Bildgewaltige Inszenierung in oft surreal fiebrigen Bildern
Den Körper als politische Waffe sprechen zu lassen, das beherrschen nur Wenige im und mit dem Tanz so subtil wie die bodytalk-er aus Münster, – hier erneut in einer internationalen Co-Produktion und erstmals mit dem Polnischen Teatr Rozbark aus Bytom. Ihr neuestes Werk, das scheinbar so leicht, verspielt und chaotisch daher kommt, ist in Wahrheit enorm vielschichtig und gespickt mit raffinierten Verweisen aus Zeitgeschehen, Kultur und Kunst. Der Autor und Kunstkritiker Steffen Georgi war für uns in Leipzig im LOFFT THEATER dabei:
Bildgewaltige Inszenierung in oft surreal fiebrigen Bildern
von Steffen Georgi
Mit der Ausdrucks- oder Kunstform des Tanzes ist es ja so eine Sache: Der Moment, in dem der Körper zum Transmitter gerät, zum Artikulationswerkzeug gemacht wird, ist immer auch ein atavistischer Moment. In ihm wirkt eine Unmittelbarkeit, über die weder die Domestizierung des Tanzes in Form hochstilisierter Ballettkunst, noch eine Gegenwart hinwegtäuscht, in der sich jedwede Unmittelbarkeit unmittelbar in die Künstlichkeit digitaler Bild-Pixel zu zersplittern droht. Ist doch heute an die Stelle des alten (atavistischen) Instinkts des Bildverbots, offenbar endgültig die Unbedingtheit eines Bild-Gebots getreten. Ein „Du musst Dir in jedem Fall ein Bild machen!“, das als Mantra eines hoch-technologisierten Zeitgeistes, sich gleichsam als Antwort auf all die Fragen geriert, die längst keiner mehr wirklich stellt.
„BILDERZERSTÖRER ist der zweite Teil von bodytalks “Performensch”-Serie “NetzHaut” die das Verhältnis/das Verhalten von Körpern zu Massenmedien, in massenmedialen Zusammenhängen befragt.“ So liest sich auf der Webseite der Münsteraner bodytalk-Company was diese mit ihrem Stück „Bilderzerstörer“ thematisch auf die Bühne zu bringen gedachten.
Nun wird ja generell im Gegenwartstheater ständig irgendwie irgendetwas „befragt“, das gehört momentan schlicht zu den rhetorischen Modefloskeln; heißt also noch lange nicht, dass derlei „Befragung“ zu wirklich interessanten Fragen vordringt. Wobei es im konkreten Fall von bodytalk dann aber unbedingt zu erwähnen gilt, dass die Diskrepanz zwischen der Intention (dem Gedachten, dem im Vorfeld textlich Postulierten und inhaltlich Anvisierten) und dem Ergebnis dieser Intention (der Kunst auf der Bühne) eine gezielt forcierte scheint. Eine Diskrepanz, die bewusst in jenes Spiel integriert ist, welches unter der künstlerischen Ägide von Yoshiko Waki und Rolf Baumgart dann auch mit „Bilderzerstörer“ betrieben wird. Als wissen beide nur zu genau, dass das Spiel der Kunst, immer auch ein „Mirakel“ ist. Und dass eine entscheidende Frage, die sich dabei immer mit stellt, die Frage danach ist, wohin einen dieses Spiel treibt, lässt man sich tatsächlich darauf ein. Oder um die Company noch einmal zu zitieren: Es geht um „das Mirakel, was dieser Text mit dem Stück vorhat und vice versa…“
Will man ein Bild von „Bilderzerstörer“ vermitteln, muss man erst einmal sagen, dass diese Inszenierung eine recht bildgewaltige Angelegenheit geworden ist. Also diese oft surreal fiebrigen Bilder beschreiben, die hier an einem vorbei, auf einen zu, in einen hinein treiben:
Eine weite weiße Wand wächst aus der Bühnentiefe ins Licht. Und wieder zurück und wieder vor und wieder zurück. Ein Tänzer malt auf diese Wand bald einen Raubvogel mit gespreizten Flügeln. Scharfe Messer werden diese Malfläche zerfetzten. Überhaupt immer wieder Messerklingen gefährlich im Bühnenlicht blitzen. Eine Tänzerin und ein Tänzer geben sich auf Honig rutschend und wie von Honig aneinander geklebt einen wunderbar langen tiefen Kuss. Ein Pelikan spricht ins Mikro. Ein Strauch roter Rosen erblüht zwischen Männerarschbacken. Arm- und Handprothesen vibrieren als insektenhafte, grotesk-künstliche Körperauswüchse. Auf eine mit profanem Dildo bewährte Phalluskult-Prozession (inklusive beachtlicher Deep-Throat-Darbietung) folgt die Kastrations-Raserei. Im Bühnendunkel illuminieren hypnotisch Totemgeister. Final schwingen zum Blumenwalzer gewindelte Brathühnchen die Keulen während ein Metzger Bolschoi-reifen Spitzentanz bietet.
