Vielseitig inspiriert

Der (Un-)Gehorsam als ästhetisches Kunstwerk

Von KLAUS KEIL

Im Depot 1 des Schauspiel Köln wurde gestern Abend die Premiere des Tanzstücks „Ungehorsam“ (im Original DisObedience) von Richard Siegal und dem Ballet of Differenz gefeiert. Das neue Tanzstück, Siegals „Ungehorsam“ ist vielseitig inspiriert.

Doch was hat die Erzählung von Franz Kafka „Ein Bericht für eine Akademie“, mit dem sogenannten »Shuudan Koudou« zu tun, der auch als »Japanese Precision Walking« bekannt ist? Und was verbindet sie allesamt mit dem Roman gleichen Namens von Naomi Alderman „Ungehorsam“ (2006) und der filmischen Adaption dieses Familiendramas durch Sebastián Lelio (2007)?  Abstraktion oder Drama – wie hätten Sie es gern?

Von jedem etwas, müsste man jetzt sagen, denn tatsächlich ist alles miteinander verwoben. Ob dies inhaltlich sinnvoll und vor allem inhaltlich überzeugend ist, steht auf einem anderen Blatt. Die choreografisch-tänzerische Seite müsste also ein Beispiel überzeugender Präzision sein, wie man sie sonst aus Siegals Stücken kennt. Doch dieser Wiedererkennungswert stellt sich nicht ein.  Vielleicht hilft die Bühnenausstattung, die Richard Siegal selbst gestaltete. Über der gesamten Szenerie hängt eine Art mobiles Dach, das sich öffnet und aufnimmt oder schließt und überdeckt. So wie zum Schluss der letzte Tänzer von dieser riesigen Decke verschluckt wird. Der Bühnenboden selbst erinnert an eine Turnhalle. Er ist mit einer Menge von Ziellinien, 7-Meter-Halbkreisen und anderen optischen Vorgaben gefüllt: Leitlinien für die Tänzer oder Replik an die japanischen Walking-Friends? Deren Hallen sind beim »Japanese Precision Walking« brechend voll, um das Schauspiel rasch wechselnder Bewegungsformen mit gut hundert Akteuren in ihrer Perfektion zu genießen. Davon mit einer kleinen Truppe von 12 Tänzer*innen eine Anmutung auf die Bühne zu bringen, stellt schon eine große Herausforderung für das BoD dar. Ohne Gehorsam wird es sicher nicht gehen – oder?

©Thomas Schermer

©Thomas Schermer

Als nächstes müsste man sich die anderen Akteure dieser Inszenierung einmal genauer anschauen. Da ist zum einen Franz Kafka, der in seiner Erzählung einen Affen als Menschen präsentiert, damit dieser sich seiner eigenen Unzulänglichkeit bewusst werde. Also ein Fall von abstraktem, ironischen Gehorsam. Doch bei Siegal steht kein Affe mit menschlichen Attitüden auf der Bühne und entleert sich menschlicher Phrasen. Stattdessen deklamiert die ehemalige Pina-Bausch-Tänzerin Nazareth Panadero Kafkas „Bericht“ häppchenweise über 90 Minuten immer wieder neben oder in die choreografische Szenerie hinein. Das scheint inszenatorisch gewollt zu sein, stärkt aber leider nicht die Gesamt-Inszenierung, in der es doch immer wieder die Tänzer*innen sind, die wie beim »Japanese Precision Walking« und deren typischerweise schnell wechselnden       Bewegungsformen Strukturen aufbauen, aufheben, verlieren und doch immer wieder zusammenbringen. Dass solche Art Auseinandersetzung nicht ohne Blessuren bleibt, zwingt Siegal dazu, eine choreografisch überzeugende wie auch tragfähige tänzerische Basis zu bieten. Die ist leider nicht durchgehend erkennbar. Wo steckt denn das wirklich Dramatische aus Aldermans Roman? Manchmal wirkt es als würden die Tänzer*innen wie losgelassen ihre eigene Form suchen. Dann wieder finden sie sich eng an eng um sich nach außen abzusichern. Und– auch das muss einmal gesagt werden: es macht Spass dem Ensemble bei seinen schnellen Positionswechseln, den gebrüllten Kommandos, der Auflösung und wieder Neu-Formierung der kleinen Truppe zuzuschauen.

Weitere Vorstellungen: Heute und morgen

©Thomas Schermer

©Thomas Schermer