Tanzwerke Vanek Preuß mit neuem Stück

Aus dem Weg

Das neue Stück von Tanzwerke Vanek Preuß alias Karel Vanek und Guido Preuß hatte in der Brotfabrik in Bonn-Beuel Premiere. „Abwesen“ ist ein undefinierbares Gebilde, das bestens in die Schublade „Tanz“ passt.

Nachtkritik von Melanie Suchy

Was das Abwesen so treibt? Es ist ja kein Unwesen.

Es ist ein Wesen mit einer Vorsilbe, die dem Wesen etwas wegnimmt, es untergräbt.

Hier graben sich drei Frauen tatsächlich in den Raum, vor sich und um sie herum, buddeln in der Zeit, die ihnen nichts anhat, die sie sich vom Leib halten, auch gräbt etwas in ihnen selber, rumpelt, schaufelt, schabt, schiebt oder rüttelt. Aber kommt nicht raus. Überhaupt kommt hier gar nichts RAUS. Das Abwesen ist ein Inwesen, jedenfalls halten wir es beim Betrachten für so etwas. Aber was ist etwas, das keins ist?

„Abwesen“ ist kein Tanzstück über das Thema Abwesenheit oder so. Nicht über, sondern als oder mit oder drumherum. Deshalb wohl umkreisen die drei Tänzerinnen zu Beginn von rechts hinten aus erst einmal die weiß ausgelegte Bühne, die zur ebenen Erde, wenn es Erde wäre, vor der Zuschauertribüne des Brotfabrik-Theaters wartet. (Erwartungen). Ganz langsam. Es ist auch kein Kreisen, sondern Vierecken, am inneren Rand entlang. Mehrmals gehen sie den Rahmen ab, gegen den Uhrzeigersinn. Aber Gehen ist das nicht.

Raimund Hoghe, der 2021 verstorbene Düsseldorfer Meister der Tanzbühne, praktizierte das Abgehen des Bühnenvierecks. Es war wie ein Gruß, fast wie ein Gebet, eine Introduktion. Das hier ist das Theater, das hier bin ich in und mit dem Theater. Guten Abend! Er inszenierte in seinen Stücken das Präsente, mit einem feinen, liebevollen Sinn fürs Nicht-Präsente, Abwesende. Für Gestorbene.

Hier in Bonn ist die Parade der drei zunächst kaum ein Vorankommen. Sie schieben die barfüßigen Sohlen stückchenweise voran, trippeln zurück, wieder vor, eine hebt sich auf halbe Spitze, stramm, senkt dabei den Kopf. Oder sie heben die Knie an. Auf, ab. Sie wellen, die Körperachsen beulen aus, verwischen. Symmetrie kennen diese Körper nicht, auch keinen Stillstand. Sie wenden. Sie sind zu dritt, Josefine Patzelt, Sônia Mota und Geraldine Rosteius, in Melanie Riesters weiße und schwarze Kostüme mit vielen Lücken und Löchern gekleidet, Rüschen hier, Streifen dort. Wie auch die drei sich im Bewegen unterscheiden. Manchmal landen sie in einer Reihe, nebeneinander oder hintereinander, machen sogar das Gleiche, aber doch minimal anders. Der Winkel des Arms, der Hand, das Tempo. Die Drei bilden keine Einheit.

Abwesen©Alessandro de Matteis

Abwesen©Alessandro De Matteis

Teile von

Ihre Beziehung ist keine. Kein Augenkontakt. Nie berühren sie einander. Sie berühren sich nur selber, was aber weniger ein Selbst ist, das sich vergewissert, als dass Fingerspitzen an den Hals gelangen, aufs Brustbein, ein Kinn auf Handrücken, eine Handfläche am Bein entlangrutscht, Finger über einen Unterarm krabbeln, eine Hand das andere Handgelenk umfasst oder die Schulter greift. Die Körper ruhen nicht in sich.

