„20 Dancers for the XX. Century and even more“
DIE IDEE DER BEHAUPTUNG…
ODER DIE BEHAUPTUNG DER IDEE
Wuppertaler Opernhaus sollte für drei Tage zum temporären „Musée de la Danse“ – zum Tanzmuseum werden
Meinung von Klaus Dilger
Eine Buchvorstellung bei der das Subjekt der Huldigung schon abgereist war, noch bevor seine „20 Dancers for the XX. Century and even more“die letzten beiden Präsentationen seiner (Charmatz) Vorstellung eines „Musée de la Danse“ (Tanzmuseum) dem Publikum vermitteln konnten. Beides, wäre es denn eine echte Buchvorstellung gewesen, hätte sich spannend ergänzen können, insbesondere, wenn das Publikum die Gelegenheit gehabt hätte, Fragen zu stellen. Denn, das im November 2024 erschienene, Druckwerk mit dem Titel „NAHAUFNAHME“ vermittelt recht deutlich, weshalb Boris Charmatz und das Werk von Pina Bausch und selbiges mit dem Tanztheater Wuppertal Pina Bausch weiter zu führen, eigentlich inkompatibel sind und es lässt in seiner behauptenden Art erahnen, weshalb er diese Aufgabe dennoch übertragen bekommen hatte.
Das war sie also, die zumindest vorläufig letzte Aktion des Non Danse-Konzept-Choreografen Boris Charmatz, der noch bis zum 25. Juli Intendant in Wuppertal ist. 25 Tänzerinnen und Tänzer, knapp die Hälfte davon Ensemble-Mitglieder des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch, hat er eingeladen, ihre Arbeit, ihre Ideen und ihre verkörperlichten Erinnerungen an und mit (zumeist) berühmten Choreografien und ebensolcher Künstlerinnen und Künstler in kurzen Geschichten zu „erzählen“. Der Ort: das Wuppertaler Opernhaus, das Viele ganz nebenbei am vergangenen Wochenende in drei mal drei Stunden ebenfalls erst entdecken mussten. Diese Stunden konnten nicht ausreichen, um alle Beiträge und Beteiligten zu sehen und sich auf deren storytelling wirklich einzulassen. Bewegungen, vielleicht auch Gesten, erklärende, begleitende Worte, vielleicht auch nicht. Kein Bühnenlicht, kein Bühnenbild, kein Kostüm, zumindest meistens nicht. All dies hätten die beteiligten Künstlerinnen und Künstler entstehen lassen müssen, in Einklang oder Kontrast bringen müssen, auch und vor allem bei denen, die die zitierten Originale vielleicht schon einmal gesehen oder auf einer Bühne erlebt hatten.
Vielleicht ist es hier ein Fluch für diejenigen, die eine Vielzahl der Originale tatsächlich live erleben konnten, vielleicht sogar bei dessen Entstehung oder Uraufführung. Vielleicht ist dies aber auch ein Segen, denn diese konnten zumindest geistig hinzufügen, wozu Einzelne in ihrem „Storytelling“ nicht in der Lage waren. Manches Mal auch, weil das eigene Ego diesem Gesamtbild im Wege stand. In diesen Fällen wurde aus „Segen“ doppelter „Fluch“.
An diesen Personenkreis aber dürfte Charmatz nicht primär gedacht haben bei seinem „archäologischen Konzept“, dass dennoch solche „Begegnungen“ aushalten können muss, um valide zu sein.
Leider können es diesmal nur Worte zu den Streiflichtern sein, die Eindrücke hinterlassen haben, denn das filmen war (uns aus eigentlich unerfindlichen Gründen) untersagt und somit ist unsere Basis, die freie und unabhängige Berichterstattung in Wort und Bild als Journalist_innen, die unseren Besuchern sonst stets die Möglichkeit liefern, sich aus den filmischen Eindrucken ein eigenes Bild zumachen, verhindert worden.
Augenfällige Unterschiede
Sofort ins Auge gefallen wäre hierbei wohl jedem der Unterschied zwischen den Pina Bausch Tänzerinnen und Tänzern, den jüngeren Mitgliedern des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch und den Gästen von „terrain“, deren Erfahrungsvorsprung in diesem Format deutlich sichtbar wurde.