Zwischen und zu diesen Bildern gibt es sporadisch Text: Eine Tänzerin erklärt den korrekten Gebrauch einer Diabetes-Injektionsspritze. Es werden Hamlet, Ophelia und „fucking Flowers“ beschworen. Ein Shakespeare-Sonnet als tragikomisch berührende Chanteuse-Travestie geboten. Und bevor die Baby-Hühnchen zu Tschaikowski tanzen, ersteht der alte Opus-Gassenhauer „Live is Live“ als „Fleisch ist Fleisch“.
Fleisch ist Fleisch, Fleisch frisst Fleisch und Bilder fressen Bilder. Und für all das und noch einiges mehr, braucht es hier lediglich eine gute Stunde. Zusammengehalten und vorangetrieben von einer Musik, die live geboten zwischen Pop und Folklore so trancehaft wechselt, wie diese Inszenierung zwischen anarchischer Zelebration und straff choreografiertem Chaos, wird „Bilderzerstörer“ zu einem Ideendelirium, das ununterbrochen Bilder produziert und wieder zerstört. Was aber bleibt, gleich einem Postulat, sind die tanzenden Körper. Kraftvoll und individuell, widerspenstig gegen Domestizierung. Ganz und gar unmittelbar. Warum Bodytalk bezüglich ihrer Arbeit gern den Begriff „Performance“ durch „Performensch“ ersetzen, wird hier mehr als sinnfällig.
Bilder erschaffen um Bilder zu zerstören um Blickachsen zu öffnen. Hin zu den Fragen, die kaum noch einer stellt. Im Kern ist es das, was Waki und Baumgart plus Company mit „Bilderzerstörer“ einmal mehr betreiben. Das „Politische“ dieser sich ja erklärtermaßen als politisch begreifenden Bodytalk-Kunst, liegt somit vor allem darin, in der Intention nicht schon das Ergebnis, im Ausgangs- nicht schon den Endpunkt zu fixieren. Das vorab Gedachte ist nicht unbedingt das Getanzte. Denken braucht Fixpunkte, Tanz Horizont und Raumtiefe. Und die Blickachse die sich hier dabei öffnet, zeigt (bebildert!), wie hinter all unserer bebilderungsgeilen Modernität die ganz alten Energien wirken.
„Bilderzerstörer“ tanzt den „Mythos vom Zivilisationsprozess“ und ist darin auch ein gutes Stück Hexensabbat und schamanistische Reise; zelebriert die Selbstbehauptung des Körpers gezielt als auch atavistischen Moment. Der atavistische Moment nun, ist ein anarchischer – und dieser hier wiederum oft auf sardonische Art sehr witzig. Soll heißen: Neben vielem anderen, ist „Bilderzerstörer“ vor allem auch eins – ausgesprochen unterhaltsam.
BILDERZERSTÖRER
Tanztheater mit Live-Musik von Yoshiko Waki und Rolf Baumgart
von und mit Alexey Torgunakov | Amy Pender | Florencia Martina | Jan Paul Werge | Lia Beuchat | Martijn Joling |
René Haustein | Piotr Mateusz Wach | Nanako Oizumi | Vicky Roters | Momoko Baumgart | Max KörnerEine Koproduktion von bodytalk mit Teatr Rozbark, Theater im Pumpenhaus, asphalt Festival.
Gefördert vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen und Kulturamt der Stadt Münster sowie der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen.