CAN’T YOU SEE THAT WE ARE BUSY RIGHT NOW?
Gemeinschaftsritual in der TanzFaktur Köln
Nachtkritik von Klaus Dilger
Rituale sind häufig Teil unseres gesellschaftlichen Miteinanders, mehr noch unserer individuellen Lebensbewältigung. Sie können uns Halt geben und Wege in der Kommunikation öffnen oder ermöglichen, sie sind Teil der Conditio Humana. Aber nicht nur: Besonders deutlich treten Rituale in der Tierwelt zu Tage. Dort wo Rituale übersprungen werden, herrscht zumeist bereits Freundschaft, eine Übereinkunft sich aus dem Weg zu gehen, sich zu tolerieren oder der Krieg findet sofort statt.
Rituale beinhalten Regeln, Verhaltensmuster, Konventionen, Wiederholungen (die bis zu Trance ähnlichen Zuständen führen können). Nicht nur Religionsgemeinschaften bedienen sich besonders exzessiv der ritualisierten Formen in ihren „Kirchen und Tempeln“, gelegentlich auch die Darstellende Kunst in ihren „Theatern“ und „Ensembles“, ebenso wie Selbstfindung- und Selbsthilfegruppen in ihren Zusammenkünften und Workshops, zur Überwindung und zum temporären Ausschluss der Wirklichkeit.
In der TanzFaktur fand nun der Versuch statt, das Ritual, seine Rollenverteilungen und Mechanismen im Theater und der Performance, zur Disposition und in den Mittelpunkt zu stellen.
Der zahlende Besucher (hier blieb die traditionelle Rollenverteilung erhalten) befand sich bereits mit dem Eintritt ins Theaterfoyer inmitten des Prologs: indem er sich eines der auf einer Liste angebotenen Verben aussuchen und auf seinen Körper schreiben lassen durfte, begab er sich bereits in eine aktive Rolle in einem noch unbekannten Ritual.
Nach und nach mischten sich die Ensemblemitglieder schweigend unter das schwatzende, mehr als zahlreich erschienene Publikum und begannen mit leichten, an Yoga erinnernden Übungen, die Aufmerksamkeit der sie Umstehenden auf sich zu ziehen. Die Gäste verstummten, wohl auch weil für die Meisten in der gedrängten Dichte nichts zu sehen war, ausser gelegentlich in die Höhe gestreckte Arme. Aber es war nichts zu hören. Die Worte wurden in den Mündern der Darsteller durch das Publikum getragen, jedoch nur als Notizen auf kleinen Zetteln, mit den Verben, die den Besuchern auf den Leib geschrieben wurden.
©TANZweb_Kathrin Blume-Wankelmuth
Als wären sie zu Hause im Bad, begannen die Performer sich in Mitten der Massen dann zu entkleiden, um ihre Yogaübungen nackt weiter zu führen. Da keiner der Zuschauer ihrem Beispiel folgte, wurde aus den einzelnen Agierenden eine sichtbar zu unterscheidende Gruppe, die (so der Programmzettel) im Begriff war, gemeinsam „…Unangenehmes (zu) überwinden und darin zu transformieren“. Ritual und Symbolik.
Diese Gruppe, wieder in Kleidern, öffnete nach gut zwanzig Prolog-Minuten die Doppeltür zum Theatersaal, der an vier Seiten bestuhlt war, um die gut einhundert Zuschauer aufzunehmen, die eingeladen waren, „Zeugen, ja Teilnehmer unserer Rituale zu sein…“ (Programmzettel).
Wohl aus diesem Grund hatten die Performer Salim Ben Mammar, Kathrin Blume-Wankelmuth, Jennifer Döring, Maria Golding, Dwayne Holliday (der auch die künstlerische Leitung hatte), Karoline Strys und William Saunders (auch musikalische Leitung) ein Bewegungsvokabular entwickelt, das von absolut Jedem hätte ausgeführt werden können, der noch in der Lage ist, einen Purzelbaum zu machen.
Auch in der Ausübung dieses Materials wollten sie vermutlich keinen der potentiellen Teilnehmer durch irgend eine Form der Perfektion abschrecken, was ihnen sehr gut gelungen ist. Dennoch schafften sie es nicht, die Zuschauenden in das Geviert zu locken, um aktiv an der sichtbaren Freude der Performer teilzunehmen.
©TANZweb_Kathrin Blume-Wankelmuth, Dwayne Holliday, Karoline Strys
Nach gut sechzig Minuten, in denen zumeist gerannt wurde, im Kreis, paarweise, allein, in Gruppen und Verben aufnehmend, die aus der Foyersituation übernommen und in ein Mikrofon gesprochen wurden, das zeitweilig in der Raum Mitte von der Decke hing. In denen gelacht wurde wie die Orgelpfeifen, die von einem Mit-Performer quasi per Bauchmuskel-Blasebalg gefüllt wurden. In denen mit und ohne Purzelbaum über den Boden gerollt wurde, mal individuell von links nach rechts und umgekehrt und dann final als Schlange gemeinsam. In denen, ein bisschen Tanztheater Ritual, auf das Publikum zugestürmt wurde und wieder weg. In denen, auch mit Hilfe der guten Soundcollage (musikalischer Mentor Georg Dietzler), versucht wurde, ein Gefühl von Trance entstehen zu lassen, in der Gruppe kreisend aber stets jeder individuell und nach eigenem Vermögen, ohne Zwang, entweder nur taumelnd oder inspiriert von afrikanischen Regentänzen oder indianischen Totem-Tänzen. In denen gelächelt, Blicke getauscht und Kontakte mit den sitzenden Teilnehmern aufgebaut wurden.
Nach diesen sechzig durchweg sympathischen Minuten endete jeder Taumel und ging in ein fast informelles Tee-Ritual über, das von jedem der Performer den sitzen gebliebenen Teilnehmern angeboten und von diesen gerne angenommen wurde. Kleine schwatzende Gruppen bildeten sich aus denen, die im Foyer noch nackt oder angezogen als Fremde nebeneinander gestanden hatten.
Rituale sind natürlich auch mit Kulturkreisen verknüpft und so wird es vielleicht noch eine Weile dauern, bis die Zuschauer ihre Rollen bei derlei Gebotenem überwinden und tatsächlich von ihren Sitzen aufspringen und die „Bühnenwände“ einreissen.
Hierfür haben die Kölner heute noch die Gelegenheit: Um 20 Uhr findet in der TanzFaktur das nächste „Gemeinschaftsritual“ statt. Nutzt die Chance! Das wäre wirklich einmal spannend – nicht nur in Köln!