organisches Fließen in Harmonie.

Die vier herausragenden Mover wirken, auch durch die beigefarbenen weiten Hemden und Hosen, wie Nomaden. Das Stück atmet Archaik. Der Puls der schwül-träumerischen Musik von Patrick Gutensohn treibt sie voran. Die Choreografie (Valentin Alfery) ist über weite Strecken betörend. Sie bedient keineswegs die Klischees des ruppig-hektischen, akrobatischen Urban Dance. Vielmehr entwickelt sie einen geradezu hypnotischen Sog durch ihre klare Formstrenge, unterbrochen von anmutigen, spielerischen oder eleganten Akzentuierungen. Der perfekte Flow der Körper wird hier zelebriert.

Alfery hat in diesen Kosmos die unaufdringlich wiederkehrende Pose des  Mannes mit dem Idealmaß integriert, hiphop-mäßig angepasst. Ein Hochziehen der Schultern, ein roboterartiges Zucken, ein Ein- und Ausdrehen der Knie – das hat was. Es ist ein Qualitätsmerkmal des Festivals für modernen Tanz, dass es auch diese Spielarten der zeitgenössischen Kunst präsentiert.

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Und doch, der vitruvianische Schönling erlebt auch Schatten. Timo Bouter markiert mit seinem Solo einen Bruch: Sich am Boden wälzend, verdreht, ja fast verrenkt er seine Gliedmaßen, den Kopf, den ganzen Körper. Von Goldenem Schnitt kann hier keine Rede mehr sein.

Im letzten Drittel verliert die originelle Arbeit an Dichte. Es fehlt an neuen Impulsen. Ein starker Moment gelingt noch einmal ganz zum Schluss.  Valentin Alfery posiert erneut als Leonardo-Jünger, spielt mit Balancen. Unvermittelt lässt er die Arme sinken, dann den Kopf. Ecce homo.

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Von |2021-11-04T10:58:44+01:004. November, 2021|

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