Bäng bäng

Richard Siegal gastierte 2017 und im Frühjahr 2018 mit seiner nagelneuen Tanzkompanie Ballet of Difference in Köln. Nun hatte eine noch innigere Crossover-Koproduktion mit Tanz Köln und Schauspiel Köln im Depot 1 Premiere: „Roughhouse“

Nachtkritik von Melanie Suchy

Das Problem ist die Sprache. Die Darsteller reden englisch. Die deutsche Übersetzung prangt zu weit oben über der großen Bühne des Depot 1 in Köln-Mülheim; also hört man lieber gut hin, was die Tänzer und Schauspieler da reden und rufen. Das Tempo, das Kalauerige des Textes und die angestrengten Stimmen machen das Verstehen schwer und verdrießen. Das Problem ist die Sprache. Tatsächlich geht es Richard Siegal in „Roughhouse“ genau darum: die Schwierigkeit zu verstehen –  oder gleich die Unmöglichkeit. Jaja.

Neinnein. So sei deine Rede. Aber so ist sie hier nicht. Sie verheddert sich in Wiederholungs- und Wortspielschleifen, ohne dass solche Knoten eine Konsequenz hätten im Geschehen. Doch: Mit dem Wort Knoten wird dann auch ein Spiel getrieben: „not“ oder „knot“? Aber niemand lacht. Dabei fängt das Stück, das der Choreograph mit vier Tänzern seines Ballet of Difference und fünf Mitgliedern des Schauspielensembles der Städtischen Bühnen Köln besetzt, so betont unterhaltsam an. Der hochgewachsene Yuri Englert spricht das Publikum an, einmal und danach nie wieder. Wer denn, in dem ausverkauften Haus, aus Mülheim komme? Ganz oben entdeckt nur ein einziges Handzeichen. Wow, ein Politikum, das ganze große Theaterpublikumsthema in einer Frage, denkt man. Schnell weiter. Wer gern so tun würde, als komme er aus Mülheim, fragt er, und nach Orten, aus denen jemand gern oder gar nicht gern käme, „Fake-Orte“, oder nach Namen, die jemand nicht gern hätte. Meldungen und Kichern im Saal. So ist das Thema Identifizierung, Zuschreibung, Lüge locker und doppelbödig eröffnet. Aber es kriegt danach in dem von Siegal selbst verfassten folgenden englischen Text zu wenig Luft.

Roughhouse Richard Siegal

Roughhouse Richard Siegal

Kein Innen, kein Außen mehr

Die Bühne, gestaltet von Siegal und Jens Kilian, hat eine Rückwand, die auch irgendwie Fake ist, weil durch die papierbespannten Rahmen immer mal Leute durchbrechen mit lautem Knall. Ansonsten kostümiert eine Projektion die Wand zeitweise zum Netz oder mit einem rund gesprengten Loch oder fängt Farbspritzer auf wie schwarzes, blaues, gelbes Blut. Der Boden ist ausgelegt mit riesigen weißen Matratzen. Man geht mühsam darauf und fällt nicht hart. Vielleicht ein Sinnbild für political correctness, mit der Siegals Text auch sein Spiel treibt. „Speaking as a woman of color, I find this beyond offensive“, formulieren drei Leute, auch ein Mann, aber niemals die einzige Woman of Color auf der Bühne, Courtney Henry. Und dann wird jeweils über Farbenblindheit geblödelt und die Wahrnehmung nur von „shades of grey“ oder „shades of orange“. Ebenso über ein „armes Opfer“, das aber keines sein will, sondern es nur spielt, das sei halt ihr Job als Profi-Schauspielerin, sagt die Tänzerin Claudia Ortiz. Die Unterscheidung zwischen Rollespielen und Darstellersein, Hautfarbehaben und -behaupten wird unwichtig und lachhaft. Aber niemand lacht.

