BEGEISTERT GEFEIERTE GASTSPIELE AUS TSCHECHIEN:

ME-SA DANCE Compagnie

UND

VerTeDance Compagnie

IN DER BONNER BROTFABRIK UND DER KÖLNER TANZFAKTUR

Nach(t)gedanken von Klaus Dilger

Sie ziehen einander an und stoßen sich kurzzeitig wieder ab, zerfallen in kleine Kristallmuster auf dem Boden, ehe sie, wie magnetisch voneinander angezogen, eine neue Formation bilden, die sich als Gruppe aneinander klammert, umeinander kreist und hierbei Zentrifugalkräfte um wechselnde Zentren entwickelt, die die Protagonisten in immer neue Formen und Raummuster treiben, die sich ständig wiederholen. So beginnt die Reise der vier Tänzer der ME-SA DANCE Compagnie aus Tschechien, die an zwei aufeinanderfolgenden Tagen gemeinsam mit der ebenfalls aus Tschechien stammenden VerTeDance Compagnie  in der Bonner Brotfabrik und, im Rahmen des „Borderland Festivals“, in der Kölner TanzFaktur zu Gast waren.

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Eine Reise, die kaum Stillstand kennt und von der sich schon sehr bald vermuten lässt, dass sie möglicher Weise bereits ein dramatisches Vorspiel gehabt haben dürfte und der Zuschauer nunmehr Zeuge des Überlebenskampfes von vier „Schiffsbrüchigen“ wird, die auf einer kleinen Insel gestrandet sind.

Vier, zwei zwei, drei eins, eins drei, zwei eins eins, …, – Konstellationen, wie Morsezeichen des Lebens, deren Abstände und Lesbarkeit von Blicken, Berührungen, Lächeln, Gesten und Atem bestimmt werden und deren Spuren sich in ihren Wiederholungen als Erinnerungen festsetzen. Kein Ort auf der kleinen Insel, an dem die Gestrandeten ihr Anrennen gegeneinander, ihre Umarmungen und ihr Loslassen nicht schon (mehrmals) versucht hätten, ohne irgend eine Form von (Er)Lösung zu finden. Dies ermüdet in der Vorhersehbarkeit der Ausweglosigkeit – nicht nur die Protagonisten, die sich ins Dunkel der Bühne zurückziehen.

Musiker und Komponist Gasper Piano, der vom Bühnenrand das Geschehen bisher musikalisch eher kommentierte und kontrastierte, als es voranzutreiben, beginnt sich nun an Instrument und Effektgeräten auszutoben, als wolle er sämtliche Gedanken, Sehnsüchte und Albträume der Gestrandeten gleichzeitig durch seine Gitarren-Saiten und Verstärker jagen.

Nach dieser brachialen musikalischen Katharsis kommen die Protagonisten zurück ins Bühnenlicht, – verwandelt, sind nunmehr handelnde, entscheidende Individuen, indem sie sich bewusst, wenngleich in stetigem Wechsel, mit anderen verbinden und wieder trennen, auch wenn sie hierbei die gleichen, ausgetretenen Wege gehen wie zuvor. Berührungen, Blicke, Zartheit und Zärtlichkeit, Zeit und Innehalten, noch ein letztes Mal.

Dann beginnt Gasper Piano  forte auf das Tempo und mächtig auf die Lautstärke zu drücken, denen die Tänzer, erstmals auch ihre Stimmen nutzend, folgen.
Immer schneller, fliessender und damit auch tänzerischer, werden die Bewegungen. Immer lauter, kraftvoller, ineinandergreifender und dynamischer wird die Choreographie, bis eine Steigerung nicht mehr möglich erscheint. Das Leben, auch in immer wiederkehrenden Pfaden und Abläufen, als ein wilder, lauter Tanz! – Dann plötzlich Nacht – und Todesstille.

„Let me die in my footsteps“ nennt der, in Brüssel lebende, Choreograph Renan Martins de Oliveira seine Arbeit, die er im Rahmen des Residenzprogramms des „Studio Alta“ in Prag entwickelt hat. Deutlich erinnert die Dramaturgie des Endes an den Belgier Wim Vandekeybus ohne dessen Risikopotential und das seiner Tänzer hier abrufen zu wollen (oder vielleicht auch zu können). Das Publikum ist dennoch plötzlich hellwach und spendet langen, zustimmenden Applaus.

Nach der Pause folgt die hochgelobte tschechische Compagnie VerTeDance, auf der Bühne musikalisch einfühlsam und auch fordernd begleitet von der Clarinet Factory.

Auch hier, das wird schnell klar, findet die Freiheit der Bewegung in Raum und Zeit eine drastische Begrenzung: wortwörtlich festgenagelt stehen die sieben exzellenten Tänzerinnen und Tänzer in ihren Schuhen, jeweils eine Armlänge voneinander entfernt, auf einer Linie, der die dahinter agierenden Musiker der Clarinet Factory nicht nur eine räumliche Tiefe verleihen.

Wir kraftvoll, differenziert, dynamisch und humorvoll eine Choreographie, trotz ein paar Längen, sein kann, die ohne einen einzigen Schritt im Raum auskommt, sieht man einmal von einem Paar Schuhe ab, das gegen Ende des Stückes, an den Schnürsenkeln von den Händen der Tänzer geführt, die Linie auf und ab schreitet, demonstriert JIŘÍ HAVELKA in seinem preisgekrönten Stück KOREKCE (Correction).

Die Überwindung der Einsamkeit, alle Berührungen, Umarmungen, selbst Spiel und Streit müssen in diesem Szenario dem Körper mit einem ungeheuren Aufwand an Kraft abgerungen werden. Alles ist Wille und Phantasie – und Licht – ohne die diese Welt nur aus Einbahnstrassen bestehen würde.

Dem setzen Choreograph, Tänzerinnen und Tänzer, Musiker, Bühnen- und Lichtdesigner die Freiheit entgegen, die mit Phantasie, künstlerischer Kraft und Energie, alle Grenzen einzureissen vermag.

Kann es einen besseren Einstieg in das kleine, BORDERLANDS genannte, Festival der TanzFaktur geben, dessen künstlerischer Leiter Slava Gepner in seiner Begrüssungsrede mahnte, keine neuen Grenzen entstehen zu lassen, wie dies im Augenblick überall in Europa geschieht?

Nach dem umjubelten Gastspiel tags zuvor in der Bonner Brotfabrik, nun auch ein frenetisch applaudierendes Publikum in der Kölner TanzFaktur, die sich Schritt um Schritt weiter als wichtiger Kölner Tanzort etabliert.

Heute wird das Borderlands-Festival mit der renommierten Gruppe THOR aus Belgien und  dem Solostück „REVOLT“ fortgesetzt. Beginn 20 Uhr in der TanzFaktur, ebenso am Sonntag, Beginn dann 18 Uhr!