WERKSCHAU MARK SIECZKAREK

PATHS THROUGH MY GARDEN

In Wuppertal wurde das Gesamtwerk des Künstlers im Alten Schauspielhaus mit einem umfangreichen Programm und Ausstellung präsentiert

Gedanken dazu von Klaus Dilger

„Kunst ist zeitlos, um Kunst zu sein, und doch zwingen Produktionsprozesse den Künstlerinnen und Künstlern einen Zeitdruck auf, der sie oft verhindert, ihre Kunst überhaupt gebären zu zu können. Mark war nicht von dieser „Zeit“ – gerade deshalb ist uns so viel verloren gegangen, das niemals die Zeit hatte, zu reifen und Kunst zu werden. …

An seiner ersten großen Werkschau „paths through my garden – Kunst von Mark Sieczkarek“,  die ab dem 9.Oktober und bis zum 26. Oktober dankenswerter Weise im Alten Schauspielhaus und geplanten Pina Bausch Zentrum zu sehen sein wird, hatte er noch mitgearbeitet. Sie ist eine Reise  durch die künstlerischen Welten des so vielseitig begabten Tänzer und Choreografen. Er wäre dreiundsechzig Jahre alt geworden.“

Diese Werkschau mit Ausstellung, Performances, Filmen und Gesprächen ist am vergangenen Wochenende mit der Präsentation des Films „STREETWEAR“ zu Ende gegangen, der im Januar 2025 erstmals in Wuppertal zu sehen. Sie kann auch als Mahnung gelesen werden, die Förderung von Kunst und Künstlerinnen und Künstlern neu zu überdenken und entsprechend zu gestalten.

Angekündigt wurde dieser Abschlussabend so: „…In Streetwear gewinnt mit Mark Sieczkarek und den facettenreichen Einzelepisoden die Stadt ein faszinierendes und vielfältiges Eigenleben und sprengt dabei die Grenzen zwischen Kunst und Alltag.

Stars der internationalen Tanztheaterszene treffen auf lokale Künstler: Pina Bausch-Legenden wie Julie Shanahan, Ophelia Young und Kenji Takagi tanzen Seite an Seite mit Wuppertaler Kreativen, wie Karlo Wentzel und Udo Sträßer – alle gehüllt in Sieczkareks Kostüm-Unikate aus recycelten Alltagsmaterialien. Entstanden während der Pandemie, als die Welt stillstand, feiert dieser Film das Leben in seiner wildesten, farbenprächtigsten Form. Ein Film, der beweist: Kunst kann überall entstehen, wo Menschen den Mut haben, zu träumen. Dieser Film macht mit einem visuellen Fest Wuppertal zur heimlichen Hauptstadt des zeitgenössischen Tanzes.“

Mark Sieczkarek hatte viel Sinn für Humor und vielleicht hätte er leise und milde zu diesem Text gelächelt und die Wenigsten hätten es wohl bemerkt, wenn in diesem Lächeln (s)eine Trauer verborgen gewesen wäre.

Denn Mark war kein „Lautsprecher“ – eher das Gegenteil davon – und vielleicht haben deshalb so Viele erst nach Ausbruch seiner kurzen Krankheit und dem viel zu frühen Tod bemerkt, dass der Künstler und seine Kunst eine sichtbare Wertschätzung brauchen würden ohne stets darum kämpfen zu müssen. Ein Kampf, den Mark längst schon müde war auszufechten in einer Welt, in der die Behauptung als Schein-Wert zunehmend schneller und lauter die Werte wahrer Kunst verdrängt. Dies erging nicht nur ihm so, sondern vielen Künstlerinnen und Künstlern in diesem Land. Vielleicht könnte diese Werkschau Anlass sein für ein Nach- und Umdenken?

Paths-Through-my-garden©TANZweb_Klaus-Dilger

Paths-Through-my-garden©TANZweb_Klaus-Dilger

Von Gärten und Ruinen

Oft lassen sich die bezauberndsten Gärten dort finden, wo die Natur sich in ihrer ganzen wilden Kraft und Schönheit ihren Raum zurückerobert, zumeist dann in Ruinen, wenn man sie lässt. Auch das Alte, das ehemalige Schauspielhaus in Wuppertal gehört zu dieser Gebäudekategorie, so schmerzlich das auch klingen mag.

Die Kraft der Natur, die nicht nach Wert und Nutzen fragt, sondern nur sich selbst folgt, kann so beinahe schon als inspirierender Akt der Freiheit gelesen werden.

