photo: klaus dilger

Durch Wiederholung zur Erkenntnis

Deutschlandpremiere von „RE PLAY. The Swan“, dem neuen Tanzstück von CocoonDance Bonn

Anfangs ist das Geräusch eher unauffällig. Irgendwann aber dringt es in seiner Monotonie zwischen den Stille-Phasen und den Geräusch- und Musikeinspielungen doch ans Ohr. Es klingt wie das rhythmische Schleifen einer abgespielten Schallplatte, die sich auf dem Plattenteller endlos weiter dreht. Abgespielt. Schluss. Aus. Und es ist auch das letzte, was man am Ende in „RE PLAY. The Swan“, dem neuen Tanzstück von CocoonDance Bonn hören wird. Ein kleines, fast nebensächliches Geräusch wird in seiner Eindringlichkeit zur Metapher für Wiederholung und Unendlichkeit.
Auf der offenen Bühne des Theater im Ballsaal in Bonn liegt ausgestreckt eine Frau in Alltagskleidung auf dem Boden, vier weitere tragen farbige Kimonos und haben es sich auf einem Polsterhocker bequem gemacht. Im Hintergrund steht ein futuristisch gestylter Tisch mit einer von Stahlbändern gehaltenen Überdachung. Darauf Elektronik, Kabel, Verstärker, Plattenspieler. Hier wird jede der fünf Performerinnen im Lauf des Stückes ihren Sound suchen oder ihre LP wie ein DJ „scrachen“.

Zu einer leisen sphärischen Musik erhebt sich die Tänzerin, zieht ihren Körper zusammen, streckt ihn erneut, ein Arm schwingt hoch bis zum nächsten Fall. Die anderen vier befinden sich im Smalltalk kleiner Handbewegungen, dazwischen tönt immer wieder ihr „can you repeat“. Wie in einem immerwährenden Kreislauf erheben sich dann alle, rücken einen Platz weiter, die zweite Tänzerin beginnt ihr Solo, während die erste nun am Sound-Tisch steht und sich von dort mit Sample-Techniken akustisch in das „Gespräch“ einbringt. Can you repeat. Der Tanz wird heftiger. Eine der Tänzerinnen schüttelt den Körper, ein Bein dabei vorgestreckt, ihre Arme drehen wild. Schüttelt sie, wird sie geschüttelt oder will sie gar etwas abschütteln? Eine individuell-exzentrische Bewegungssequenz folgt der anderen, dann vereinen sich alle mit dem Rücken zum Publikum zu einem monolithischen Block. Sie wiegen sich, lösen sich wieder voneinander, kehren zurück auf den Hocker – und beginnen das Spiel erneut. In immer wieder neuen Variationen durchleben und durchtanzen sie den Raum. Keine der Bewegungen gleicht der vorherigen. Die Wiederholung wird damit zum Unterscheidungsmerkmal. Es ist wie eine unendliche Sinnsuche in Raum und Zeit, einer Suche nach dem eigenen Ich, das sich erst in der Wiederholung – und das heißt: im fortschreitenden Leben – formt und findet.

Mit dem Wiederholungsprinzip greift CocoonDance eine im Tanz oft verwendete Inszenierungsform auf.  In „RE PLAY. The Swan“ geschieht dies allerdings nicht wegen seiner verstärkenden visuellen Wirkung, sondern als Reflexionsfigur für fortwährende Veränderung. Dieser Wandel wird in den sich verändernden Bewegungsqualitäten der fünf Frauen sichtbar. Jede findet sich zu einem ausgeprägten Solo im Mittelpunkt. Das Schwanenmotiv des klassischen Balletts mit dem nach vorn gebeugten Oberkörpers und den wie Flügel nach hinten gestreckten Armen wird als reines Erkennungszeichen ohne Erkenntniswert bloßgelegt. Und Tschaikowskys Schwanensee-Motiv wird gescracht oder verliert sich in einer Geräuschkulisse. Tatsächlich ist erst im zeitgenössischen Tanz das Motiv der Wiederholung als inhaltliches Gestaltungsprinzip aufgegriffen worden. In „RE PLAY. The Swan“ wirkt jede Wiederholung wie ein Experiment, das eine innere Veränderung in äußeren Bildern erkennbar macht.

Das Großartige an dieser Inszenierung ist, wie sensibel und damit leicht zugänglich Choreografin Rafaële Giovanola diesen theoretischen Überbau in anschauliche tänzerische Bilder umsetzt. Bei der Zusammensetzung des Ensembles für dieses Tanzstück hat sie mit Katrin Banse, Fa-Hsuan Chen, Laure Dupont, Weronika Pelczynska und Inma Rubio ausdrucksstarke Tänzerinnen gefunden. Eine schwarz-weiße Videoüberspielung projiziert eine Tänzerin gleich mehrfach gedoppelt wie in einem surrealen Film. Das wirkt, als trete ihr Körper aus sich heraus. Vor diesem Hintergrund entstehen in warmen Lichtspots betörend schöne tänzerische Bilder. Einzeln oder als Duo agieren die Tänzerinnen, wiederholen die Posen der anderen oder bewegen sich traumverloren in Zeitlupe und streifen synchron ihren Kimono von den Schultern. Dann wieder bäumen sich alle in exaltiertem Bewegungschaos auf, werfen Arme und Beine wild von sich. Am Ende liegt eine von ihnen wie zu Beginn des Stückes ausgestreckt am Boden, ihre Kleider hat sie bis auf Slip und Hemdchen verloren. Ihre Suche scheint noch nicht beendet. Ein letztes „Can you repeat“ ist zu hören, dann verschlingt die Dunkelheit ihre Suche.
KLAUS KEIL

Von und mit: Katrin Banse, Fa-Hsuan Chen, Laure Dupont, Weronika Pelczynska, Inma Rubio// Choreografie, Regie: Rafaële Giovanola// Sound, Musik: Jörg Ritzenhoff//Licht- und Raumgestaltung: Marc Brodeur //Kostüme: Gilvan  Coehlo de Silva //DJ- und Video-Coaching: Martin Baumgartner // Dramaturgie: Rainald Endrass

Termine:  16. + 17./ 22. – 25.11.2012 Bonn, Theater im Ballsaal;                                                                
28. und 29.11. Köln, Orangerie Theater