Und doch wirkt diese Unruhe nicht wie Getriebenheit, die nach Verzweiflung riecht. Eher wie ein Eingesaugtwerden in ein Vakuum. In einer Szene tapern die Tänzerinnen mit je einem ausgestreckten Arm, Finger voran wie Schneckenfühler, über die Bühne. Als gebe es eindeutige Richtungen. Aber dann ist die nächste dran und noch eine andere. Ein Kompass, der den Norden verloren hat.

Oder sie stellen die gestreckten Beine breit, die Oberkörper ragen nach vorn, als stünden sie an einer Klippe und schauten herab. Das machen sie hier und da und dort. Da ist gar kein Ufer von etwas, kein bestimmtes jedenfalls. Bestimmt ist hier nämlich nichts. Das Unbestimmte macht „Abwesen“ aus. Im Gegensatz zu anderen zeitgenössischen Tanzstücken, die vor lauter Klischeevermeidungsversuchen dröge werden, hält diese seltsame Kreation wach. Sie streicht auf leeren Saiten: Die sind gespannt. Posen oder Regungen, die lesbar wären, indem sie etwas bedeuten könnten / wollten oder Bekanntem ähneln, hält „Abwesen“ (meistenteils) heraus. Kein Ausdrücken von etwas. Was ist Ausdruck von Nichts? Von Nichtmehrda?

Oder Nochnichtda?

Die Ungelöstheit dieser Zustände am Rande oder zwischen machen auch lange Solos sicht- und fühlbar. Wenn Geraldine Rosteius und Josefine Patzelt ihre Körper entweder auseinanderstrecken oder ineinander verwinkeln, kreuzen oder verknoten mit ungeheurer Kraft. Das führt zu nichts, zu keiner Erleichterung, zu keiner Explosion, zu keinem Gelächter. Es gibt keine Lösung. Man könnte ewig zuschauen, denn eigentlich ist kein Ende in Sicht.

„Abwesen“ ist kühl wie der Theatersaal zu Energiekrisenzeiten. Ist weder schwer noch leicht. Es rührt beim Zuschauen an Trauer, an das Gefühl von Verlust. Vor vielen Jahren tanzte Karel Vaněk ein Solo, „Orphans“, das der Verlust seiner Partnerin, der wunderbaren Tänzerin Eva Černá, grundierte. Am Ende er ließ er zwei Weingläser wie beim Prosten aneinander klirren. Sie zerbrachen. An solche Scherben erinnert „Abwesen“ auch.

Mit ohne

Das Lichtdesign von Stefan Grießhaber hält sich, passend, mit Effekten zurück. Legt mal sanfte Helligkeit auf alles, mal fokussiert es weichkantig ein Solo. Gegen Ende spielt Blau mit hinein, als verschlucke die Nacht allmählich die Tänzerin. Der Sound, dessen Urheber Kaziguro Ishimuti genannt wird, fügt sich ebenfalls unaufdringlich dem Trio hinzu, er hallt und brummt tief wie in eine immense Leere hinein oder fipselt oder klingelt elektronisch nah am Ohr, später hört er sich an wie handgemacht mit Streichinstrumenten, lange Töne ohne Vibrato, solo oder dissonant aufeinander geschichtet.

„Abwesen“ ist wie der Unterdruck in einem Raum. Oder wie das Innere von etwas, das wir nur von außen kennen. Oder umgekehrt. Oder wie oder was oder was nicht? Ist Kunst. Macht was.

Nächste Termine: 21. und 22. Januar 2023, 10. bis 12. Februar 2023 im Kulturzentrum Brotfabrik Bonn.

Regie Karel Vaněk – Choreografie Karel Vaněk und Ensemble – Konzept & Dramaturgie Guido Preuß – Tanz Sônia Mota, Josefine Patzelt, Geraldine Rosteius Choreaografische Assistenz Nora Vladiguerova – Kostüme Melanie Riester – Licht Stefan Grießhaber – Presse- & Öffentlichkeitsarbeit Kristina Wydra – Produktion Tanzwerke Vanek Preuß

Abwesen©Alessandro de Matteis

Abwesen©Alessandro De Matteis