Roughhouse Richard Siegal

Roughhouse Richard Siegal

Aufnahme, Ausnahme

Zu Beginn noch kommt „Roughhouse“, das kein Haus, sondern ein Verb ist und „spielerisch raufen“ bedeutet, wie eine Fernseh-Show daher, passend zu Mülheim, wo etliche solcher Studios beheimatet sind. Zwei Mikrofone an langen Stangen werden wie Angeln vor Münder geschoben, eine Kamera wird gerollt, ihre Aufnahmen speisen zwei unnötige Bildschirme an der linken Stellwändeseite. Auf Plastiksesseln befragt eine Moderatorin „unseren heutigen Gast“, eine „Feministin“, über deren möglicherweise autobiographisches Buch über einen Muttermord. Dann ist Revolution, „Black Panther!“, Tumult mit Pistolen aus zwei Fingern und „Me too“-Rufen. Wenn‘s knallt, klappt ein Schauspieler mit zwei Hölzern einen Schuss. Jeder posiert. Amateurhaft. Ob er oder sie nun verrenkt im Liegen erstarrt oder im Stehen oder redet, „bang bang“: Die Schauspieler und Tänzer machen schlechtes Theater.

Der Schlechtigkeit der Welt mit ihren Schlachten, deren berühmte Orte hier gerufen werden, mit ihrer Terrorbilder-, Aufregungs- und Wettbewerbsgeilheit, ihrer Nachrichten- und Kommunikationsüberflutung zu begegnen (kommt alles vor) mit schlechtem Theater – oder sie zu spiegeln – ist eine Idee. Siegal will was. Aber vor lauter Themen, die er auf einmal durch den Wolf dreht und drückt, und vor lauter scherbenförmiger Textmasse, die zu bewältigen ist, bleibt das körperliche Geschehen auf der Bühne so dünn, so uninteressant. Mal rottet sich die Gruppe oder stellt sich in Linie und schaut zu Vereinzelten hin, mal laufen sie auseinander oder raus und rein und hin. Jemand wabert, die Gruppe wabert. Plötzlich: gestreckte Füße, Hände auf sich hebende Knie, Pirouetten. Eine kurze Einlage von Tanz. Als Möglichkeit. Als Profession. Oder unverstandene Kommunikation? Ein vielversprechendes, schönes Duett tanzen Diego Tortelli und Margarida de Abreu Neto, indem sie einander locker stützen bei Balancen, umeinander kurven und sich biegen in allernächster Nähe. Zu weltfremd?

Roughhouse Richard Siegal

Roughhouse Richard Siegal

Niemand ist schuld

Die Wortwechsel über Sprechverbot („clit“, Klitoris), Kulturraub, Minderheit, Unsichtbarkeit, Farben, Bewusstsein, Gehirn (ein Wikipediatext zu „Fusirom Gyros“), Roboter und Schmerzfühlen entfremden ebenso von der „Welt“, indem sie Konflikte höchstens fingieren, zu nichts führen oder abbrechen mit einer Aufnahmeleiteransage: „Ruhe, ich brauche noch Atmo“. Das Mikrofon mit Stange wird in der Luft gekreiselt und fängt nur seinen eigenen Hauch ein.

Gegen Ende greift „Roughhouse“ zur mythischen, literarischen Sprachgewalt: Aischylos. Die Orestie. Vielleicht eine Idee des Dramaturgen Tobias Staab. Die Schauspielerin Nicola Gründel, immer schon bewegungsfreudig wie eine Tänzerin und hier im passenden Einsatz samt Karate-Einlage, spricht den Monolog der Seherin Kassandra, die den Palast des Agamemnon betritt und den kommenden Mord „riecht“. Später souffliert sie Marlene Goksch die Vorhersage, als hätte diese sie vergessen oder nie gelernt. Kein Wunder: Das Stück schließt mit einem schlecht erzählten schlechten Witz über „Telepathie“: Klopf, klopf – Wer ist da? Ja, das ist alles klug und witzig um zwei-drei Ecken. Aber Kunst genug?

Ins Wort fallen

Im Duktus der Wortspiele erkennt man das Echo früherer Stücke von William Forsythe, etwa „Isabel’s Dance“ oder „Impressing the Czar“. Im Ballett Frankfurt hatte Richard Siegal von 1997 bis 2004 getanzt. Das Szenenfragment, wo aus der Mitte von sorgend hinab sich Beugenden das auf dem Boden liegende Opfer entschwindet, und die Gruppe bleibt, erinnert an Siegals frühere Kollegin Crystal Pite, an deren „Dark Matters“. Was will Siegal mit „Roughhouse“ sagen? Zuviel. Die Sprache ist das Problem.

Roughhouse Richard Siegal

Roughhouse Richard Siegal