photos: klaus dilger
Beschissene Scheißhügel
Nachtkritik von KLAUS KEIL
Gefesselt und geknebelt. Heftig beginnt die Performance BLGRD12 von André Jolles, die gestern im Kunsthaus Rhenania Premiere hatte. In endlos wirkender Stille wird die Tänzerin Bibiana Jimenez, nackt bis auf einen Slip, mit einem roten Seil gefesselt und geknebelt, zu einem wehrlosen Bündel Mensch reduziert. Erst wenn sie willenlos auf einem Tisch liegt, setzt leise Musik ein. Dann tritt der serbische Regisseur Goran Cvetkovic an die Rampe, um vom Balkankrieg zu berichten, wie er ihn erlebt hat. Er erzählt vom Leiden der neunjährigen Emma und ihrer Mutter, von Nachbarschafts-gräueln und von der Suche nach Zeugen für Kriegsverbrechen. Bibiana Jimenez hat sich inzwischen ein Kleid übergezogen, die roten Seile hängen ihr noch zwischen den Beinen herab. Blut? Zwangsläufig denkt man an die Vergewaltigungen als Erniedrigungsrituale gegenüber anderen Volksgruppen. Noch mehrfach tritt Cvetkovic an die Rampe und erzählt von Serbien und von Belgrad. Dazwischen setzt Jolles in seiner Inszenierung makabre und surreale Szenen, die teils wie innere Bilder hinter Cvetkovic Erzählungen wirken, teils so wirken, als forsche Jolles seelischen Archetypen nach.
Allerdings bleibt durch die Textbeiträge das Thema deutlich auf Serbien bezogen und soll nicht verallgemeinernd die Gewaltbereitschaft des Menschen aufzeigen. Trotzdem weisen einige Szenen auf diesen Weg. Etwa wenn die Tänzer Tuong Phuong und Ruben Reniers sich langsam aufrecht nähern, um sich dann in einer großartigen Zeitlupen-Sequenz zu verändern, bis sie – ebenfalls nackt – sich auf allen Vieren wie Tiere anfallen. Oder wenn die beiden später mit dem friedlichsten aller Spielzeuge, einer bunten Plastikente für die Babywanne, brutal und hysterisch lachend Hockey spielen, wobei als Hockeyschläger eine Machete dient. Letztlich aber holen die aufwühlenden Szenen eine Zeit und einen nationalistischen Konflikt zurück auf die Bühne, der bei uns nur noch mit dem Massaker von Srebrenica verbunden wird.
Cvetkovic Erzählungen zeigen, dass es in Serbien auch eine Opposition gegen Milosevic gab. Unterstützung aus dem Westen, so erzählt er, bekam sie nicht. Schließlich war es das Ziel der Desinformationskampagne der Nato, die Serben als kriegslüsterne Nationalisten erscheinen zu lassen. Also war die oppositionelle Intelligenz zur Emigration (Brain-Drain) gezwungen oder wurde zum Schweigen gebracht.
Nirgendwo wird das deutlicher in dieser Performance als in der sich steigernden Musik von Tobias Hoffmann (Gitarre) und Max Andrzejewski (Schlagzeug), die mit ihrem heftiger und lauter werden Rocksound die Erzählungen von Cvetkovic immer mehr überlagern, bis nichts mehr zu verstehen ist. Mundtot: eine großartige Metapher. Solche Entwicklungen, so scheint die Inszenierung in allen Szenen vermitteln zu wollen, können nur eins: die Menschheit zurückwerfen auf eine vorgesellschaftliche Stufe. Und so wühlen sich am Ende die Tänzer durch Erdreich oder kleistern sich mit Lehm den Kopf ein. Derweil hängt Bibiana Jimenez an ihren Folterseilen von der Decke. Im Hintergrund verschwimmt die projizierte Landkarte in Unschärfe, löst alle Grenzen auf. Nur die Gitarre gibt noch einige leise Töne in die beginnende Dunkelheit.
BLGRD12 ist ein sehr persönliches und auch emotionales Stück. Nur beim informierten Zuschauer wird es Assoziationen zum damaligen Konflikt auf dem Balkan auslösen. Entstanden ist das Stück aus zahlreichen Besuchen von André Jolles in Belgrad, wo er schließlich auf Goran Cvetkovic traf. Lösungen bietet es, kaum verwunderlich, nicht an. Vielleicht gibt es auch keine. So wie in der Story von der beschissenen Insel aus Haruki Murakamis „Mister Aufziehvogel“, die Ruben Reniers vorträgt: „Die Scheiße fällt auf den Boden und bildet beschissene Scheißhügel … Es ist ein endloser Kreislauf.“