CocoonDance mit RUNTHROUGH in Bonn beim Beethovenfest

Nach Sinn schnappen

von Melanie Suchy

Die Bonner Company CocoonDance zeigte die deutsche Erstaufführung ihres „RUNthrough“ in einer am Ende veränderten Version als „RUNthrough II“ 

Doch, Wellen machen sie auch irgendwann. Das sind Kurvungen durch ihre aufrechten Körper oder schlaufenförmige Wege, die sie umeinander laufen, ein Treiben, ein Getriebenwerden ohne Antreiber. Oder sie quirlen mal die Luft. Aber kein Wasser. Vielleicht ist das auch besser so in dem ausgetrockneten Hallenbad, in dem dieser Tanz seinen damit ganz offensichtlich fremdartigen Platz behauptet.

Er ist umso fremdartiger, als man sich als Zuschauerin erinnert, genau hier Bahnen gezogen zu haben, von Auftrieb im Wasser getragen: im hellen Viktoriabad in der Bonner Innenstadt, gleich neben der Universität, dem Schloss. Das Beethovenfest hat die Halle seit 2021 zum Spielort erkoren. Mit der eingebauten Tribüne ist es ein charmanter Raum und für so ein Tanzstück ohne Kulissen oder Objekte ideal. Die in Bonn ansässige CocoonDance Company baute kurz vor ihren zwei Aufführungen dort eine Bühne ein, erhöhte also den Boden, was der Sicht hilft. Außerdem gehört das Fremdartige, etwas Verrückte, Verzogene zu ihrer Art der Choreografie.

„RUNthrough“, das im Mai in der Schweiz Premiere hatte, lässt einen teilweise die Luft anhalten; manchmal plätschert es eher. Lockerfluffig ist da nichts, und flüssig ist der Tanz auch selten. Er lebt von Spannungen. Er verteilt sie in bestimmte Körperteile, so dass diese sich vor und zurückschieben, einknicken, hochschnellen, wenden, rucken, sich biegen und beugen, und das wiederholt, wiederholt. Eine Art Funk-Spannung verbindet auch die achtköpfige, in brillantes Blau gekleidete Tänzerschar.

Standpunkte

Wie Antennen bauen sie sich auf. Zunächst eine Tänzerin, mit dem Blick zur Rückwand, den Beckenfliesen. Dann sind es zwei, drei, immer mehr, im Stillstand. Kaum merklich dann heben die Fersen einige Millimeter ab. Auf und ab. Nach einer Weile hämmern sie, so dass die Körper drüber leicht vibrieren im Takt der von DJ Franco Mento ins Becken gespülten harten Beats. Köpfe wenden einige Grad, Schultern auch. Alles verschraubt sich zackig oder mählich. Die Arme hängen herab, auch sie verdrehen sich schließlich; immer noch hat sich niemand von der Stelle gerührt. Und coch wirkt das raumgreifend, indem Haltungen entfernt an Volkstanz vom Balkan erinnern. In einen Automaten geworfen und stückweise ausgespuckt.

Einige der Tanzenden wirken mit ihren aufgerissenen Augen wie Puppen, aus anderen blinkt eine Art Stolz oder Herausforderung. In solchen dichten Phasen ist dieses „Durchlaufen“ oder die „Durchlaufprobe“ des „RUNthrough II“ bezwingend irritierend, weil das Rätsel des Antriebs nie zu knacken ist. Was bewegt die? Was reden diese Körper da?

Seit einigen Jahren erschaffen Cocoon-Dance alias Rafaële Giovanola und Dramaturg Rainald Endraß, solche Stücke, deren Schritte nicht vorgegeben sind, sondern Bewegungsarten, Phasen, Abläufe. Die Qualität liegt zum großen Teil an den Tänzerinnen und Tänzern, die – gemeinsam erarbeitete – Aufgaben ausführen und das mit Intention füllen, ohne sie zu verraten. Wer von ihnen mal kurz in Aufmerksamkeitslöcher sackt, wirkt wie hirnabgeschaltet, aber meistens treffen sie hier den Akkord aus humanoid, technoid, insektoid, Tun und Training, Folgen und Führen, aus allem gleichzeitig. 

Das Ein- und Auswinkeln, Verschieben, Rotieren wurde bestimmten Sport- und Tanzpraktiken abgeschaut, im Live-Austausch mit entsprechenden Praktikern; es entlastet den Tanz von Historien, könnte man denken. Er scharrt mit den Hufen im Sand der Gegenwart. Dann ist es der Rhythmus, der zählt und die Energie herstellt. Aktion und Reaktion. Frageruf, Antwortchor, wie in den von Mento eingespielten Folkloregesangspassagen.

Fliehkräfte

Die Füße schieben weiter auseinander. Die aufrechten Oberkörper werden schief. Die Brustkörbe wölben sich stark, raus, flach, raus. Das Beulen erweitert sich, Hintern ragen, kurven, fallen herab, titschen hoch. Köpfe schieben sich vor und zurück. Das alles ist zu nichts nutze, ist ein Abfolgen, mit Entschiedenheit, eine Strecke auf kein Ziel hin. Oder doch? 

An einer späteren Stelle scheinen die Tänzerinnen und Tänzer Signale in den Boden zu stempeln. Und sofort zu vergessen. Auch umgekehrt: wie auf einer heißen Herdplatte setzen sie möglichst kurz die Sohlen ab. Nichts bleibt hier stehen. Aus dem einen Muster entwickelt sich ein anderes; aus der Gruppe schert einer aus mit etwas Neuem, dann zwei, dann stimmen alle ein und überein. Nähern sich, entfernen sich. Der eine frontale Blick inmitten des zur Seite strebenden Schwarms. Da ist jemand, dann verschwunden, einverleibt. Oder die Gruppe richtet sich hierhin, bewegt sich aber dorthin. In solchen Momenten ziehen sie die Zuschauerin mit; in anderen sieht sie zu sehr die Struktur, die sich selbst genügt. 

Zum Ende hin drängt es den Schwarm zum Boden hin, Einzelne werfen Beine und Arme im Liegen, dann, Bauch nach oben, stützen sie sich brettartig auf Ellbogen oder Hände: die gekippte Version des aufrechten Oberkörpers. Oder auch eine Reminiszenz an Cocoons berühmtes Stück „Vis Motrix“.

Die Tänzerinnen und Tänzer:     Cristina Commisso, Fa-Hsuan Chen, Margaux Dorsaz, Álvaro Esteban, Jenna Hendry, Joana Kern, Bojana Mitrović, Evandro Pedroni, Yonas Perou