Die Gründe hierfür liegen, wie zuvor ausgebreitet, auf der Hand und begründen sich ebenfalls in deren Verständnis von Tanz und Performance, das deutlich anders, vielleicht sogar seitens „terrain“ breiter, aufgestellt ist, zumindest für einen Ansatz, wie ihn Charmatz ausführlich in „NAHAUFNAHME“ skizziert, dem Buch dessen Besprechung vielleicht interessant gewesen wäre, aber nicht stattgefunden hat. (siehe Oben) Denn die vollkommen distanz- und kritiklose Euphorie zum nichtanwesenden Buchgegenstand, die Marietta Piekenbrock, als Autorin und Mit-Herausgeberin und Bettina Milz, als Moderatorin?, vor knapp hundert (ursprünglich) Interessierten auf der Vorbühne des Opernhauses von sich gaben, verhinderte diese Einblicke – Eine Buchbesprechung erfolgt deshalb gesondert.
Verwiesen sei begründend daher beispielhaft auf die Arbeitsweise einer Pina Bausch, deren Collagen sich beinahe immer in einem eigens hierfür geschaffenen „Universum“ (in oft grossartigen Bühnenarchitekturen und -Landschaften) zusammenfügen. Pina Bausch hat mit ihren Tänzerinnen und Tänzern eine eigene Sprache geschaffen, die des Tanztheaters, und die Körper- und Bewegungssprache, die sie geschaffen hat, die neben den grossen Bewegungstableaus, häufig mit kurzen Soli, Zug um Zug wie in einem raffinierten Schachspiel, Zustände und Emotionen Einzelner aufblitzen und dann sofort durch und mit anderen kontrastierten. So entstehen häufig Spannungsbögen, die die Einzelnen wie in einem unsichtbaren Staffellauf an die Nachfolgenden weitergeben. Viele Tanzkünstler_innen, die ausserhalb solcher Ermöglichung-Strukturen arbeiten, choreografieren, Tanz weiter entwickeln, müssen wesentlich „sparsamer“ mit den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen umgehen. Jede(r) Einzelne muss hier weit mehr (Verantwortung) tragen. Dies wird auch in den gesehenen Ansätzen deutlich. Und doch, auch dies wurde deutlich: Tanzkunst ist weit mehr, als Bewegungsansammlung und Gesten (und seien es 10.000), als tanzende Körper, wo auch immer.
„Die Körper in den Kampf werfen“
„Die Körper in den Kampf werfen“ forderte einst schon Pier Paolo Pasolini. Johannes Odenthal schrieb hierzu sein Werk „Tanz Körper Politik: Texte zur zeitgenössischen Tanzgeschichte“ als Reflexion auf die Diskussionen seit den 90er Jahren. Charmatz hat diese Reflexionen bestenfalls aufgenommen oder sich hiervon prägen lassen, erfunden hat er sie nicht, wie vieles, das er geschickt aufnimmt und zitiert (zumeist ohne diese Zitate als solche zu kennzeichnen).
Von diesen Tänzerkörpern und der Kunst, die mit und aus ihnen zu entstehen vermag, kann eine Gesellschaft gar nicht genug haben. Dies unterstreicht auch, weshalb es essentiell wichtig ist, wenn eine Stadt Strukturen bietet, die einladen, in diesen Tanzkunst zu entwickeln, zu verhandeln, ihr zu begegnen.
Dieses Fazit darf gerne aus den drei vergangenen Tages des Wochenendes mitgenommen werden, auch wenn manches im „Musée de la Danse“ nicht so überzeugen konnte wie erhofft.
Noch ein Fazit: Mehr Informationen wären hilfreich gewesen
Nicht jeder Beitrag der Performer konnte das wandernde Publikum so fesseln, dass es lange genug verweilen wollte, um in den gewünschten Austausch mit den Tanzenden zu treten. Manchen im Publikum war auch anzumerken, dass sie Angst hatten, vielleicht irgendwo etwas verpassen zu können, so dass sie weiterzogen, sobald die Spannungskurve etwas abzuflachen drohte. Eine genaue Information, wer wann und wo zu sehen sein würde, wäre sehr hilfreich gewesen, ging aus der skizzenhaften Karte des Hauses aber nicht hervor.