Im Tanzen Heimat und Hölle erinnern

Erst schneidet er einen Apfel klein, dann eine Banane, die Stückchen kommen in einen Mixer. Omar Rajeh dreht am Schalter, und das fiese Maschinengeräusch wird mal lauter, mal leiser. Es hat etwas Zerstörerisches, hier werden Früchte und Sorten zwangsweise vermischt, sozusagen Äpfel und Birnen. Es könnte auch ums Alltägliche gehen, Küchentätigkeit, oder gar um Gesundheit. Vielleicht von allem ein bisschen. Denn das Stück wurde in Beirut geschaffen. Rajeh, in Trainingshosen, spricht nun Arabisch ins Mikrophon. Er stellt sich vor, „Mein Name ist Omar Rajeh, aber das ist nicht mein wirklicher Name, ich habe die amerikanische Universität in Beirut verlassen. Die Tante meines Vaters meint, Tanz ist nichts für Männer“. Das wird er den Zuschauern später übersetzen. Jetzt tritt er barfuß auf eine hellgrüne Fläche, reibt sich das Gesicht, knautscht es,  klappt zu Boden, bäumt sich auf, Ellbogen und Knie schnappen um ihn her, etwas scheint ihn nieder zu drücken, und etwas anderes dem endgültigen Hinlegen zu widerstehen. Bedrängt wirkt der Körper, als wolle etwa in seinem Innern entkommen, dabei singt eine Stimme aus dem Off, wie von fern, eine Klage. Langsam versucht er ein Aufrichten und steht mit krummen Beinen da, instabil.

Mia Habis steht lange mit gesenktem Kopf im Lichtspot. Kaum merklich rollt sich ihre rechte Hand ein, ragt später von ihr weg, kriecht zur Achselhöhle, kreiselt Richtung Boden, flackert. Der andere Arm kann ihn nur mit Mühe festhalten, eine große Anspannung erfasst den Körper. Er rollt zu Boden, kippt den Rücken hoch. Aus dem regunglosen Klumpen kriecht wieder diese eine Hand heraus, wie ein Würmchen, ein Schnabel oder eine Zunge, die keine Ruhe gibt.

Auslöschen, Widerstehen

Im anschließenden Künstlergespräch erläutert Omar Rajeh, der erst Schauspiel, dann in England Tanz studiert und 2002 in Beirut sein Maqamat Theatre Dance gegründet hat, die Entstehung der „Assassination“. Eigentlich treten darin fünf Tänzer auf, und eine Gaze hängt vor der Bühne, auf die arabische Schrift projiziert wird. 2008 begannen sie daran zu arbeiten in der Erinnerung an die Jahre der Unsicherheit im Libanon, 2005-2006, die geprägt waren von  Demonstrationen gegen die israelische Besetzung im Süden, von der Ermordung des Präsidenten Hariri, Explosionen. „Was heißt es zu tanzen, wenn Menschen sterben?“, befragten sie ihre Stellung in der Gesellschaft. Sie dachten über Begriffe „elimination“ und „refusal“ nach, denn Tänzer existieren kaum im Libanon; kamen auf das Thema Zeitungen, typische Dinge des täglichen Lebens. Da fanden sie heraus, dass seit Anfang des 20. Jahrhunderts im Libanon immer wieder Journalisten ermordet wurden. Assassinations. Weder eine Reflektion noch eine Überdramatisierung suchten sie in ihrem Stück darzustellen, sondern einen Bezug zur Alltäglichkeit und zur Präsenz der Körper in ihr. „Always shifting positions“, so beschreibt Rajeh seine Haltung, diejenige eines Choreographen in diesem Land, der sich nicht schweigend in die Peripherie zurückziehen will, aber auch nicht glaubt, er könne mit Kunst die Gesellschaft verändern. Sich nicht unterkriegen lassen. „Der Appell des Körpers: Da ist noch ein Puls!“, sagt Mia Habis. „Tote Teile und überlebende Teile“, erläutert sie ihr Solo mit der eigenwilligen Hand, die Verkörperung jahrelanger Erfahrung in dem gebeutelten Land.

