SPECIES / Carla Jordão zeigt in Barnes Crossing in Köln

A Universal Positivity

 

von Thomas Linden 

Wie weit kann Höflichkeit gehen? Zwei junge Männer begegnen sich in einer Art Studio. Man begrüßt sich, bezeugt einander Respekt, versichert sich gegenseitigen Wohlergehens. Es fällt der Satz, „wenn du glücklich bist, bin ich es auch“. Man ist „glücklich“ hier zu sein. Lächeln ist durchweg angesagt. Nun könnte man fragen, wann denn das Gespräch wohl endlich beginnt. Immerhin stehen dort auf der Bühne zwei aufklappbare Stühle. Ob es zu einem Gespräch – oder zu dem, was wir gemeinhin darunter verstehen – kommen wird, bleibt offen. Denn auch das Stühlerücken und der Versuch, die richtige Sitzposition zu finden, stellt eine komplizierte Prozedur dar.

Was geschieht hier? Möglicherweise nichts, aber das Nichts ins Bild zu setzen, kann eine faszinierende und in diesem Fall auch recht humorvolle Angelegenheit sein. Zugleich ist es Philosophie, die Carla Jordão in ihrer aktuellen Produktion „A Universal Positivity“ betreibt. Man ist so freundlich miteinander, das nichts mehr geschieht. Damit nur noch Harmonie herrschen kann, muss man sich freilich ziemlich verbiegen. Ihre beiden Tänzer Jordan Gigout und Kilian Löderbusch erfüllen diese Voraussetzung perfekt, indem sie ihre Körper wie Gummipuppen verdrehen. Carla Jordão nimmt Ansätze im Denken des Philosophen Byun Chul Han auf, indem sie uns mit dem Terror der Positivität konfrontiert.

Wenn Konflikte nicht mehr sein dürfen und der Schmerz der Wahrheit eliminiert werden muss, dann sind wir auf dem Weg in die Erstarrung. Es kostet Energie, das Negative wegzulächeln. Gigout und Löderbusch gelingt dieses Kunststück bis ins pointierte Schlussbild hinein verblüffend gut. So kippt das Geschehen immer einmal wieder, wenn auf die Gesten der Höflichkeit plötzlich konvulsive Tanzpassagen folgen. Der Versuch, stetige Harmonie zu erzeugen, verlangt bruchlose Kontrolle. Aber das Unbewusste spielt uns gerne einen Streich. Die weggedrückten Gefühle schießen mit dem Tanz wieder hervor. Man sieht der Produktion an, dass die Frische ihrer Ironie aus einer Improvisation geboren wurde, der ein stringentes Konzept zugrunde lag. Minimalismus ist hier nicht einfach wenig Aktion, sondern Gesten werden intensiv mit Bedeutung aufgeladen. Carla Jordão weiß, was sie tut. Sie zeigt, wie sinnleere Kommunikation in Orientierungslosigkeit mündet.

Species_Carla-Jordao©Oliver-Stroemer

Species_Carla-Jordao©Oliver-Stroemer

Gleichwohl exerziert die Kölner Choreographin keine durchsichtigen Intentionen. Zu dem tänzerischen Kammerspiel des Duos erklingen Requien von Berlioz und Mozart. Deren musikalisches Pathos verleiht den scheinbar belanglosen Dialogen eine wuchtige Resonanz, die das Banale dramatisch durchpulst. Hinter dem Harmoniezwang öffnet sich die gesellschaftliche Dimension der political Correctnes, die das Andere, das Sperrige, das Fremde und das Widersprüchliche zu eliminieren trachtet. Wir werden mit einer Welt konfrontiert, die keine Abweichung zulässt. Schon aufgrund seiner Störanfälligkeit widersetzt sich der menschliche Körper beharrlich dem Versuch, ihn einer ideologischen Prämissen stromlinienförmig dienstbar zu machen. Nicht zufällig müssen Bilder in Museen abgehangen oder verhüllt werden. Seitenlange Triggerwarnungen erzählen vom Wunsch, noch jeder Befindlichkeit Rechnung zu tragen. Genau diesen Tanz ums Goldene Kalb der lupenreinen Ethik führen uns Jordan Gigout und Kilian Löderbusch in aller Virtuosität vor.

Jene politische Dimension, die der Titel „Universal Positivity“ verspricht, löst die Inszenierung dann auch ein. Ein Dialog am Ende der Inszenierung demonstriert, wie hinter der Aufforderung zum positiven Denken ein subtiles Zwangsregime lauert, das Glück in die Währung von Leistung und Verdienst übersetzt. Plötzlich sprechen die beiden Männer mit weiblichen Stimmen, die uns erklären, dass jeder seines eigenen Glückes Schmied sei. Ein Gewitter aus Anweisungen wie: „Bevor du die anderen liebst, muss du zuerst lernen, dich selbst zu lieben“, prasselt hernieder. Die Gesundbeter entlarven sich als knallharte Egozentriker. Jordão zeigt, wie das positive Denken als Werkzeug des Neoliberalismus funktioniert. Die Verantwortung für Glück und Erfolg und damit auch für Armut und Scheitern werden den Einzelnen aufgebürdet. So lässt sich Solidarität subtil unterminiert.

Tanz, Performance und Theater verschmelzen in dieser Inszenierung auf überzeugende Weise. Die Sprache der Körper zu beobachten, sowohl in der Geste der gepflegten Kommunikation als auch im Aufschrei der Verzweiflung über die Ohnmacht unterdrückter Gefühle, ist Teil kritischer Zeitgenossenschaft. In vielen aktuellen Produktionen bleibt die politische Dimension des Tanzes nur programmatische Behauptung. Carla Jordão gelingt es hingegen mit dieser intelligenten Choreographie, uns vor Augen zu führen, wie brillant die Tanzkunst gerade heute als Erkenntnisinstrument funktionieren kann.

Species_Carla-Jordao©Oliver-Stroemer

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