Finale beim Festival move!:

Zeitlupen-Wut

Hartmannmueller feiert Premiere von „Crash! Deal with it” in der Fabrik Heeder – HIER geht es zu den Video-Impressionen

Nachtkritik von Bettina Trouwborst

Mit dem Titel „Crash! Deal with it” ist die Premiere des Künstler-Kollektivs Hartmannmueller zum Festival-Finale von move! trefflich überschrieben. Zumal sie in verblüffender Weise – nur nebenbei – die aktuelle (welt-)politische Lage meinen könnte: „Der Karren ist vor die Wand gefahren! Mach’ das beste draus“. Doch nein, es geht um Wut. Dieses Gefühl von innerem Vulkanausbruch. Dieses Gefühl, das einem eine ungeahnte, meist destruktive Energie verleiht. Das Düsseldorfer Performance-Duo Hartmannmueller widmet sich ihnen in einer ganzen Werkreihe über vier Jahre, von 2024 – 2027, finanziert aus den Mitteln der Spitzenförderung des Landes NRW.

Ziel sei es, das Phänomen Wut und seine Dynamiken über Körperarbeit und choreografische Methoden zu analysieren und ein tieferes Verständnis für Wut in der Gesellschaft zu schaffen  – und neue Wege des Ausdrucks zu finden. Wer nach dieser offiziellen Ankündigung großen Ernst und Tiefgang erwartet hat, liegt falsch. „Crash! Deal with it” ist eine revueartig gebaute Performance mit vielen Stimmungswechseln. Nach einigen schweren, ja deprimierenden Stücken im Festival wirkt es geradezu erfrischend leicht und kurzweilig. Ja, bisweilen auch ganz schön albern.

CRASH_Deal-with-it_HARTMANNMUELLER©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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Es ist ein merkwürdiges Völkchen aus sehr speziellen Charakteren, das sich da auf dem Bühnen-Viereck zwischen den Säulen in der Fabrik Heeder herumtreibt. Das Publikum ist an drei Seiten um die Spielfläche herum platziert – auch auf der Empore. Für ihr neues Werk haben Simon Hartmann und Daniel Ernesto Mueller sich Verstärkung geholt mit Virginia Segarra Vidal – ehemalige Tänzerin des Ballett am Rhein –, der Choreografin und Performerin Lenah Flaigh und dem bildenden Künstler aus der Schweiz Felix Ersig. Sie alle sind nicht nur schräg gekleidet, sondern gehen auch seltsamen Beschäftigungen nach. Simon Hartmann zum Beispiel verteilt mit einer Sprühflasche rote Farbe auf dem weißen Boden, nur, um sie anschließend mit Küchenkrepp abzuwischen. Felix Ersig trägt Porzellantassen herum, nur, um sie auf dem Boden sehr geräuschvoll zu stapeln. Dieses Scheppern bringt Hartmann aus der Fassung. Crash! Wutentbrannt schreit er Ersig an, macht ihn nieder und verlässt den Raum. Was nun folgt, ist eine höchst ungewöhnliche Form der Deeskalation. Der Rest der Gruppe beginnt zu summen, mit Melodiebögen den Raum zu füllen. In Zeitlupe sinken die Akteure zu Boden in tiefer Entspannung. Der Zauber bleibt nicht ohne Wirkung. Simon Hartmann wird noch mehrmals den Raum betreten und verlassen.

CRASH_Deal-with-it_HARTMANNMUELLER©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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Simon Hartmann zum Beispiel, in knielangem Rock mit Hosenträgern, verteilt mit einer Sprühflasche rote Farbe auf dem weißen Boden, nur, um sie mit Küchenkrepp aufzuwischen. Felix Ersig trägt Porzellantassen herum, nur, um sie auf dem Boden geräuschvoll zu stapeln oder gar zu zerdeppern. Das bringt Hartmann aus der Fassung. Crash!

Wutentbrannt schreit er Ersig an, macht ihn verbal fertig und verlässt den Raum durch die Hintertür. Was nun folgt, ist eine höchst ungewöhnliche Form der Deeskalation in drei Akten. Ersig blickt niedergeschlagen zu Boden. Der Rest der Gruppe beginnt quasi solidarisch zu summen, immer lauter, bis sich der Raum mit Melodiebögen füllt. Dabei greift Fabian Schulz in seiner Musik-Ecke, erhöht auf Treppenstufen, die Klänge auf und verstärkt sie elektronisch oder analog mit allerlei Schlagwerk. Der Zauber bleibt nicht ohne Wirkung. In Zeitlupe sinken die Akteure zu Boden, fallen in tiefe Entspannung.

Simon Hartmann kommt zurück, dynamischen Schrittes. Wieder schimpft er auf den Kaffeetassen-Stapler ein und verschwindet erneut durch die Hintertür. Schulz verliest mit sanfter Stimme einen Text (Daniel Ernesto Mueller) über schlechte Gefühle und das erlösende Bei-sich-sein. Wieder betritt Hartmann den Raum. Er baut sich vor Felix Ersig auf und – schnaubt. Bei seiner dritten Rückkehr bittet der geläuterte Schreihals seinen Kollegen bemüht sachlich, künftig die Tassen mit Sorgfalt auf den Boden zu stellen. Der antwortet freundlich, dass er es sehr gerne tun werde.

CRASH_Deal-with-it_HARTMANNMUELLER©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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Nicht, dass Hartmannmueller mit dem Stück neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Konfliktbewältigung auf die Bühne brächten. Doch ihr unterhaltsames, künstlerisches Spiel erreicht das hochkonzentrierte Publikum. Man nickt innerlich – ja, so kommt man weiter.

Wenn das Ensemble anschließend die Stufen erklimmt und wie eine Band zu den Songs „Ein bisschen Frieden“, „Celebrate good times“ sowie „Da da da“ die Lippen bewegt und die Luftgitarren bearbeitet, sind Hartmannmueller ihren Wurzeln nah: „Melodien zum Träumen“ stellten sie 2014, damals noch in der Reihe First Steps für junge Choreografen, an diesem Ort vor. Der Titel war natürlich beißende Ironie.

Auch Virginia Segarra Vidal erleidet einen Wutanfall. Sie ist anfangs die Spaßbremse. Sie kann den Lärm nicht aushalten, den insbesondere Mueller mit dem Vorschlaghammer erzeugt, den er genüsslich rücklings auf den Boden donnern lässt und ohrenbetäubend laut „Huhu“ quer durch den Raum ruft. Daraufhin wenden sich erst alle von ihr ab, dann treiben sie sie in die Enge. Schließlich nimmt Mueller sie in die Arme. Die andern drängen sich dazu, bis die Gruppe, vereint zum Knäuel, über den Boden rollt.

Es ist ein dramaturgisch stimmiges Spiel von Harmonie und Stress, das sich schließlich in Wohlgefallen auflöst. In einer Reihe schreitet, marschiert und tanzt das Quintett wie in einer Revue Geschlossenheit vor. Auch der Musiker tänzelt davon, so wie er zu Beginn fröhlich tippelnd die Bühne betrat. Und das Publikum schlendert, ganz entspannt, nach Hause. Das ist doch auch mal schön.

CRASH_Deal-with-it_HARTMANNMUELLER©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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