Den Halt verlieren und gewinnen

Eko Supriyanto, in grauem T-Shirt und schwarzer Hose, tanzt auch ein Behaupten, ein Überstehen und Weitermachen. Er beginnt in Ruhe, hebt die Hände langsam an den Kopf, vors Gesicht, als setze er eine große Maske auf. Er ist gelernter javanischer Hoftänzer, sagt das Programmheft, deshalb sieht man ihn und seine sehr kontrollierten, zähflüssigen, aber nie krampfhaften Bewegungen auf den stabilen Füßen und tief beugenden Knien an wie eine Erinnerung, die man aber nicht wirklich hat. Aber er. Wie er die Arme und die mal flachen und hochgeklappten, mal wie Blüten gespreizten Finger vor den Körper fährt, im Stehen wendet, den Kopf stets aufgerichtet, wirkt er wehrhaft. Doch der langsame Fluss ruckelt ein wenig, als suche der Körper die korrekte Form, eine Art Darstellung seiner selbst oder einer Rolle. Er erreicht die Zeichen oder Bedeutungen der Tradition nicht mehr. Der Sound aus dem Off ist anfangs nur ein hohes Sirren und tiefes Hauchen, er wächst sich aus in lauteres mechanisches, vibrierendes Geräusch. Der Tänzer wird allmählich etwas schneller, sein nun nackter Rücken zeigt Muskelregungen. Der Körper steht fest und wendet höchstens auf den Fußsohlen, die Arme fließen in der Luft. Der Oberkörper wird zur Kurve, Hart und Weich, Schwere und Leichtigkeit arbeiten sich durch den Tänzer durch. Eingraben, Ausgraben. Wie beim Breakdance schnackeln die Glieder, werden zu Scherben. Der ratternde und röhrende Sound im Raum ist kaum zu ertragen. Am Ende stellt sich der Tänzer auf ein Bein, beugt sich langsam vor und hat die Kontrolle wieder.

Das Solo der Australierin Melanie Lane, Tochter einer Javanerin, folgt dem umgekehrten Weg: In ihre schnellen, fitzeligen Armbewegungen im Takt der Geräuschmusik, sexy Schulternheben, nervöses Wimmeln und loseres Schlackern schaltet sich ab und zu und immer häufiger eine feste Haltung ein, wie ein Aufwachen. Rütteln, Futzeln, Abdriften – wieder Form erreichen und tragen. Sich tragen, und zwar auf javanisch, was wie Tanzkampfkunst aussieht. Als Performerin wirkt sie viel ungreifbarer, undefinierter, auch uninteressanter als ihr Kollege. Die Choreographie stammt von Arco Renz, Belgier, der sich seit Jahrzehnten immer wieder gern in Asien tummelt. Ihn interessiere das Phänomen Drinnen-Draußen, das die javanische Kultur sehr präge, erklärt er. Deren klassischer Tanz mit seiner Langsamkeit, dem „flow“, der Stabilität. Überhaupt versuche jeder ständig diese „stability“, Haltung, Harmonie zu erhalten. Das nun konfrontiert er in den „Solid States“ mit Einflüssen von außen: der Musik und einer beweglichen Plattform auf der Bühne, die mal sanft, mal heftig unter den Tänzerfüßen schwankt: „interaction, conflict!“
„Er hat meinen javanischen Tanz kaputt gemacht. Er hat alles ruiniert“, sagt Supriyanto über Arco Renz und grinst, „Gut so!“. Denn er selber habe vor zwei Jahren nicht weitergewusst als Choreograph und fühlte sich leer. Monatelang acht Stunden am Tag proben bei Air Condition war für ihn ganz unindonesisch. Nur den harten Boden war er gewohnt. „Feel my comfort zone and leave it“, das Gewohnte als solches erleben, um es dann auch verlassen zu können, das mochte er daran. „Um dann wiederum zu erkennen, woher ich komme“.

The past will be confusing

Bei  Tim Etchells, Autor und Regisseur der Performancegruppe Forced Entertainment heißt es „Die Zukunft wird uns verwirren“ in seiner Lichtinstallation aus herumfliegenden Buchstaben. The future will be confusing. Doch schon die Vergangenheit ist nie ein „solid state“, schon gar nicht in der Kunst. Aber sie verschwindet auch nicht. Die Frage bleibt.

Hier geht es zu den Videos des gestrigen Abends:

assassination
solid states arco renz – iMovie