Böll und die „Freiheit der Kunst“

Es sind noch keine sechzig Jahre her, dass Literatur-Nobelpreisträger Heinrich Böll an gleicher Stelle 1966, zur Eröffnung des Wuppertaler Schauspielhauses, im Beisein des damaligen Bundespräsidenten Heinrich Lübke, eine flammende Rede hielt: als Mahnung gegen die drohenden Folgen der immer dominierender werdenden Wertegläubigkeit des Kapitalismus und „Für die Freiheit der Kunst“:

„Was sie (die Kunst) braucht, einzig und allein braucht, ist Material. Freiheit braucht sie nicht, sie ist Freiheit; es kann ihr einer die Freiheit nehmen, sich zu zeigen – Freiheit geben kann ihr keiner; kein Staat, keine Stadt, keine Gesellschaft kann sich etwas darauf einbilden, ihr das zu geben oder gegeben zu haben, was sie von Natur ist: frei.“

Und Böll ging noch weiter:

„Wie weit sie gehen darf oder hätte gehen dürfen, kann ihr ohnehin vorher niemand sagen, sie muss also zu weit gehen, um herauszufinden, wie weit sie gehen darf, wie weit die ihr gelassene Freiheitsleine reicht. Sie bringt nicht nur, bietet nicht nur, sie ist die einzig erkennbare Erscheinungsform der Freiheit auf dieser Erde.“ (und doch angekettet an eine „Freiheitsleine“ – Anmerkung Redaktion)

Bölls Rede in der Engels-Stadt bedeutete daher auch die Forderung, der Kunst, den Künstlerinnen und Künstlern, freien Zugang zu geben, oder besser noch, Ihnen ganz unmittelbar die Produktionsmittel ihrer Kunst zu überlassen.

Paths-Through-my-garden©TANZweb_Klaus-Dilger

Paths-Through-my-garden©TANZweb_Klaus-Dilger

1966 konnten sich vermutlich nicht Viele vorstellen, dass zehn Jahre später eine junge Künstlerin die Welt dieses gerade eingeweihten Elf-Millionen-Deutsch-Mark-Baus und die des damaligen Tanzes gleich mit auf den Kopf stellen würde.

Weitere zehn Jahre später kam der junge Schotte Mark Sieczkarek, der an der Royal Ballet School ausgebildet wurde, zu Pina Bausch an die Wupper.

Er sollte nur zwei Spielzeiten lang bleiben, ehe er die „Sicherheit“ eines festen Engagements aufgab, um „Frei“ seine eigenen Visionen von Tanz zu verwirklichen.

AHNEN ahnen

In Pina Bauschs Film AHNEN ahnen, einem Teil der Werkschau PATHS THROUGH MY GARDEN, den die Tanztheaterikone als „Gedankenblock“ produziert und editiert hatte, um ihre eigene Sicht auf die intendierte Gestalt von DIE KLAGE DER KAISERIN – ihrer ersten und einzigen Filmarbeit – überzeugend darzulegen, konnten die Zuschauerinnen und Zuschauer, insbesondere die professionellen Tanzschaffenden unter ihnen, bereits „ahnen“, dass nicht alle Wege der dort gezeigten Protagonistinnen und Protagonisten dauerhaft in dieselbe Richtung führen würden.

Obwohl Pina Bausch mit wachsender internationaler Anerkennung und Unterstützung den Durchbruch ihres Tanztheaters zunehmend festigen konnte, befand sich die Tanzwelt der frühen und späteren achtziger Jahre weiterhin in einem Zustand des Aufbruchs. Nicht wenige der herausragendsten Tänzerinnen und Tänzer, Choreografen und Choreografinnen verließen die als starr empfundenen Strukturen der Stadt- und Staatstheater, um eigene Ensembles und künstlerische Arbeitsformen zu entwickeln.

So entstand nach und nach – auch in Nordrhein-Westfalen – eine freie Tanztheaterszene, zu deren prägenden Vertretern schon bald Mark Sieczkarek zählen sollte.

diskussion-AHNEN©Ralf-Silberkuhl

diskussion-AHNEN©Ralf-Silberkuhl

Im Nachgespräch zu „AHNEN ahnen“, mit dem ehemaligen Pina Bausch Tänzer und späteren Resort-Leiter „Tanz“ im Wuppertaler Kulturbüro, Urs Kaufmann und der frei arbeitenden Choreografin Nathalie Larquet, gut moderiert von Marion Meyer, griff die Künstlerin ein Interview mit Mark Sieczkarek auf, in dem er gefragt wurde, welchen Traum er denn nach zwanzig Jahren freien Schaffens noch habe und er antwortete: „…Ich habe immer noch den Traum, Unterstützung zu bekommen — für ein festes Ensemble, einen Probenraum und einen Ort, wo wir regelmäßig Vorstellungen geben können, wo wir feste Strukturen haben und wo andere Träume möglich sind…“

(Wenn hier von einem „festen Ensemble“ und „festen Strukturen“ die Rede ist, sind immer die Begriffe „frei“ und „künstlerisch eigenbestimmt“ mitzudenken.)

Paths-Through-my-garden©TANZweb_Klaus-Dilger

Paths-Through-my-garden©TANZweb_Klaus-Dilger

Dieses Interview mit der WZ gab Sieczkarek in 2011, zwei Jahre nach dem Tod von Pina Bausch und kurz nach der Schließung just jenes Schauspielhauses, weil die Stadt Wuppertal die veranschlagten 13,5 Millionen Euro nicht aufbringen konnte oder wollte, die notwendig gewesen wären, um das marode gewordene Gebäude samt Technik zu renovieren. Wichtigstes Argument damals: es gäbe in dieser Stadt weder Bedarf noch Nachfrage für zwei große Spielstätten (Opernhaus und Schauspielhaus) mit insgesamt 1.600 Theatersitzen, denn damals wie Heute ist das Schreckgespenst der Politik nicht die Investition in ein Gebäude, sondern die Finanzierung der laufenden Betriebskosten.

Mark Sieczkareks Traum blieb unerfüllt. Dennoch blieb er sich stets treu in seinem Anspruch an die Kunst: „Die Idee, selbst Bühnenbilder und Kostüme zu machen, kam auf, weil ich spektakuläre oder einfach schöne Sachen auf der Bühne zeigen wollte — und das mit wenig Geld. Aber dadurch habe ich herausgefunden, dass die Stücke meine eigene Handschrift haben und als eine Art Gesamtkunstwerk präsentiert werden können“, sagte der schottische Künstler, dem alles zu wertvoll war, um es einfach wegzuwerfen, einmal im Gespräch mit der WZ.

Eine kleine Ahnung hiervon konnten sich die vielen Besucherinnen und Besucher an drei langen Wochenenden zusammen puzzeln. Bruchstücke, Fragmente, Fotografien, Erinnerungen, und ihr Dank ging auch an die Initiatorinnen, allen voran Uta Atzpodien und Kerstin Hamburg, sowie Wigabriel Soto Eschenbach und Andere.

Paths-Through-my-garden©TANZweb_Klaus-Dilger

Paths-Through-my-garden©TANZweb_Klaus-Dilger

diskussion-AHNEN©Ralf-Silberkuhl

diskussion-AHNEN©Ralf-Silberkuhl

Es waren auch Abende des Abschieds und doch möchte man sich einen kurzen Moment lang vorstellen, wie diese späte gesellschaftliche Würdigung Einzug gehalten und ausgesehen hätte in einem der Tempel dieser Gesellschaft, wie etwa die Bundeskunsthalle oder ein anderes Museum für zeitgenössische Kunst, in denen von Armut (im freien Künstlerbetrieb) nichts zu spüren ist…?

Viele nutzten diese Gelegenheiten, sich noch einmal von Mark zu verabschieden, der lange Jahre auch mit Amateuren gearbeitet hatte, mit und ohne Einschränkungen. Einige von den ehemaligen Künstlerkolleginnen und -Kollegen brachten sich selbst in den Performanceabenden mit ein, Andere ihre Gedanken und Erinnerungen in die anschließenden Gesprächsrunden, zuweilen als einen ganz persönlichen Abschied.

Wirklich vermisst hat der Rezensent dieses Artikels, ein Werk von Mark Sieczkarek in der von ihm geschaffenen Originalität zu sehen. Wäre es nicht möglich und Wert gewesen, zum Beispiel dessen letztes Gesamtkunstwerk „the tired queens garden“ (Der Garten der müden Königin(nen)), das er im Rahmen von UNDERGROUND V für das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch geschaffen hatte, wieder einzustudieren und zu präsentieren?

Es wäre so passend gewesen als Beispiel für die Wege zu Marks Werk in PATHS THROUGH MY GARDEN (Wege durch meinen Garten)

PLASTIC_Performance©TANZweb.org_Klaus-Dilger

PLASTIC_Performance_ Dominique Mercy©TANZweb.org_Klaus-Dilger